Anmerkungen zu Politik und Wahnsinn in Zeiten Trumps: Was passiert, wenn der erste Mann im Staat nicht zurechnungsfähig ist?
Verrückte oder irgendwie persönlichkeitsgestörte Staatsoberhäupter gab es in der Weltgeschichte viele. Gehört Trump dazu? Was würde das bedeuten? Und was könnte dagegen unternommen werden?
Donald Trump ist ein Radikaler. Da stellt sich bei allem Räsonieren über die Zukunft auch die radikale Frage: Was passiert, wenn sich der mächtigste Mensch der Welt als verrückt erweist?
Es geht bei dieser von vielen Beobachtern schon früh, wenngleich selten offen geäußerten Frage nicht um vorauseilende Hysterie. Immerhin wächst seit der Wahl im November nicht nur die Sorge angesichts von Trumps Verfügungsmacht über Amerikas Nuklearpotenzial.
Vielleicht aber sollte man, um nicht selber durchzudrehen, nicht gleich mit dem absoluten Schrecken rechnen. Zumal, vor jeder Spekulation über Trumps intellektuelle und emotionale Unberechenbarkeit ließe sich eher noch ein digital gesteuertes Desaster befürchten: weil ja falsche Informationen etwa über einen angeblich bevorstehenden atomaren Angriff auf die USA, welche diabolisch begabte Hacker und terroristische Kriminelle in die innerste, wegen ihrer extrem kurzen Reaktionszeiten zugleich empfindlichste militärisch-politische Kommunikation einschleusen könnten, das Thema Fake News tatsächlich in eine apokalyptische Dimension verschieben würden. Ein nicht völlig undenkbarer Gedanke.
Hannah Arendt und George Orwell stehen an der Spitze
Unter Amerikas 45 Präsidenten gab es bislang: gebildete Humanisten, Kriegshelden, Frauenhelden, Alkoholiker, Protestanten und (einen) Katholiken, gab es Lügner und Wahrsager, keine Frau und keinen Juden, keinen bekennenden Schwulen. Aber sonst fast alles. In Filmen und Büchern, im Genre der Science-Fiction existiert so nach dem Vorbild von Shakespeares Macbeth auch der abgefeimte Präsidentenbösewicht in Gestalt des Zynikers Frank Underwood, den Kevin Spacey in der Serie „House of Cards“ verkörpert. Oder es explodierte das Weiße Haus und drohte in Roland Emmerichs „Independence Day“ der Untergang nicht bloß Amerikas – bis ein US-Präsident mit dem sprechenden Namen Thomas Whitmore doch noch die Macht der zerstörerischen Aliens bricht.
Nur einen realen Alien im Zentrum der US-Politik gab es vor Trump noch nicht. Das ist das Neue und Unheimliche. Mit den Worten des 2012 verstorbenen amerikanischen Schriftstellers Ray Bradbury: „Die Fiktion existiert schon, jetzt müssen wir noch die Realität erfinden.“
Bradbury war der Autor des 1966 von François Truffaut verfilmten SF-Romans „Fahrenheit 451“. Darin geht es um einen totalitären Staat, in dem alle Bücher verboten und verbrannt und die Menschen nur durch illusionistisch verblödende Medien unterhalten werden. Bücher mit negativen Utopien haben seit der T-Wahl wieder Konjunktur. An der Spitze George Orwells „1984“ – die Fiktion der Umwertung aller Werte durch Hate Speech und Newspeak sowie ein meinungsmanipulierendes „Wahrheitsministerium“. Aber auch Hannah Arendts 1951, zwei Jahre nach Orwells Roman, erschienene Studie „The Origins of Totalitarism“ (deutsch: „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“) steht jetzt unter den hundert meistgefragten Titeln der amerikanischen Amazon-Liste.
Auch Arendt hatte, gegründet auf die Erfahrungen mit Hitler und Stalin, die Abdichtung totalitärer Regime gegenüber widersprechenden Realitäten beschrieben. Dabei sah sie in Aufklärung und Transparenz das Gegenmittel gegen die Geheimhaltung und Verleugnungsmacht totalitärer Systeme. Was Hannah Arendt indes noch nicht voraussehen konnte, ist das offene Sich-Brüsten mit Widerwärtigkeiten in neuen (a)sozialen Netzwerken. So wenig wie die aktuellen Formen eines aus der historischen Gespensterkammer wiedererwachten Faschismus.
