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Tauwetter. Die amerikanische Choreografin und Tänzerin Lois Alexander arbeitet in "Neptune" mit Eisblöcken.
© Gerhard Ludwig

Tanztage Berlin 2020: Wasser ist weiblich

Bei den Tanztagen präsentiert sich der Nachwuchs der Berliner Szene – die jetzt vom Senat kräftig gefördert wird.

Alle wollen dabei sein, wenn die Tanztage Berlin das neue Jahr einläuten. Und so herrschte auch diesmal wieder großer Andrang in den Sophiensälen. Bis ins Treppenhaus standen die Glücklichen, die ein Ticket ergattert hatten, an. Das Low-Budget-Festival ist das wichtigste Forum für den choreografischen Nachwuchs. In die Neugier auf neue Namen mischt sich Abschiedsschmerz.

Denn dies ist die letzte Ausgabe der Tanztage, die Anna Mülter verantwortet. Die Kuratorin und Dramaturgin, deren Karriere einst am Hebbel am Ufer unter der Intendanz von Matthias Lilienthal startete, wird ab Sommer 2021 die künstlerische Leitung des internationalen Festivals „Theaterformen“ in Hannover und Braunschweig übernehmen.

Anna Mülter hat in den vergangenen sechs Jahren stark auf politische Themen und auf Diversität gesetzt. Entdeckungen hat es in in dieser Zeit durchaus gegeben, neben so manchen Eintagsfliegen.

Einige der jungen Talente, die bei den Tanztagen ihre ersten choreografischen Gehversuche zeigten, gehören heute zur Szene wie etwa Jule Flierl. Bei der 29. Ausgabe präsentiert sie wieder überwiegend queerfeministische und postkoloniale Positionen. Zur Eröffnung gab es gleich drei Premieren, alle von Choreografinnen.

US-Amerikanerin Lois Alexander ist eine Entdeckung

Eine Entdeckung ist auch die amerikanische Choreografin und Tänzerin Lois Alexander. Mit ihrem Solo „Neptune“ will sie die Klimakrise auf die Bühne bringen – so hat es zunächst den Anschein. Neun kleinere Eisblöcke hängen an Ketten über dem Bühnenboden und markieren die Spielfläche.

Man kann dabei zusehen, wie das gefrorene Wasser schmilzt und sich Pfützen und Rinnsale bilden. Auch wenn der ökologische Aspekt durchaus mitschwingt, so fließen in die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Element Wasser doch auch andere Aspekte ein. Wasser ist für die Choreografin ein weibliches Element, und das Solo ist eine Selbstbefragung, in der sie sich mit ihrer Position als Woman of Color auseinandersetzt.

Sie sitzt in der Mitte der Bühne und hält einen runden Spiegel in den Händen. Zunächst lenkt sie das reflektierte Licht auf einzelne Zuschauer. Dann tritt sie selbst in das Spiegelstadium ein: Sie platziert den Spiegel so, dass ihr Kopf nicht mehr zu sehen ist. Dafür wird ihr Arm verdoppelt, der wie ein Schwan anmutet. Oder ein abgewinkeltes Bein wächst plötzlich mit seinem Spiegelbild zusammen. Es sind groteske Anatomien, die sie hier entwirft.

Sprenge deine Fessel

Lois Alexander spielt in ihren Bewegungen mit dem Gestaltlosen und dem Gestaltwandel, mit dem Festen und dem Flüssigen. Später steht sie in einer triumphierenden Haltung da und hält eine Kette in den Händen, als hätte sie gerade ihre Fesseln gesprengt. Wenn sie sich dann in einem rituellen Tanz um die eigene Achse dreht und die Eisenkette zum Schwingen bringt, mutet das aber doch arg dekorativ an.

Es ist ein fesselndes Solo, die Tänzerin hat die Zuschauer fest am Haken. Ihre Bewegungen sprechen auch auf einer sinnlichen und emotionalen Ebene an. Zudem ist sie eine fabelhafte Tänzerin, sie schafft Raum für die Imagination und lässt auch Momente der Schönheit zu. Das ist man von den Tanztagen so gar nicht gewohnt. Und da schmilzt auch das Publikum dahin.

