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Zwischen Berlin und Bagdad, Fakten und Fiktionen. Abbas Khider.
© Peter-Andreas Hassiepen/Hanser

Abbas Khider im Interview: "Ich habe eine Mauer um mich herum gebaut"

Der Schriftsteller Abbas Khider über Heimat, Exil und seinen neuen Roman "Ohrfeige", der unter Asylbewerbern spielt.

Abbas Khider, 1973 in Bagdad geboren, lebt seit 2000 in Deutschland. In den 90er Jahren verkaufte er in Bagdad verbotene Bücher, denen er hin und wieder regimekritische Gedichte oder Flugblätter beilegte. Dies brachte ihn mehrfach ins Gefängnis. Seine Erfahrungen mit Folter, Flucht und Migration verarbeitete er in den Romanen „Der falsche Inder" (2008), „Die Orangen des Präsidenten“ (2011) und „Brief in die Auberginenrepublik“ (2014).

Khider, der in München und Potsdam Literatur und Philosophie studierte, erhielt unter anderem 2010 den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis und zuletzt den Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund. Mit „Ohrfeige“ (Hanser Verlag, 224 Seiten, 19,90 €) hat der Wahlberliner, der seit 2007 die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, gerade seinen vierten Roman vorgelegt. Darin erzählt er vom hindernisreichen Leben als Asylbewerber.

Herr Khider, noch zu Zeiten Saddam Husseins haben Sie auf den Straßen Bagdads Bücher von irakischen Exilanten und Regimegegnern verkauft.
Ja, verbotene Bücher waren immer das beste Geschäft. Dadurch habe ich viele Menschen kennengelernt, die gegen die Regierung waren. Plötzlich war ich mittendrin, ohne zu wissen, dass ich gerade den Fehler meines Lebens begehe.

Sie landeten 1993 im Gefängnis.
Mir war schnell klar, was es bedeutet, in einem Verhörraum zu sitzen. Man wird gefoltert, und man kann nicht alles ertragen. Die Methoden sind unmenschlich, unbeschreiblich. Man ist bereit, alles zu sagen. Ich hatte das Problem, dass ich viele Leute kannte, die mit verbotenen Parteien zusammenarbeiteten – und ich sollte Namen nennen. Wir mussten zugeben, dass wir Verräter sind. Dass wir die Regierung und Saddam Husseins Baath-Partei beleidigt haben.

Wie verarbeiten Sie die Erinnerungen?
Ich bin jemand, der nicht gut mit der Vergangenheit umgehen kann. Erinnerungen an Menschen, die mir einmal nahestanden, schalte ich aus. Ich habe eine Mauer um mich herum gebaut und lebe dahinter wie ein einsamer Schöpfer. Jeder, der mir etwas Unschönes von früher mitbringen will, muss draußen bleiben.

In Ihren Romanen schreiben Sie über Folter und Flucht und verbinden dabei eigene Erfahrungen mit Fiktion. Wieso diese literarische Strategie?
Meiner Meinung nach gibt es zu viele Geschichtsfälschungen. Das liegt daran, dass die Geschichte nicht von einfachen Menschen geschrieben wird, sondern von Regierungen und Herrschern. Ich aber schreibe darüber, wie einfache Menschen die Welt sehen.

An Ihrem aktuellen Roman über Asylbewerber in Deutschland haben Sie fast vier Jahre gearbeitet. Inzwischen ist das Thema wieder höchst aktuell.
Als ich anfing, konnte ich das nicht wissen. Meine erste Idee war ein Gesamtbild der Migranten und Asylbewerber in Deutschland. Wie sie leben, wie sie träumen, wie ihr Leben funktioniert. Ich hatte keinen Roman in deutscher Sprache gefunden, der in einem Asylantenheim spielt. Da dachte ich mir: Das ist eine Möglichkeit, etwas Neues zu bringen.

In „Ohrfeige“ erscheinen die meisten Deutschen als starrsinnige Bürokraten ohne Verständnis für die Situation der Flüchtlinge.
Es stimmt: Die Deutschen im Buch sind herzlos und gelangweilt. Das hat aber weniger mit ihnen selbst zu tun, sondern mehr damit, wie die Asylbewerber die Deutschen sehen. Sie können mit ihnen nicht richtig reden, weil sie die Sprache nicht beherrschen. Sie treffen immer wieder dieselben Berufsgruppen: Hausmeister, Caritas-Angestellte, Polizisten. Und diese Menschen, die ständig mit den Asylanten zusammen sind, sind im Laufe der Zeit fix und fertig.

