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Wenn Sie das nicht schauen, sind Sie tot. Bryan Cranston, Hauptfigur der Serie „Breaking Bad“, die zum Kultereignis wurde. Er spielt einen Lehrer, der sich in einen Drogenhersteller und Killer verwandelt.
© dpa/Frank Ockenfels/AMC/Sony Pictures Television

Buchmarkt im Wandel: Was Romane und TV-Serien gemein haben - und was nicht

Der Buchmarkt hat viele Kunden an Streamingdienste wie Amazon und Netflix verloren. TV-Serien schlagen Romane – mit deren eigenen Waffen.

Unterm Weihnachtsbaum lagen, wie immer, viele Bücher. Doch was geschah zwischen den Jahren? Der neue Lesestoff blieb unberührt, dafür lief stundenlang der Fernseher. Ich gebe es unumwunden zu: Ich bin eine von denen, deren Lektüren auf dem Nachttisch verstauben. Nicht, weil mich Romane nicht mehr interessieren. Sondern weil ich mich dem Sog der TV-Serien nicht entziehen kann.

Das Problem ist: Ich bin wohl kein Einzelfall. Erneut steht der deutsche Buchmarkt vor großen Umwälzungen. Dabei waren die Auswirkungen der digitalen Revolution zuletzt überschaubar geworden. E-Books haben sich einen kleinen Marktanteil von fünf Prozent erobert; das Segment wächst kaum noch. Vom Aussterben des gedruckten Buchs spricht niemand mehr. Doch seit Kurzem hat eine neue Dynamik eingesetzt. Der Markt schrumpft – und zwar ausgerechnet in der wichtigen Warengruppe Belletristik. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels verzeichnet seit mehreren Jahren in Folge leichte Rückgänge bei den Verkäufen.

Massenhaft strömen Menschen zu Streamingdiensten

Aber das ist nicht das eigentlich Besorgniserregende. Schwerer wiegt, dass die Zahl der Buchkäufer in Deutschland rasant abnimmt. Allein von 2015 bis 2016 sank sie um 2,3 Millionen, das entspricht einem Minus von 6,9 Prozent. Noch werden die Umsatzeinbußen von den verbleibenden Kunden durch Mehrkäufe aufgefangen. Doch immer weniger Menschen geben in Buchhandlungen überhaupt Geld aus. Der Börsenverein hält das Sterben der Innenstädte und die abnehmende Kundenfrequenz im Einzelhandel für eine mögliche Ursache.

Ist das wirklich schon alles? Steckt nicht mehr dahinter? Auch wenn bisher keine eindeutigen Beweise für eine Kausalität vorliegen: Die Vermutung liegt nahe, dass Netflix und Co. ebenfalls schuld sind an der neuen Entwicklung. Ehemals begeisterte Leserinnen und Leser teilen ihre Mediennutzungszeiten zunehmend anders auf. Massenhaft strömen die Kunden zu Video-Streamingdiensten wie Amazon, Sky, Netflix oder Maxdome.

Die Serie ist das Format des 21. Jahrhunderts

Die aktuelle ARD/ZDF-Onlinestudie verzeichnet bei der Nutzung von Streamingdiensten einen sprunghaften Anstieg im letzten Jahr. Während 2016 nur 12 Prozent der Befragten angaben, mindestens einmal wöchentlich Video-Streaming zu nutzen, waren es 2017 bereits 23 Prozent. Woher kommt plötzlich diese Lust am Glotzen? Liegt es daran, dass die großen Erzählungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr zwischen Buchdeckeln, sondern auf dem Bildschirm stattfinden? Und wenn dem so ist: Was fehlt dem modernen Roman, was die moderne Serie bieten kann?

Neulich habe ich ein großartiges Erstlingswerk einer jungen Autorin („Schwimmen“ von Sina Pousset) gelesen. Das Buch handelt von zwei Frauen, einem Mann, einem Kind. Ein Kammerspiel, leise und melancholisch erzählt, und dabei doch mit ein paar scharfkantigen Wendungen. Ich mochte das Buch sehr, aber leider war es nach zwei Tagen Lesen zu Ende. Es fühlte sich an, als wäre ich mit einem längeren Prolog abgespeist worden. Ich hatte doch gerade erst angefangen, die Protagonistinnen kennenzulernen!

Das situative Wohlbehagen siegt über die Vernunft

Serien wie „Sopranos“, „Mad Men“ oder „House of Cards“ haben uns schleichend verändert. Wir sind nun auf längere, sogenannte horizontale Erzählweisen konditioniert, die wiederum sehr geschickt mit kurzen, episodischen Spannungsbögen verwoben werden. Wir wollen Figuren auf ihrem Weg lange begleiten. Wir folgen ihnen durch Staffeln, die in Zeiträumen von bis zu zehn Jahren entstanden sind. Und die wir dann wiederum innerhalb weniger Wochen verschlingen können.

Das situative Wohlbehagen siegt dabei oft über die vorausschauende Vernunft. Halb eins in der Nacht und um sechs klingelt schon wieder der Wecker? Egal, wir müssen noch eine Folge gucken. Und dann noch eine. Es gibt ein Wort dafür: Binge-Watching, exzessives Schauen.

