Sergei Loznitsas Ukraine-Film „Donbass“: Wer Wind sät
Schocktherapie: Regisseur Sergei Loznitsa erzählt in seinem neuen Film „Donbass“ in nuancierten Gewaltbildern und mit bösem Humor vom Krieg in der Ostukraine.
Kriegsfilme nehmen sich selten Zeit für Politik. Zu tief sind ihre Erzählungen in das zermürbende Klein-Klein aus Kampfhandlungen und taktischen Manövern verstrickt, als dass sie sich den Luxus der Distanzierung leisten könnten. Das gilt umso mehr für den modernen Kriegsfilm, der sich, weil es die technische Entwicklung erlaubt, bevorzugt auf Augenhöhe mit der Infanterie bewegt: Krieg als viszerale, ultimativ unmenschliche Erfahrung.
Schwer zu sagen, ob Sergei Loznitsas „Donbass“ überhaupt die Kriterien des Genres erfüllt. Man hat als Außenstehender ja schon genug Schwierigkeiten, das, was seit 2014 im Osten der Ukraine passiert, in adäquate Begriffe zu fassen. Handelt es sich um eine Invasion, eine feindliche Übernahme durch subversive Elemente oder um einen Bürgerkrieg? Über 10 000 Todesopfer seit Ausbruch der Kampfhandlungen lassen zumindest keinen Zweifel am Ausmaß des Ukraine-Konflikts, der in der Wahrnehmung der Weltöffentlichkeit von der Krim-Annexion überschattet wird.
Der in Weißrussland geborene, seit seinem Dokumentarfilm „Maidan“ über die friedlichen Euromaidan-Proteste in der Ukraine lebende Loznitsa strukturiert „Donbass“ eher wie einen investigativen Frontbericht. Auch sein Kameramann Oleg Mutu hält sich zurück, sein Stil ist im Vergleich zu ihren früheren gemeinsamen Arbeiten weniger embedded, eher dokumentarisch-distanziert. Die Politik lässt sich vom Krieg vielleicht doch nicht so leicht trennen. Im Film taucht einmal sogar tatsächlich ein Journalist zwischen den Frontlinien auf. Der deutsche Fotograf (Thorsten Merten) wird von den Kämpfern der prorussischen Volksrepublik Donezk an der Nase herumgeführt, nachdem er sie in Siegerpose auf ihrem Panzer fotografieren durfte. Woher die selbsterklärten Partisanen kommen, wissen sie offenbar selbst nicht – die Männer seien keine Einheimischen, erklärt ihm sein ukrainischer Dolmetscher, sondern vermutlich russische Söldner. Einen Befehlshaber scheint die Einheit auch nicht zu haben.
Die Episode bleibt so undurchsichtig wie der ganze Frontverlauf in „Donbass“. Loznitsa interessiert sich weder für das große Ganze, noch will er den Konflikt historisch erklären. So didaktisch seine formal strengen Dokumentar- und Archivfilme auch angelegt sind, so konsequent sucht er in seinen bisher vier Spielfilmen die dramatische Verdichtung. „Donbass“ besteht aus 13 Vignetten, episodisch verbunden nicht durch eine zentrale Figur wie zuletzt in „Die Sanfte“ oder in seinem Weltkriegsdrama „Im Nebel“ (2012), sondern allein durch die Montage. So entsteht ein durchaus eleganter, mitunter lakonischer Fluss, der nur einmal unsanft unterbrochen wird: Die Szene mit dem deutschen Journalisten endet in einer Explosion.
Die Lüge als Kriegswaffe
Die Strategien der Propaganda und Desinformation, die die Lage in der Ostukraine so unübersichtlich machen, führt Loznitsa selbst in einigen Episoden vor. „Donbass“ beginnt an einem Filmset, Statistinnen und Statisten werden geschminkt und dann von unfreundlichen Russen über einen Parcours aus Häuserruinen und ausgebrannten Autowracks gescheucht. Einige der Darsteller sind als Fernsehteams gekennzeichnet.
Den Bildern begegnet man später in den Abendnachrichten wieder, die im Hintergrund laufen: ein Bericht über einen Anschlag ukrainischer „Terroristen“ auf die Zivilbevölkerung. Die Lüge ist im Krieg immer noch die mächtigste Waffe. So auch im Fall der Lokalpolitikerin, die in eine Ratsversammlung platzt und dem Vorsitzenden einen Eimer Scheiße über den Kopf schüttet, weil der sie in der Zeitung als korrupt bezeichnet hat.
Verleumdung und Korruption gehen in „Donbass“ Hand in Hand. In einer anderen Episode muss der Verwaltungsbeamte eines Krankenhauses der Belegschaft erklären, wie der Chefarzt für die Versorgung der Patienten notwendige Nahrungsmittel und Hilfsgüter unbemerkt beiseite schaffen konnte. Die Szene entbehrt nicht einer gewissen Komik: Während der Mann aus allen möglichen Kühlschränken und Stauräumen in dem winzigen Arztzimmer Windelpackungen, Konserven und Fleischvorräte hervorzieht, betrachten die Pflegerinnen und Pfleger das absurde Theater mit stoischen Minen, die sich auch als desillusioniert deuten lassen. Denn natürlich stecken Verwaltungsmensch und Arzt unter einer Decke
Der Film erinnert an Schocktherapie
Loznitsas böser, zuweilen absurder Humor durchzieht „Donbass“ – und trotzdem ist früh im Film eine Wut zu spüren, die sich von Episode zu Episode ungezügelter Bahn bricht. Die Gewalt, von der „Donbass“ zunächst parabelhaft erzählt, manifestiert sich schließlich in körperlichen Übergriffen: Auf der Straße stellt eine Gruppe Soldaten einen alten Mann an den Pranger, der womöglich ein „Ukrop“ ist, ein ukrainischer Nationalist – auf jeden Fall aber ein „Verräter“ an der Sache der prorussischen Separatisten. Großmäulige Jugendliche und besorgte Bürger umzingeln die Soldaten, aus verbalen Beleidigungen wird ein Handgemenge, angeführt von einer robusten alten Dame mit Einkaufstaschen. Der Gewaltexzess will kein Ende nehmen, am Ende ist auch der Schnitt keine Erlösung mehr.
Die zunehmende Frustration Loznitsas mit der russischen Politik zeigt sich schon an den immer kürzeren Intervallen seiner jüngsten Filme. Das Russland-Pandämonium „Die Sanfte“ lief 2017 in Cannes, „Donbass“ folgte dort in diesem Jahr, in Venedig feiert Anfang September sein Dokumentarfilm über Stalins frühe Schauprozesse Premiere. „Donbass“ erinnert streckenweise an eine Schocktherapie, wobei seine Gewaltbilder in ihrem Anspielungsreichtum durchaus nuanciert und historisch verbürgt sind.
Mit „Donbass“ hat sich Loznitsa jedenfalls bei aller Drastik endgültig als ein wichtiger politischer Filmemacher der Gegenwart etabliert. Vielleicht sind deutliche Worte im Zeitalter der Desinformation doch die beste Waffe. Während der Gegner, wie der Regisseur kürzlich – frei nach Godard – meinte, „24 Lügen pro Sekunde“ in die Welt setze.
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