Unesco-Sitzung in Krakau: Welterbekomitee nimmt 21 neue Stätten auf
Opfer des eigenen Erfolgs: Das Unesco-Welterbekomitee erweitert die Liste auf 1076 Stätten des Natur- und Kulturerbes. Naumburg muss weiter warten.
In den vergangenen Jahren war das Thema „Unesco-Weltkulturerbe“ immer überschattet durch die mutwilligen Zerstörungen, die Terroristen unter dem Signum des „Islamischen Staats“ an historischen Stätten verübten, insbesondere an den antiken Ruinen von Palmyra. Das scheint fürs Erste vorbei. Doch das Bewusstsein der Gefährdung und die Angst vor neuerlichen Terrorakten lassen sich nicht mehr verdrängen.
Business as usual? Die Unesco versucht es zumindest. Ihr Welterbekomitee hat im Rahmen seiner 41. Sitzung, die noch bis zum Mittwoch im polnischen Krakau abgehalten wird, erneut 21 Stätten des Kultur- und Naturerbes aufgenommen, sodass die Liste derzeit 1076 Positionen umfasst. Gut möglich, dass zum Abschluss noch der ein oder andere weitere Antrag Zustimmung findet.
Ganz sicher jedoch nicht der aus Naumburg: Der Naumburger Dom, mit seinen Skulpturen unzweifelhaft ein Hauptwerk des Hochmittelalters und der Romanik, fiel zum zweiten Mal durch. War der erste Antrag als „zu wissenschaftlich“ beurteilt worden – eine interessante Begründung! –, so gefiel dem Komitee diesmal die Einbeziehung der gesamten Landschaft an Saale und Unstrut nicht; es empfahl für eine dritten Anlauf die Beschränkung allein auf den Dom.
Das Gütesiegel der Unesco hat sich weltweit durchgesetzt
Fährt man gelegentlich mit dem Zug durch die besagte Gegend und sieht Kirchen und Burgen in dichtem Abstand aufleuchten, fragt man sich schon – etwa im Vergleich mit dem Weltkulturerbe Oberes Mittelrheintal – , ob die Unesco ihre Kriterien konsistent und in jedem Fall gleichartig auslegt.
Noch müßiger ist es, die Einwände gegen die immer weitere Vergrößerung der Welterbeliste aufzuführen. Die Liste ist ein Opfer ihres eigenen Erfolgs. Das Gütesiegel der Unesco hat sich weltweit derart durchgesetzt, dass jeder Reiseveranstalter, jede Touristengruppe weiß, dass sich dahinter etwas Herausragendes verbergen muss, das jeden Umweg lohnt.
Man kann darüber spekulieren, ob die Terroristen des „IS“ sich Palmyra nur deshalb als Ziel wählten, weil sie sich der weltweiten medialen Aufmerksamkeit sicher sein konnten. Unzweifelhaft ist, dass das Unesco-Siegel – unabhängig von terroristischer Gefährdung – erhebliche, auch finanzielle Probleme aufwerfen kann, insbesondere im Hinblick auf Übernutzung, die im Eifer der Antragstellung nicht gesehen werden.
In Deutschland ist weniger das ein Problem als fallweise die Weiterentwicklung der Umgebung von Welterbestätten, sei es durch Brücken wie in Dresden oder – künftig – nahe der Loreley, sei es durch Hochhäuser wie in Köln. Ansonsten läuft beim Organisationsweltmeister Deutschland alles glatt, nun sind schon 42 Welterbestätten verzeichnet. Neu: die eiszeitlichen Höhlen in der Schwäbischen Alb, vor rund 43 000 Jahren erstmals von Nomaden besiedelt, die dort im Laufe der folgenden 10 000 Jahre figürliche Kunstwerke schufen wie Musikinstrumente, Schmuck und vor allem die kleine „Venus vom Hohle Fels“ aus Mammutelfenbein, die älteste bekannte Darstellung eines Menschen überhaupt.
Zwei Hauptwerke des Bauhaus-Direktors Hannes Meyer kamen hinzu
Erweitert wurde das bereits gelistete Erbe „Bauhaus“ um die Laubenganghäuser in Dessau sowie die einstige Gewerkschaftsschule in Bernau bei Berlin, zwei Hauptwerke des zweiten Bauhaus-Direktors Hannes Meyer aus den späten zwanziger Jahren. Meyer stand immer im Schatten des Bauhaus-Gründers Walter Gropius; er war seiner kommunistischen Gesinnung halber nicht wohlgelitten. Der gebürtige Schweizer ging nach der Entlassung aus dem Dessauer Amt durch die im Stadtrat zur Mehrheit gelangte NSDAP 1930 in die UdSSR, ohne dort wie erhofft zu reüssieren.