Es ist dies die in Europa oder in den USA vor einiger Zeit noch für unvorstellbar gehaltene Renaissance einer politischen Zombiekultur. Sie verbindet sich, bis hin zum abartigen Protz der Architekturen, der Innenausstattung und der szenischen Arrangements von Erdogan, Putin oder Trump, mit etwas öd Theaterhaftem. Wobei man das geschmacklos auftrumpfende Gebaren eines Immobilientycoons in der Wahrnehmung von außen noch als dessen Wirklichkeit erfährt, das nämliche Verhalten in der Fortsetzung als vereidigter Präsident einem jedoch wie irreal erscheint. Selbst die Bilder aus dem Oval Office, mit Trump und den fast kindisch großtuerischen Gesten bei der Signatur seiner Dekrete sowie den andächtig mit Kugelschreibern und Blöcken wie Schüler um ihren Oberlehrer versammelten Ministern und Beratern – selbst diese Szenen erinnern plötzlich an ähnliche Bilder aus dem Kreml oder aus Pjöngjang.
Brutal, aber nicht geisteskrank
Verrückte oder irgendwie persönlichkeitsgestörte Staatsoberhäupter? Hat es manche gegeben: von Nero und Caligula bis zu Englands Heinrich VI. oder Bayerns Ludwig II. (harmlos), von Afrikas Kaiser Bokassa bis heute Rodrigo Duterte (dem philippinischen Anti-Drogen-Killer) oder zu Nordkoreas Kim Jong-un (nicht harmlos, undurchschaubar).
Hitler und Stalin mögen machtgierig, psychopathisch gefühllos und überhaupt horribel gewesen sein. Doch im engeren Sinne verrückt, also auch strafrechtlich unzurechnungsfähig, waren sie nicht. So wenig wie andere große und kleinere Diktatoren, von Mao, Mussolini, Franco bis zu Osteuropas Nachkriegskommunisten oder dem bis heute über Simbabwe skrupellos herrschenden Robert Mugabe.
Fraglich bleibt allerdings, wann Größenwahn in wirklichen Wahnsinn umschlägt. Hier kommen dann auch egomanische Borderliner ins Spiel, zu denen Donald Trump immerhin zu zählen ist.
In den USA war zuletzt Richard Nixon, der in den Watergate-Komplex einbrechen ließ, der das Weiße Haus verwanzte und auf den mitlaufenden Tonbändern gegen Schwarze, Kommunisten und Juden in Fäkalsprache schimpfte, als Präsident ein Grenzfall. Längst bevor er 1974 durch seinen Rücktritt der drohenden Absetzung im Zuge eines Impeachments entging, war Nixon seinen Mitarbeitern als Alkoholiker bekannt und wirkte unter Medikamenteneinfluss zumindest zeitweise als nicht mehr amtsfähig.
Kann das Militär Widerstand leisten?
Ein solcher Fall ist Trump (noch längst) nicht. Überlegungen, ob ein bereits gegenüber den Präsidenten Andrew Johnson und Bill Clinton an den politischen Mehrheiten gescheitertes Impeachment-Verfahren irgendwann in Gang gesetzt werden könnte, bleiben schiere Spekulation. Ebenso wie der Verweis auf den 25. Zusatzartikel der US-Verfassung, der auch ohne schwere kriminelle Verfehlungen die Möglichkeit böte, einen offenkundig unzurechnungsfähigen Präsidenten des Amts zu entheben. Noch weiter gehen einige amerikanische Universitätsjuristen, die nun über Optionen eines Militärputsches nachdenken, beispielsweise für den Fall, dass der Präsident einen Atomkrieg beginnen wolle.
Zwar droht Trump gerne, auch dem Iran oder China oder Nordkorea. Doch Putsch-Fantasien entspringen bis jetzt eher einer Art Gegenwahnsinn. Wobei nur erinnernswert ist, dass ausgerechnet Richard Nixon als „tricky Dicky“ ab Ende der 1960er Jahre während des Vietnamkrieges mit der „Madman-Theory“ spielte. Nixon wollte Nordvietnam und seine Verbündeten zur Einschüchterung glauben machen, dass er selber „verrückt“ genug sei, zur Beendigung des Krieges, wie die USA 1945 gegenüber Japan, auch Atomwaffen einzusetzen.
Zunächst liegt indes statt militärischem vor allem der zivile Ungehorsam nahe. Er hat(te) nach den rigorosen Einreisebeschränkungen ansatzweise bereits unter Amerikas Diplomaten begonnen, und die Tradition der Bürgerrechtsbewegung in den Universitäten und auf den Straßen, die vor fast einem halben Jahrhundert die USA schon einmal verändert hat, sie lebt jetzt wieder auf. Auf sie, auf gerichtliche Kontrolle wie am vergangenen Wochenende und auf die Entzauberung Trumps durch die Wirtschaft, diesen unmittelbar wirksamsten Teil der Wirklichkeit, setzen jene pessimistischen Optimisten, die sich in Zeiten der Verrücktheit auch Realisten nennen.