Warum sind sie das?
Es gibt so viele Probleme, die man nicht lösen kann, weil jeder sagt: „So ist das Gesetz.“ Ich kritisiere also nicht die deutsche Gesellschaft, sondern das Verwaltungssystem, das uns zu komischen, gelangweilten Kreaturen gemacht hat. Auf der einen Seite stehen die Einheimischen als diese Kreaturen, auf der anderen Seite Asylanten, die nur in Angst leben: erst um die Aufenthaltserlaubnis, dann vor dem Widerruf.

Was ist am wichtigsten im Umgang mit Flüchtlingen?
Das größte Problem liegt darin, wie man einen anderen Menschen ansieht. Wenn man ihn als minderwertig betrachtet, kann man ihm alles antun, ohne schlechtes Gewissen. Und das passiert mit den Asylbewerbern.

Nach den Anschlägen von Paris steigt vielerorts die Angst vor islamistischem Terror. Erleben Sie als Araber Misstrauen?
Zurzeit ist es schlimmer als nach dem 11. September 2001. Ich bin herzlich willkommen auf allen Flughäfen (lacht). Man hat immer das Gefühl, der Fremde zu sein.

Rechtsradikale, Pegida- und AfD-Anhänger: Wie würden Sie die umstimmen?
Ich organisiere für sie eine Ausbildung, für eine Woche: Zwei Tage müssen sie dort leben, wo die Flüchtlinge herkommen. Zum Beispiel in einem afrikanischen Dorf oder in Syrien mit ISIS. Dann zwei Tage in einem Asylantenheim in Bayern oder in Brandenburg. Und anschließend müssen sie zwei Tage lang bei den deutschen Behörden ihren Papieren hinterherlaufen. Danach lass uns reden!

Ihr Roman dreht sich um junge arabische Männer. Sexualisierte Gewalt geht von ihnen nicht aus. Wie erklären Sie sich die Ereignisse der Kölner Silvesternacht?
Jeder ist für sich allein verantwortlich. Wenn du jemanden auf der Straße schlägst, bist du ein Verbrecher. Wenn das aber ein Asylant oder Flüchtling tut, ist er plötzlich zuständig für sein ganzes Land und Volk, er ist Träger einer Kultur. Dabei sind das auch nur einfache Menschen, überfordert und gelangweilt. Wir wissen nicht so viel von ihnen.

Sie sehen also kein problematisches Frauenbild in der islamischen Welt?
Frauen sind überall in einer furchtbaren Situation – in der arabischen Welt doppelt. Hier in Europa gibt es den Feminismus. Trotzdem werden Frauen ausgenutzt, sie sind ein Spielzeug der Werbung. Wir alle müssen über Sexismus reden, selbst im offenen Deutschland.

Doch dadurch, dass in Köln Asylbewerber unter den Tätern waren, geht die Diskussion derzeit in eine andere Richtung.
Selbst wenn Flüchtlinge in der Silvesternacht dabei waren: Die haben Scheiße gebaut, da gibt es ein Gesetz und das gilt. Für alle, Deutsche wie Migranten. Basta. Machen wir daraus kein Drama, fangen wir nicht an, plötzlich alles infrage zu stellen. Weil darunter die Hunderttausende leiden, die nur Sicherheit suchen. Die haben sie nämlich dann nicht mehr, sie bekommen Angst vor Deutschen. Die Deutschen bekommen wiederum Angst vor ihnen. Das ist ein Teufelskreis.

Könnten Sie sich vorstellen, in den Irak zurückzukehren, wenn sich die politische Lage stabilisiert?
Ist die Frage ernst gemeint? Ich bin jetzt 42, das heißt: etwa 20 Jahre arabische Welt, 20 Jahre Exil. Erwachsen geworden bin ich erst in der Fremde. Im Irak vermisse ich nichts außer meiner Familie. Wenn sie nicht da wäre, wäre es vorbei mit dem Ort. Das sieht man auch an meinen Büchern: Es gibt keine Sehnsuchtsorte in meinen Romanen. Ich beschreibe Orte nicht wie andere alte irakische oder arabische Autoren, die im Exil leben. Die malen sie regelrecht, weil sie in der Kindheit eine schöne Zeit erlebt haben. In meiner Kindheit begann der Krieg. Ich habe nur Diktatur und Kriege erlebt. Deswegen verspüre ich keine Sehnsucht, keine Nostalgie. Wenn ich jetzt sage, ich komme zurück nach Hause, dann meine ich Deutschland, dann meine ich Berlin.

Lesen Sie hier ein Interview von 2011, in dem Abbas Khider im Tagesspiegel über den arabischen Frühling und seine Flucht nach Deutschland spricht.

Das Gespräch führte Kaspar Heinrich. Abbas Khider stellt sein Buch am 24.2. in der Akademie der Künste am Pariser Platz vor und am 1.3. im Georg Büchner Buchladen.

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