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Marysia Zimpel, Enrico Ticconi und Nitsan Margaliot (v.l.) in "Oilinity".
© Dorothea Tuch

Choreografin Kit Válastur mit "Oilinity" im HAU: Wenn der Sprit ausgeht

Choreografin Kat Válastur erkundet im HAU den Zusammenhang von Melancholie und Öl.

Die Nähe zur bildenden Kunst fällt gleich in die Augen, insofern passt „OILinity“, die neue Tanzperformance von Kat Válastur, gut zum Gallery Weekend. Die aus Griechenland stammende Válastur ist derzeit eine der aufregendsten Choreografinnen der Berliner Tanzszene. Ihr gelingt es immer wieder, Archaisches und Zeitgenössisches miteinander zu verbinden. Einen Namen hat sie sich mit dem Zyklus „Oh! Deep Sea – Corpus I – IV“ gemacht, der von Homers „Odyssee“ inspiriert ist. Dem berühmten Epos hat sich Válastur nicht auf narrative Weise genähert, sondern in minimalistischer Choreografie die Odyssee abstrakt als Irrfahrt eines Körpers durch Raum und Zeit interpretiert. Die Choreografin taucht aber nicht nur in alte Mythen ab, sondern hat auch ein Gespür für gesellschaftliche Befindlichkeiten. Mit dem neuen Stück „OILinity“ schließt sie nun die Trilogie „The marginal Sculptures of NEWtopia“ ab.

Wie Kat Válastur die Körper im Raum arrangiert, das hat oft skulpturale Raffinesse. Auch die Eröffnungsszene von „OILinity“ im HAU 2 zieht gleich in den Bann. Die Tänzer Nitsan Margaliot, Enrico Ticconi und Marysia Zimpel verharren anfangs in einer Art Symbiose, pressen sich aneinander, bilden ein Dreieck. In einem plötzlichen Impuls werfen sie ihre Köpfe zurück, als wollten sie sich losreißen – und schmiegen sich dann noch enger aneinander. Die beiden Bilder im Hintergrund zeigen ein florales Muster hinter einem Raster aus Sechsecken, wie man es von Spielen kennt. Auch „OILinity“ ist als Spiel gedacht, doch es hat auch etwas von einem merkwürdigen Ritual. Die Kostüme der Tänzer haben dasselbe Muster wie die Bilder, und manchmal scheinen die Figuren mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Drei rätselhafte Objekte, von schwarzen, gummiartigen Hüllen verdeckt, ziehen die Aufmerksamkeit der Tänzer auf sich. „Spinning Melancholy“, „Ironic Fountain“ und „Warvase“ sind sie benannt. Zögernd, fast furchtsam nähern sich die Tänzer den Objekten, die eine starke Anziehung ausüben, und prallen doch immer wieder zurück. In sicherer Entfernung gehen sie auf die Knie in einer Art kultischer Anbetung – was durchaus etwas Komisches hat. Später pflügen sie mit resoluteren Bewegungen vorwärts. An der „Ironischen Fontäne“ scheinen sie Energie aufzutanken und werden wieder in hohem Satz zurückgeworfen.

Die These: Eine Zivilisation, die auf Öl basiert, ist melancholisch

Auch wenn es sich nicht unbedingt erschließt: Kat Válastur folgt in „OILinity“ der Ölspur. Ein Aufenthalt in Baku, einem Zentrum der Ölindustrie, gab den Anstoß zu dem Projekt. Die zugrunde liegende These, zugespitzt: „Eine Zivilisation, die auf Öl basiert, ist melancholisch.“ Válastur geht es auch um eine gesellschaftliche Zustandsbeschreibung. Und eine gewisse Melancholie strahlen auch die Tänzer in Fitness-Klamotten aus, trotz aller Anstrengungen muten die Aktionen der Performer sinnlos an. Eine nächste Stufe, ein neues Level erreicht in diesem Spiel keiner. Die tollen Tänzer verstehen aber die Spannung zu halten in diesem Parcours quälender Wiederholungen. Sie sind dazu verdammt, immer aufs Neue nach Energiequellen zu suchen. Wenn sie das Kraftfeld betreten, müssen sie jedes Mal gegen einen unsichtbaren Widerstand ankämpfen. Nichts läuft hier wie geschmiert.

Die energetische Aufladung der Körper veranschaulicht Kat Válastur in repetitiven Bewegungssequenzen. Die Tänzer haben hier fast etwas Roboterartiges, wenn sie durch den Raum pflügen. Doch die Energie läuft auf seltsame Weise ins Leere. Die abstrakten Bewegungen werden oft mit einer expressiven Gestik kombiniert. Mehrfach bedecken die Tänzer ihr Gesicht, zunehmend ratloser. Und sie scheinen sich mit der Zeit selbst unheimlich zu werden: Nitsan Margaliot hält sich einmal die Hand vor den Mund, als ob ihm ein giftiger Atem entströmen würde.

Die Tänzer müssen immer wieder einen neuen Anlauf nehmen, ohne dass es ihnen gelänge, die obskuren Objekte zu enthüllen. Und auch die Zuschauer spannt Válastur auf die Folter. Erst ganz am Ende, wenn man es schon nicht mehr erwartet, werden die Tücher abgestreift. Das Schlussbild: surreal. Enrico Ticconi steht auf einer rotierenden Scheibe, dreht sich im Kreis. Marysia Zimpel vergießt eine schwarze, zähe Flüssigkeit, sodass sich eine kleine Öllache bildet. In „OILinity“ können die Tänzer sich nicht aus dem fatalen Kreislauf befreien. Ebenso clean wie clever gestaltet Kat Válastur dieses Spiel um schmutzige Energien – und fügt noch einen Schuss schwarzen Humor hinzu. Am Ende steht die Frage im Raum: Wie geht’s weiter mit der Energiewende?

noch einmal am heutigen Samstag, 30. April, um 19 Uhr im HAU 2

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