Schädliche Großveranstaltungen: Wenn der Sport die Stadt zerstört
Von wegen Notre-Dame zügig wieder aufbauen: Großveranstaltungen wie die Olympischen Spiele oder Fußball-WMs schaden Städtebau und Klima.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wünscht sich, dass die brandversehrte Kathedrale Notre-Dame bis zu den Olympischen Spielen 2024 in Paris wieder in neuem Glanz erstrahlt. Obwohl Fachleute warnen: Das ist nicht zu schaffen und führt zu Baumängeln und Pfusch. Trotzdem gilt immer noch: Führt jemand das Zauberwort „Olympia“ im Mund, stehen alle stramm.
Warum eigentlich? Wann hört das endlich auf, dass sportliche Großveranstaltungen wie die Olympischen Spiele oder die Fußball-WM in den Städtebau eingreifen – meist mit verheerenden Folgen? Denn sie nehmen gleich doppelt Einfluss. Einmal direkt, indem sie fast immer architektonischen Ballast hinterlassen, den niemand mehr braucht, und zerstörte Finanzhaushalte. Und indirekt, durch das beliebte und immer wiedergekäute Argument, dass bestimmte Projekte „bis dahin fertig werden“ müssten – auch wenn diese Projekte mit Sport gar nichts zu tun haben und ihnen die Eile häufig auch alles andere als gut tut.
Die Folgen kann man vor der Haustür besichtigen, in Berlin. 2006 meinte ein Bahnchef, der Hauptbahnhof müsse unbedingt zur Fußball-WM eröffnet sein, obwohl für die meisten Fans die paar Tage mit Sicherheit keinen Unterschied gemacht hätten. So ließ er das Dach verkürzt errichten. Wegen zwei gewonnener Wochen steht der Bau auf ewig verstümmelt in der städtischen Landschaft herum, als Hartmut-Mehdorn-Gedenkstätte für abgebrochenes Denken. Droht Ähnliches in Paris? Wird die neu eröffnete Kathedrale ein hastig zusammengeschusterter Zombie? Hauptsache, sie ist rechtzeitig fertig geworden?
Spaß steht in keinem Verhältnis zu den städtebaulichen Grässlichkeiten
Es muss ein Ende damit haben, dass sich globale Sportevents in den Städten niederlassen wie Heuschrecken auf den Feldern und sich nicht um Nachhaltigkeit scheren. Dass ein paar Dutzend korrupte Funktionäre unsäglich reich werden, während sie innerlich die Massen beklatschen, die sich mit Medaillen und Pling-Pling-Pokalen abspeisen lassen. Die Gründe, warum ein Wüstenstaat wie Katar die nächste Fußball-WM austragen wird, liegen so glasklar an der Oberfläche, dass „obszön“ ein zu harmloses Wort dafür ist.
Was an Olympia und an der Fußball-WM schön ist und Spaß macht, steht in keinem Verhältnis zu den ökologischen und städtebaulichen Grässlichkeiten, die sie auslösen – und die signifikant länger nachwirken. Montreal hat 30 Jahre unter den Schulden seiner Olympischen Spiele von 1976 gelitten, Südafrika zu seinen monumentalen sozialen Problemen jetzt noch ein paar überflüssige Stadien hinzubekommen. In Rio de Janeiro steht das Abwasser in neuen Sportstätten, während die aus ihren Vierteln vertriebenen Armen mehr denn je hungern. Für die Winterspiele im subtropischen Sotchi wurde ein riesiger Steinbruch in ein Naturschutzgebiet getrieben, unter anderem.
Olympia kann auch Förderer von Nachhaltigkeit sein
Es gibt auch positive Gegenbeispiele. Fälle, in denen sich Olympia als Freund und Förderer einer nachhaltigen Stadtentwicklung erwiesen hat. München mit seiner U-Bahn vielleicht. Andererseits sind die Fußballer vom FC Bayern längst aus dem Olympiastadion ausgezogen, zum Glück gibt es noch Konzerte und Papstmessen, sonst wüsste man gar nicht, wofür man den Bau von Frei Otto nutzen sollte.
Ein Schicksal, dass dem Berliner Pendant von 1936 übrigens ebenso droht, Hertha will ein neues Stadion bauen, ohne störende Leichtathletik-Bahn. Barcelona hat zu den Olympischen Spielen 1992 die neuen Mittelmeerstrände geschenkt bekommen und wurde weltweit bekannt – was sich aber als Fluch erwiesen hat, die Stadt ächzt unter einem entfesselten Tourismus. Nicht ohne Grund fallen Volksentscheide immer häufiger gegen Olympia aus, während Diktaturen gerne ihre Arme und Geldbeutel öffnen.
Manche gerade in Berlin sind der Meinung, es sei doch gut, wenn mal jemand von außen Druck macht, etwas zu vollenden. Bitteschön, fertig werden ist nicht alles! Wir können froh sein, dass der BER nie fertig wird. Angesichts eines galoppierenden Klimawandels und immer neuer Hitzesommer, in denen 30 Grad die neuen 20 Grad sind, entpuppt der sich doch mehr und mehr als geniales Avantgardeprojekt, das die Zukunft vorwegnimmt. Wenn „Flugscham“ mehr sein soll als eitles Gerede, wenn wir ernst machen wollen mit einem neuen, klimaverträglichen Reisen, dann reicht Tegel völlig aus. Die Passagierzahlen werden den Flughäfen angepasst, nicht umgekehrt. Und endlich weiß man auch, was man den Münchnern erwidert, wenn die mal wieder zu spotten anfangen. Nämlich: Und wann schließt’s ihr euren Flughafen?
Oylmpia künftig nur noch in Griechenland
Welche Konsequenzen hat das alles für den Sport? Pierre de Coubertin, Begründer der Olympischen Spiele der Neuzeit, hielt es noch für eine gute Idee, diese alle vier Jahre in einem anderen Land stattfinden zu lassen: Austausch, Völkerfreundschaft, solche Dinge. Er konnte nicht ahnen, zu welchen ressourcenfressenden Monstern sich die Spiele entwickeln würden, mit allen schädlichen Folgen für Umwelt und Klima. Die Lösung liegt auf der Hand: Olympia findet künftig immer am gleichen Ort statt, also in Griechenland.
Zu langweilig? Killt die Quote? In einer Welt, in der das, was man früher „schönes Wetter“ nannte, zunehmend zum Fürchten ist, wird es Zeit, umzudenken. Man baut die sportliche Infrastruktur ein einziges Mal auf, dann ist alles da, im vierjährigen Turnus wird für die internationalen Athleten aufgeschlossen, den Rest der Zeit kümmert sich ein Hausmeister um die Anlagen, wie in antiken Zeiten. Und dann müssen endlich auch keine Kathedralen mehr rechtzeitig fertig werden.