Christopher Bauders Installation im Kraftwerk: Wenn Gefühle leuchten
Christopher Bauder zeigt beim Berliner CTM-Festival für elektronische Musik eine spektakuläre Lichtinstallation – eine Begegnung mit dem Künstler.
Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern was wir über die Dinge denken, sagte der griechische Philosoph Epiktet. Der Berliner Künstler Christopher Bauder sieht das ganz ähnlich. Bauder arbeitet mit Licht. Licht ist immateriell, es ist weder beunruhigend noch fröhlich und doch kann es Menschen Glücksgefühle bereiten. Es löst Emotionen aus. Besonders wenn es in einem stockdunklen Raum auf bewegliche Spiegel trifft und in allen möglichen Winkeln abgestrahlt wird. So wird es passieren, wenn Christopher Bauder beim CTM-Festival, das am heutigen Freitag beginnt, seine große Lichtinstallation „Skalar“ im Kraftwerk zeigt. Aus vorherigen Shows weiß man: Einige Zuschauer fangen an zu weinen. Andere bleiben vier Stunden, wollen nicht mehr gehen.
Bauder sitzt einige Tage vor der Show in seinem Rummelsburger Büro mit Blick auf die Spree. Auf einem Tisch liegen Dutzende von Skizzenblättern, auf denen er per Hand verschiedene Muster gezeichnet hat, die das Licht im Kraftwerk formen soll. Er ist mitten in der Detailplanung. Aber das dramaturgische Gerüst der Show steht. Bauder will die acht menschlichen Grundemotionen mit Licht modellieren, der Musiker und Berliner Elektro-Avantgardist Kangding Ray steuert Sounds dazu bei. Bauders Storyboard im Computer zeigt, was geplant ist: ein Zyklus aus Freude, Trauer, Wut, Überraschung, Widerwillen, Vertrauen.
Und wie kann man Vertrauen mit Licht darstellen? „Vertrauen ist für mich ein relativ statisches Licht, etwas Stabiles“, sagt Bauder. „Blau mit ein bisschen Weiß.“ Blau suggeriere Vertrauen, könne aber auch sehr düster wirken, deshalb das Weiß. „Und dann große Geste. Offene Arme. Dazu ein erhebender Sound mit einfacher Struktur.“ Das Grundgefühl, das sich einstellen soll: Zufriedenheit. Die Parts zum Thema Wut und Angst seien dagegen laut und aggressiv. Bei „Erwartung“ werde ständig etwas angedeutet, das sich nie einlöst.
Lichtkunst ist vor allem eins: Technik
Ein bisschen Licht, ein bisschen Musik, schon tanzen unsere Emotionen Tango, obwohl sich äußerlich nichts verändert hat. Das Thema des CTM-Festivals lautet „Turmoil“, also Aufruhr. Dabei soll mit der Musik einem Gefühl von Angst und Aufgewühltheit nachgespürt werden, das derzeit in der Gesellschaft sehr präsent ist. Auch Bauders Lichtinstallation ist nicht nur eine Einladung zum Wegdriften. Man kann in den Lichtgewittern auch eine Aufmerksamkeit dafür entwickeln, wie Gefühle überhaupt entstehen.
Der 44-jährige Bauder hat es zusammen mit seinem Bruder Marc schon einmal geschafft, viele Menschen emotional zu berühren. Zum 25-jährigen Jubiläum des Mauerfalls inszenierte er die „Lichtgrenze“, eine Serie von 8000 Ballons, die auf Stelen montiert, entlang des ehemaligen Mauerverlaufs aufgestellt wurden – und die sich schließlich in die Luft erhoben. Ein würdevolles, temporäres Denkmal. Bauder hat zusammen mit seinen Mitarbeitern viele Monate lang daran getüftelt, wie ein Ballon beschaffen sein muss, der bei Novemberwetter erst drei Tage lang leuchtet und dann auf Knopfdruck in den Himmel davonfliegt. Lichtkunst ist nämlich vor allem eins: Technik.
2004, als seine Lichtinstallationen immer größer wurden, gründete Bauder das Designstudio White Void, in dem mittlerweile an die 30 Ingenieure, Programmierer, Innenarchitekten und Designer an komplexer, computergesteuerter Lichttechnik arbeiten. Die Software, die bei den Shows die Scheinwerfer und Lichtmodule steuert, ist eine Eigenentwicklung von White Void. Auch die Motoren für die beweglichen Leuchten wurden dort erfunden. Auf dem Lichtenberger Kreativhof am Ufer der Spree, an dem sich die Firma vor gut einem Jahr neu angesiedelt hat, gibt es auch eine Experimentierwerkstatt. Mehrere der schwarzen Motoren hängen von der Decke, manche lassen das komplizierte Innenleben aus Platinen und Drähten sichtbar werden. White Void, weiße Leere, der Name bezieht sich auch auf die leeren Räume, die Berlin in den 90er Jahren bot und die auch für einen in der Technoszene sozialisierten Künstler wie Bauder der Startpunkt waren.
Bauders Installationen waren in Museen wie dem Pariser Centre Pompidou oder dem Museum für bildende Kunst in Taiwan ausgestellt und auch bei Lichtkunstfestivals oder Shows großer Firmen. Er verwendet Licht als Material, er verbiegt es, formt es, modelliert Objekte, die ein Algorithmus errechnet hat. Das hat ihn bereits während seines Studiums an der Universität der Künste interessiert – die Transformation der 3-D-Welt in die Realität. Für ihn sei es immer Kunst, egal in welchem Kontext eine Installation gezeigt werde, sagt Bauder. Gerade wegen dieser Offenheit wird seine Arbeit manchmal verkannt. Die Idee zur „Lichtgrenze“ hatte er zum Beispiel schon zum 20. Mauerfalljubiläum. Doch das Projekt fiel beim Hauptstadtkulturfonds damals durch.
Für Bauder ist das Kraftwerk die beste Ausstellungshalle der Welt
Vier Wochen lang wird Christopher Bauders Lichtshow im Kraftwerk als Ausstellung zu sehen sein. Dazu gibt es vier Liveshows, bei denen Bauder und Kangding Ray an den Reglern stehen. Der eine moduliert die Sounds. Der andere die Bewegung des Lichts, seine Farbe und Struktur. „Für meine Zwecke ist das Kraftwerk die beste Ausstellungshalle der Welt“, sagt Bauder. „Ich kenne auf der ganzen Welt keine andere, die einen so großen, komplett dunklen, industriellen Raum bietet.“ Besonders der Kontrast zwischen seinem Hightech-Lichterzeugungsapparat und dem alten rußigen Industriecharme des Gebäudes sei reizvoll, so der Künstler.
Die Philosophie des Lichts beschäftigt sich mit intuitivem Wissen. Etwas ist nicht da, aber wir spüren es trotzdem. Das Licht scheint die Brücke dafür zu sein.
Kraftwerk, Köpenicker Str. 70, Ausstellung: 27.1.–25.2., Live-Performances: 4.2., 18 Uhr u. 20.30 Uhr; 24.2., 20 Uhr u. 22.30 Uhr