Enttäuschend war dagegen „Sarabande“ von Sasha Amaya. Der Versuch, den barocken Tanz in die Gegenwart zu holen, fällt doch recht dürftig aus. Die Kanadierin schafft es immerhin, den affektierten Bewegung eine gewisse Grazie zu verleihen – die ihr Partner Falk Grever aber schmerzlich vermissen lässt.

Die Vermarktung des Körpers

Frida Giulia Franceschini zeigt mit „Tricks for Gold (T4$)“ eine Reflexion über die Vermarktung des weiblichen Körpers. Die Italienerin, die wie ein aufgekratzter Cheerleader anmutet, fuchtelt zunächst mit einem Zauberstöckchen herum. Doch die Darbietung von Tricks, die den Namen Magie nicht verdienen, fällt umständlich aus.

In rotem Vamp-Kostüm, das Brüste frei lässt, wirft sie sich in laszive Posen und mutiert am Ende zum Goldesel wie im Märchen. Steckt sie sich ein Säckchen in den Rock, dann kommen Goldtaler heraus.

Gold regnet es zwar nicht für die Berliner Choreografen und Tänzer, doch in den nächsten Jahren erhält die freie Szene deutlich mehr Geld. Im Dezember haben die Abgeordneten über den Doppelhaushalt 2020/21 entschieden. Sie haben ein zukunftsweisendes Zeichen gesetzt. In den kommenden zwei Jahren werden insgesamt knapp 2,4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die dezentrale Berliner Tanzlandschaft zu stärken.

Die langen kulturpolitischen Kämpfe, die 2018 in dem Runden Tisch Tanz gipfelten, sind nun doch noch von Erfolg gekrönt worden. Die Initiative ging im Wesentlichen von der Grünen-Politikerin Sabine Bangert, der Vorsitzenden des Kulturausschusses, aus. Die Senatskulturverwaltung unterstützte den partizipativen Prozess mit rund 10 000 Euro. Mehr als 200 Tanzschaffende beteiligten sich an den unterschiedlichen Arbeitsgruppen, auf ehrenamtlicher Basis.

Drei Pilotprojekte können gestartet werden

Erarbeitet wurde ein Gesamtkonzept, das eine ganze Reihe neuer Maßnahmen umfasst. Als dann im August bekannt wurde, dass nur eine Aufstockung der Förderung um 700 000 Euro vorgesehen sei, waren der Ärger und Frust groß. Die Tanzaktivisten haben daraufhin in kreativen Protestaktionen auf sich aufmerksam gemacht und weiter Überzeugungsarbeit geleistet.

Nun hat die Kulturpolitik also doch noch ein Einsehen gehabt. Für die Umsetzung von Ergebnissen aus den Empfehlungen des Runden Tisches Tanz stellt das Land Berlin in diesem Jahr insgesamt 1,1 Millionen Euro und 2021 insgesamt 1,295 Millionen Euro zur Verfügung. Das liegt zwar deutlich unter der geforderten Summe, doch mit diesem Budget lassen sich immerhin einige strukturelle Verbesserungen angehen. Alles andere wäre ein Pleite gewesen – auch für die Kulturpolitiker.

Drei Pilotprojekte können nun gestartet werden: Das Residenzprogramm für den Berliner Tanz soll die Zusammenarbeit zwischen den Tanzschaffenden und den Tanzorten stärken. Es wird einen Distributionsfonds geben.

[Tanztage Berlin, bis zum 18.1. in den Sophiensaelen, Programm: sophiensaele.com]

Außerdem wird ein Tanzhonorar eingeführt: Mehr als 30 Berliner Tänzer und Choreografen werden in den den nächsten zwei Jahren mit einem monatlichen Festbetrag gefördert – projektunabhängig. Damit soll ihre Professionalisierung unterstützt werden.

Die AG „Money and more“ hatte diese revolutionäre Maßnahme vorgeschlagen, aber nicht damit gerechnet, dass sie die Chance hat, umgesetzt zu werden. Die größte Baustelle ist das schon lange geforderte Haus für Tanz und Choreografie: In einer Konzeptionsphase soll darüber beraten werden. Doch die Suche nach einer passenden Immobilie dürfte sich schwierig gestalten. Momentan herrscht Aufbruchsstimmung in der Szene, aber allen ist klar: Es muss noch mehr kommen.

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