Bücher werden jetzt an Serien gemessen

Wo ist das Binge-Reading geblieben? Juli Zeh hat mit ihrem im Frühling 2016 erschienenen Bestseller „Unterleuten“ bei vielen Lesern einen Schlaflose-Nächte-Effekt erzeugt. Das gelingt nur noch den wenigsten Autoren. „Unterleuten“ funktionierte wie eine gute Serie: Man war willenlos, das Buch ließ sich schlicht nicht weglegen. Ein Grund ist sicher, dass Zeh die narrativen Tricks von Seriendrehbüchern im Schlaf beherrscht: ein zentraler Ort, unterschiedlichste Charaktere, kunstvoll verflochtene Handlungsstränge, Cliffhanger, Geheimnisse, Schicksalsschläge – das ganze Programm.

So weit ist es also schon gekommen. Bücher werden jetzt an Serien gemessen, nicht mehr umgekehrt. Das war lange anders. In der Hierarchie der Kulturproduktion stand die Belletristik jahrzehntelang weit über billigen, seriellen TV-Formaten. Heute spricht man von komplexen, nach vielen Seiten anschlussfähigen Erzählströmen und meint die ästhetisch ambitionierten Serien, die seit den späten 1990ern das Genre revolutioniert haben. Literarische Vergleiche in der Rezeption haben diesen Erfolg begleitet. Serien knüpften an den großen Gesellschaftsroman des 19. Jahrhunderts an, an Balzac, Dickens oder auch Dostojewski. Sie lieferten Milieustudien und schafften eine Neuauflage des bürgerlichen Trauerspiels, heißt es in vielen Texten über den Serienboom.

Es gilt als schick, mit seiner Sucht zu kokettieren

Die Vergleiche sind deshalb bemerkenswert, weil sie zu einem Imagewandel des in akademischen Kreisen eher verpönten Fernsehguckens geführt hat. Das hat sogar Auswirkungen auf private Gespräche. Wo früher Unterhaltungen über Bücher der soziokulturellen Distinktion und dem Smalltalk dienten, wirft man heute ganz selbstverständlich mit Serientiteln um sich: Musst du dir unbedingt ansehen, ich konnte gar nicht aufhören! Stundenlang vor dem Bildschirm zu hängen ist kein Zeichen von Kontrollverlust oder Bildungsabstieg mehr. Im Gegenteil, es gilt als schick, mit seiner Sucht zu kokettieren.

Wie früher das gute Buch, bedürfen gut gemachte Serien keiner Rechtfertigung mehr. Sie sind anerkannte Kulturgüter. „Breaking Bad und die Idee, alles noch einmal auf den Kopf zu stellen“, notiert Wolfgang Herrndorf im November 2010 in seinem Blog. „Wie viel Lebenszeit habe ich mit Serien verbracht? Ich möchte es nicht wissen“, schreibt David Wagner in seinem 2016 erschienenen Band „Sich verlieben hilft“. Er meint: „Habe ich Zeit verschwendet? Nein, nie, bestimmt nicht. Im Gegenteil. Ich habe nur gewonnen.“

Der Feind der Serie ist die Langeweile

Auf diesem fruchtbaren Boden der Wertschätzung haben die Streamingdienste in den letzten Jahren ihre Saat ausgebracht. Sie geht bestens auf. Nicht nur, weil ausreichend anspruchsvolle Inhalte zur Verfügung stehen. Sondern auch, weil das Flatrate-Modell so verführerisch ist. Das Streaming, das an die alte Idee von öffentlichen Bibliotheken anknüpft, kommt unentschlossenen Mediennutzern entgegen. Und durch die uneingeschränkte Verfügbarkeit ganzer Staffeln ist die Serie dem Roman noch ähnlicher geworden. Allein der Nutzer entscheidet nun, wann und wie lange er in eine Geschichte eintauchen will.

In Sachen Spannung, Umfang, Identifikationspotenzial und Verfügbarkeit hat die Serie mit dem Roman gleichgezogen, ihn in manchen Fällen sogar überholt. Und doch haben die Bücher noch einen Trumpf im Ärmel. Der größte Feind der seriellen Narration nämlich ist die Langeweile. „Der hohe Druck kommerzieller Produktionstaktung erfordert mediale Standardisierungen und narrative Schematisierungen, industrielle Produktionsweisen also, führt gleichzeitig aber dazu, dass immer neue inhaltliche Wendungen, ja immer neue medien- und erzähltechnische Innovationen in die Erzählung eingeführt werden müssen, um das Interesse am Leben zu halten“, schreibt der Serienforscher Frank Kelleter in dem Band „Populäre Serialität: Narration – Evolution – Distinktion“. Dieser Spagat kann auf Dauer nicht gelingen.

Bei Serien fällt deshalb oft einfach irgendwann die letzte Klappe. Nicht, weil die Geschichte auserzählt wäre, sondern weil die Quoten nicht mehr stimmen. Weil Verträge auslaufen oder Hauptdarsteller abhandenkommen. Serien läppern aus, nippeln erzählerisch zum Ende hin oft ab. Ein Buch setzt immer bewusst einen Schlusspunkt. Und der hat es meistens in sich.

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