Adelbert-von-Chamisso-Preis: Wegen Erfolgs eingestellt
Finale ohne Protest: In München wurde zum allerletzten Mal der Adelbert-von-Chamisso-Preis für Migrationsliteratur verliehen - an Abbas Khider.
„Kill me so nice and slow“, singt die bayerische Kenianerin Gladys Mwachiti zur Einstimmung auf die Verleihung des 33. Adelbert-von-Chamisso-Preises in der Allerheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz: Töte mich so angenehm und langsam. Es klingt wie ein unfreiwilliger Kommentar zur Entscheidung der Robert-Bosch-Stiftung, ihre 1985 erstmals an den türkischstämmigen Schriftsteller Aras Ören vergebene Auszeichnung mit der diesjährigen Ausgabe einzustellen.
In der Fülle hiesiger Literaturlorbeeren unterschied sich der Chamisso-Preis durch seine Adressaten, nämlich „herausragende auf Deutsch schreibende Autoren, deren Werk von einem Kulturwechsel geprägt ist“, wie es in der Satzung heißt. Dem Linguisten Harald Weinrich war es in den frühen achtziger Jahren als Initiator darum gegangen, „um eine deutsche Literatur von außen zu bitten“. Die Geschäftsführerin der Robert Bosch Stiftung Uta-Micaela Dürig skizziert in München den gesellschaftlichen Wandel, der aus Sicht ihres Hauses die Ehrung überflüssig gemacht hat: „Es war damals die absolut richtige Idee. Man hat später nicht mehr von Gastarbeiter-Autoren und -Literatur gesprochen, sondern von Migrationsliteratur. Und heute haben wir Autoren, die vollkommen – das ist unsere Überzeugung – im deutschen Literaturbetrieb angekommen sind.“
In der Regel fördert die Bosch Stiftung gesellschaftlich relevante Projekte bis zu maximal zehn Jahren, im Fall des Chamisso-Preises waren es am Ende sogar stolze 33. Die frei werdenden Mittel sollen jetzt um 200 000 Euro aufgestockt werden und ganz in die Chamisso-Begleitförderung an Schulen fließen. Aber ob damit auch die Talente unter den seit 2015 ins Land kommenden Flüchtlingen aus dem Nahen Osten erreicht werden?
Die Serbin Barbi Markovic erhielt einen der Förderpreise
Im warm ausgeleuchteten Mittelschiff der Allerheiligen-Hofkirche regt sich zum Abschied kein Protest, sondern nur vereinzelt Bedauern. Etwa beim Juror Michael Krüger, als er einen der beiden Förderpreise an die gebürtige Serbin Barbi Markovic für ihren magischen Wien-Roman „Superheldinnen“ (Residenz) mit den Worten überreicht: „Wir hoffen ja alle immer noch, dass sich jemand findet, der den Preis irgendwann weiterführt.“ Laudatorin Wiebke Porombka preist Marcovics Vermögen, im Collage-Verfahren Städte „abzuschreiben“: „Wie einstmals Döblin fügt sie das Flüchtige zusammen, die Sprache der Stadt, wie sie mittelbar wirkt und unmittelbar auf den unzähligen Beschilderungen und Leuchtreklamen prangt und so das Leben mit einem Unterstrom der Reglementierung und der Eintrittsverbote versieht, den jedoch diejenigen nicht mehr spüren, die zu sehr an ihn gewöhnt sind.“ Werden solche Attribute eines fremden Blicks in Zukunft bei deutschen Literaturpreisen wirklich angemessen berücksichtigt werden?
Nichts gegen den charmanten, soeben zum Mainzer Stadtschreiber gekürten Iraker Abbas Khider und seinen vierten, auf Deutsch verfassten Roman „Ohrfeige“ (Hanser), der ein gemischtes Echo fand. Doch dass die Wahl erneut auf Khider fiel, nachdem er bereits 2010 einen Chamisso-Förderpreis erhalten hatte, erscheint symptomatisch: Der Literaturauszeichnung sind allmählich die Kandidaten ausgegangen. Bereits 2009 hatte ein Marbacher Symposium zum 25. Jahrestag die Frage „Chamisso – Wohin?“ aufgeworfen.
2016 wurden zwei gebürtige Deutsche ausgezeichnet
Im vergangenen Jahr wurde die Definitionskrise dann offenkundig, als mit der Lyrikerin Uljana Wolf und der Prosaautorin Esther Kinsky erstmals in der Geschichte des Preises zwei gebürtige Deutsche gekürt wurden. Die Jury schlug in ihrer Begründung gehörig Pirouetten, um die Vermittlungsarbeit der Preisträgerinnen zwischen den Sprachen zu rühmen.
Dennoch besteht die Hauptleistung des Preises darin, die Debatte um Sprachwechsler lebendig gehalten zu haben. Oder wie Meike Fessmann in ihrer Laudatio auf den tamilisch-deutschen Förderpreisträger Senthuran Varatharajah sagt: „,Vor der Zunahme der Zeichen’ hebt das Gespräch über Migration auf eine andere Ebene. Der Roman fordert vom Leser nicht Mitgefühl, sondern Mitdenken. Und er macht uns klar, wie lohnenswert Differenzierungskunst sein kann, gerade auch in der Literatur.“
In seiner Laudatio erinnerte F. C. Delius an die erste Einwandergeneration
Der Schriftsteller Friedrich Christian Delius schlägt in seiner beeindruckenden Lobrede auf Abbas Khider den passenden historischen Bogen. Er erinnert an die erste Einwanderergeneration der Bundesrepublik, die offiziell nie ein Einwanderungsland sein wollte: „Vor 51 Jahren führte ein unbekannter italienischer Autor namens Pasolini in der Berliner Kongresshalle einen seiner Filme vor und sprach von der ,Dritten Welt in Deutschland’. Er meinte die sizilianischen und kalabresischen Bauern, die in Deutschland Arbeiter wurden. Pasolini hat man damals nicht verstanden (ich weiß es, ich war dabei), Aras Ören schon ein wenig besser. Aber verstehen wir Abbas Khider? (Das weiß ich nicht).“
Diesen fruchtbaren Selbstzweifel gilt es zu bewahren. Denn selbst wenn es nachvollziehbar ist, dass sich der Adelbert-von-Chamisso-Preis selbst entbehrlich gemacht hat: Als Forum wird er auf jeden Fall fehlen.
Katrin Hillgruber
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