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Filmszene aus dem Wettbewerbsfilm "The Dinner".
© Tesuco Holding

"The Dinner" im Berlinale-Wettbewerb: Wenn Rich Kids eine Obdachlose anzünden

Amerikas Verbrechen, Amerikas Moral: "The Dinner" startet im Wettbewerb mit Richard Gere. Man denkt an den "Gott des Gemetzels".

Manchmal kommt es zwischen dem Kino und der Realität derart heftig zum Kurzschluss, dass die Funken einen nachhaltig blenden. Irgendwann in diesem Film zünden Jugendliche eine schlafende Obdachlose an, betrunken, nur so aus Spaß. Ein Streichholz, noch eins, noch eins, bis Flammen aus dem Schlafsack lodern. Wir sind nicht in Berlin im U-Bahnhof Schönleinstraße letzten Dezember, sondern in einem Geldautomaten-Kiosk, in einer Winternacht in Yonkers, New York. Es sind auch nicht sieben Jugendliche, sondern nur zwei rich kids, aber das ist schon der ganze Unterschied. Und nun treffen sich die Eltern, um beim Haute-Cuisine-Menü zu bereden, was tun.

Politdrama trifft Kulinarisches Kino, die ideale Berlinale-Kombi? Oren Movermans „The Dinner“, einziger amerikanische Wettbewerbsfilm dieses Jahr, trifft mitten ins Herz der Gegenwart. Schon in seinem Debüt „The Messenger“ hatte Moverman Krieg und Verdrängung in den USA thematisiert. Diesmal destilliert er aus Hermann Kochs Bestseller „The Dinner“ ein Psychogramm der westlichen Gesellschaft und kehrt die Gewalt unter dem Deckmantel der Zivilisation hervor. In einer virtuosen, mit Flashbacks, Jumpcuts und Soundcollagen versetzten Erzählung studiert er die Strategien der Vertuschung, der Bigotterie. Hier verschweigt jeder etwas, macht sich und den anderen etwas vor. Die Familie als Mikrokosmos der Nation, als einziges großes Täuschungsmanöver.

Die Familie wird zum Schlachtfeld

Denn während die Kellner in militärischer Formation erlesenste Speisen wie Perlhuhn auf Eidotter im Pilzbett oder Dessert mit gesalzener Whiskey-Karamellsauce kredenzen, kommt das Verbrechen erstmal gar nicht zur Sprache. Eine Familienaufstellung, ein Ensemblefilm: Richard Gere ist der tüchtige Kongressabgeordnete Stan Lohman, alte Politschule, ein konservativer Moralist (dessen Name an Arthur Millers Handlungsreisenden Loman erinnert), Rebecca Hall dessen dekorative Gattin, die sich später als tough cookie erweist.

Steve Coogan ist Stans Bruder Paul, Historiker, Ex-Lehrer, auch aus dem Off unentwegt dozierend, manisch depressiv, hyperaggressiv, einer, der an sich und seinem Land verzweifelt. Man sympathisiert gleich mit ihm. Paul ist ein Gescheiterter, der mit seinem Erfolgsbruder einst vergeblich einen Ausflug nach Gettysburg unternahm, dem Schauplatz der blutigsten Schlacht im amerikanischen Bürgerkrieg. Eine Alptraum-Rückblende, die Brüder versöhnten sich nicht.

Jetzt ist die Familie das Schlachtfeld. Und Pauls zunächst hinreißend fürsorgliche Ehefrau Claire (Laura Linney) wird sich im Namen der Liebe als so etwas wie ein Monster erweisen. Wer ist bereit, zum Wohl der Kinder über Leichen zu gehen? Nicht diejenigen, von denen man es zu Beginn des Films annimmt.

Pauls Nervenzusammenbrüche rhythmisieren den Film

Man denkt an den „Gott des Gemetzels“, ein ähnliches Kammerspiel mit rasanten Dialogen und scharf blitzenden Sätzen, ein ähnliches Mittelstandseltern-Quartett, bei dem am Ende Anstand und Moral in Fetzen liegen. Nur dass Moverman die Einheit von Zeit und Raum aufbricht und das Geschehen zu einem psychoanalytischen Trip durchs (Unter-)Bewusstsein seiner Protagonisten weitet. Innerer Monolog, Ungesagtes, Halb Gesagtes, nervös flackernde Erinnerung, Störgeräusche, manchmal hört man das Kratzen einer Grammofonnadel: Moverman hysterisiert und pathologisiert auch die Sprache der Bilder. Vor allem Paul verleiht ihnen buchstäblich Seele, seine Eruptionen, seine Nervenzusammenbrüche rhythmisieren den Film.

Regisseur Oren Moverman, Laura Linney und Richard Gere kuscheln.
Regisseur Oren Moverman, Laura Linney und Richard Gere kuscheln.
© Tobias Schwarz / AFP

„The Dinner“ mag ästhetisch etwas geschwätzig ausfallen, selbstverliebt in seine Stilmittel. Aber die Rasanz sorgt sorgt immerhin dafür, dass Movermans Moritat zur selbstgefälligen Moralpredigt eines demokratischen juste milieu dann doch nicht taugt.

11.2., 18.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 18.30 Uhr (HdBF), 15.2. 12 Uhr (HdBF)

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