Die jahrzehntelang recht eurozentrische Welterbeliste ist inzwischen spürbar diversifiziert worden. Auch diesmal wurden erneut Anträge aus Staaten berücksichtigt, die bislang nicht auf der Liste vertreten waren, Angola und Eritrea. Beide Nominierungen sind insofern bemerkenswert, als sie für die kulturelle Vermischung im Zuge von Imperialismus und Kolonialismus stehen. Die Altstadt von M’banza Kongo in Angola zeugt vom Einfluss der portugiesischen Kolonialherren seit dem 15. Jahrhundert, während die eritreische Hauptstadt Asmara überhaupt eine Kolonialgründung der Italiener aus dem späten 19. Jahrhundert darstellt. In der Mussolini-Zeit kam eine Fülle modernistischer Bauwerke hinzu. Eritrea, das diese koloniale Hinterlassenschaft durchaus schützt, hat sich bislang gegenüber der Außenwelt abgeschottet. Daher wird der Unesco-Antrag als Zeichen einer ersten Öffnung begrüßt.
Hochpolitisch ist die Aufnahme der Altstadt von Hebron (Al-Khalil) im Westjordanland, dreißig Kilometer südlich von Jerusalem. Unter dem Namen Palästina sind die Palästinensischen Autonomiegebiete, wie sie seitens Israels bezeichnet werden, von mittlerweile 136 UN-Mitgliedstaaten anerkannt; in der Unesco besitzt Palästina seit 2011 Vollmitgliedschaft. Hebron ist mit dem Grab Stammvater Abrahams ein Heiligtum aller drei monotheistischen Religionen. Unesco-gewürdigt wird, religionsneutral, die Altstadt aus ägyptisch-mameluckischer Herrschaftszeit von 1250 bis 1517. Israels Ministerpräsident Netanjahu hat sofort mit dem Entzug eines Drittels der israelischen Beiträge reagiert und will stattdessen ein Museum des jüdischen Kulturerbes in Hebron finanzieren.
Viele Welterbestätten sind Teil der Geschichte von Kriegszügen und Unterwerfungen oder stehen für eine Vergangenheit, die heute, je nach Standpunkt des Betrachters, nicht mehr opportun erscheint. Um solche Klippen muss die Unesco manövrieren. So hat die Volksrepublik China eine Hochebene als Naturdenkmal nominiert, ein Teil ihrer Provinz Qinghai – und zugleich Teil des in seinen Grenzen lose und wechselhaft bestimmten Tibet, das China unter Mao 1957 zur Gänze annektiert hat. Über das Konzept zur Erhaltung von Qinghai Hoh Xil – so der offizielle Name – wüsste man gerne mehr, in Anbetracht der Politik der ökonomischen und demografischen Entwicklung, die China mit Macht verfolgt.
Ein Hochaus-Vorhaben brachte die Wiener Innenstadt auf die "Rote Liste"
Mit der Erhaltung eines einmal anerkannten Welterbes, zumal seinem Umfang und seiner Ausstrahlung, tun sich viele Länder schwer. In Wien hat das Vorhaben eines massiven Hochhauses die Unesco bewogen, den Welterbestatus der Innenstadt durch das Warnsignal der „Roten Liste“ als höchst gefährdet einzustufen – insofern pikant, als Wien von einem rot-grünen Stadtrat regiert wird, der das umstrittene Bauprojekt leichthin durchgewinkt hat.
Erst recht ein einziges Trauerspiel wird in Venedig aufgeführt. Die unverminderte Einfahrt von Kreuzfahrt-Riesenschiffen in die Lagune, spektakulär am Markusplatz vorbei, steht in krassem Widerspruch zur Erhaltung der siechen Altstadt. Alle Versuche versanden, inner- wie außeritalienisch, dem Kommunalfilz und der Profitgier Einhalt zu gebieten Auch die Unesco konnte sich bislang nicht zu einem deutlichen Votum durchringen: Venedig auf die Rote Liste! Selbst wenn dies wohl kaum etwas hülfe, so wäre es zumindest ein Signal: dafür, dass die Unesco nicht nur ein Abnickverein zum fortgesetzten Wachstum ihrer Welterbeliste ist und bleiben möchte.
Bernhard Schulz
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