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Auch diese Teilnehmer der Demonstration des Bündnisses „Unteilbar“ sind gegen Rassismus.  Ein wichtiger Schritt zur Gerechtigkeit ist die Sprache.
© Sebastian Willnow/dpa

Kolumne Spiegelstrich: Wenn jemand sich verletzt fühlt, braucht es ein neues Wort

Wir weißen Deutschen sagen gern, gegen Rassismus zu sein. Doch wir unterschätzen die Bösartigkeit unserer Sprache. Hören wir denen zu, die sich verletzt fühlen.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer. In seiner wöchentlichen Kolumne „Spiegelstrich“ betrachtet er das Verhältnis von Sprache und Politik.

Als ich ein Kind war, vor über 40 Jahren im westfälischen Hiltrup, war das Wort „Neger“ üblich. Jene Trophäe, mit der wir uns in der Bäckerei für den Mut belohnten, den Physikunterricht des strengen Herrn Swietlik zu schwänzen, hieß „Negerkussbrötchen“. 

Und dass die „zehn kleinen Negerlein“ weniger wurden, bis sie alle tot waren, hatte ich mitgesungen; vorm „schwarzen Mann“ hatte ich mich erziehungsgemäß gefürchtet; wer beim „Schwarzfahren“ erwischt wurde, hatte den „schwarzen Peter“ und keine „weiße Weste“ mehr.

Wieso konnte sich der Begriff „Indianer“ halten?

Sprache definiert und weist Platz und Rang zu, grenzt aus. Und sie wandelt sich, da sich mitunter die Machtverhältnisse wandeln und auch die Kultur. (1968 hatte selbst Martin Luther King noch vom „negro“ gesprochen.)

Um welche Abgründe es geht, macht die Geschichte des genannten Liedchens deutlich: In den USA hieß es einst „ten little niggers“, davor „ten little Injuns“, was eine Spielerei mit dem Begriff „Indianer“ war, welcher wiederum eine Herabsetzung der Ureinwohner Amerikas bedeutete – und da wir gerade zufällig an dieser Stelle der amerikanischen Geschichte vorbeikommen: 

Wieso eigentlich konnte sich der Begriff „Indianer“ seit 1492 halten, obwohl Kolumbus nie in Indien war, und wieso eigentlich sprechen wir noch heute von einer „Entdeckung“ eines Kontinents, der längst entdeckt und besiedelt war? (Und, wir kommen an dieser Stelle kurz zum Sport: Warum, bitte, dürfen die Cleveland Indians noch immer so heißen? Und, BITTE, die Washington Redskins?)

Wie divers sind Vorstände und Redaktionen?

Worauf wollte ich hinaus? Ach ja: Abgründe …

Wir weißen Deutschen sagen recht gern, wir seien gegen Rassismus. Doch mit Begriffen wie „Krebsgeschwür“ waren einst Juden gemeint, und als „Kanaken“ und „Spaghettifresser“ bezeichneten wir Gastarbeiter aus Türkei und Italien. 

Wieso gibt es noch immer „Zwerge“ und „Zigeuner“, wieso warnte der „Spiegel“ vor der „Gelben Gefahr“, China meinend?

Oder, auf etwas komplexeren Ebenen: Wie divers sind Vorstände, Redaktionen oder bloß Talk-Shows besetzt? Warum fällt jenen weißen und deutschen CDU-Abgeordneten, die gegen die Streichung der „Rasse“ aus dem Grundgesetz sind, nur ein, dass der Effekt der Streichung gleich null sei, aber nicht, jene zu fragen, die das Wort verletzen könnte?

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Shakespeare und Kant machten das Wort „Rasse“ bekannt

Seine „MAGA-Bewegung“ (gleich „Make America Great Again“) habe „nichts gegen Schwarze“, sagt Donald Trump und sagt damit dies: Die sind dort, und wir sind hier. 

Wenn wir die Tatsache voraussetzen, dass es menschliche Rassen nicht gibt (weshalb schon Begriffe wie „Rassenunruhen“ und „Rassenkonflikt“ bösartig sind), dann geht es bei allem Genannten um Identitätspolitik. Es geht um Herabsetzung und, mitunter, um Entmenschlichung.

Wo auf der Welt ist es anders? In der Schweiz kommt neben dem Samichlaus (Nikolaus) der Schmutzli – während der Meister einen prächtigen weißen Bart trägt, hat sein dämonischer Helfer ein schwarzes Gesicht. In Holland? Kommt der „Zwarte Piet“.

Hinhören und kommunizieren

Die Erfindung des Begriffs „Rasse“, aus der Tierwelt im 16. Jahrhundert ins Menschliche herübergeholt, ging mit europäischer Expansion und der Kolonialisierung einher; Shakespeare und Kant machten das Wort bekannt. 

Der Publizist und Sexualforscher Magnus Hirschfeld verwendete 1933 den Begriff „Rassismus“ und widerlegte die Rassenlehre der Nazis.

Mit der liberalen Demokratie kam eine Aufmerksamkeit für Fairness und Kränkung, deshalb eine präzisere Sprache. Die rechtspopulistische Gegenbewegung möchte Rassismus enttabuisieren und behauptet darum, dass politische Korrektheit die Redefreiheit ersticke.

Es bleibt aber so einfach, wie es immer schon hätte sein können: Fühlt sich die oder der Andere gekränkt, braucht es ein besseres Wort. Hören wir hin. Kommunizieren wir.

Klaus Brinkbäumer

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