„Die Nacht der Nächte“ im Kino: Was ist das Geheimnis einer glücklichen Ehe?
Ewige Liebe: Die Regisseurinnen von „Almanya“ porträtieren in ihrer Doku „Die Nacht der Nächte“ vier Paare, die seit über fünfzig Jahren zusammen sind.
Das Bett ist wie eine Festung. Heinz Rotthäuser hat es gemauert und dann gekachelt – ein Bollwerk ehelichen Miteinanders. Hildegard und Heinz Rotthäuser sind seit 53 Jahren verheiratet. Eine sehr lange Zeit, voller Aufs und Abs. Die tiefste Krise erlebten sie, als Heinz einen Bauernhof pachtete, ohne dies mit seiner Frau zu beraten. Damals dachte sie ans Weggehen. Dass sie sich von ihm trennen könnte, „da hab’ ich noch heute Angst vor“, erzählt Herr Rotthäuser und hilft seiner Frau behutsam aufs Fahrrad.
Die Rotthäusers sind eins von vier Paaren, mit denen Yasemin und Nesrin Samdereli den Zuschauer in ihrem Dokumentarfilm „Die Nacht der Nächte“ bekannt machen – in drei völlig unterschiedlichen Kulturkreisen. Die Rotthäusers aus Deutschland und das schwule US-Ehepaar Norman MacArthur und Bill Novak sind westlich geprägt. Kamala und Nagarajayya Hampana leben in Indien, Shigeko und Isao Sugihara in Japan. Alle sind sie seit über fünfzig Jahren zusammen.
Wie gelingt so etwas in Zeiten von Lebensabschnittspartnerschaften? Das war die Frage, die sich die Samderelis vor einigen Jahren stellten. Yasemin Samdereli war frisch verheiratet und steckte in der ersten großen Ehekrise. „Wie hat das eigentlich die Generation unserer Großeltern geschafft?“, fragte sie sich.
Die Regisseurinnen nehmen sich in dem Film klug zurück
Nach der Erfolgskomödie „Almanya – Willkommen in Deutschland“ (2011) mit knapp 1,4 Millionen Zuschauern ist „Die Nacht der Nächte“ nun der zweite gemeinsam realisierte Kinofilm der in Dortmund geborenen Schwestern mit türkischen Wurzeln. Vier Jahre arbeiteten sie an dem Film. Da sie Paare aus verschiedenen Welten suchten, waren Rechercheure für sie unterwegs. Kompliziert gestaltete sich auch die Finanzierung: Das Budget war auf knapp eine Million Euro kalkuliert – viel für einen Dokumentarfilm. Die ersten Förderanträge wurden abgelehnt. Durch die Zusammenarbeit mit dem Produzenten und Dokumentarfilmregisseur Arne Birkenstock ging es dann endlich voran.
„Die Nacht der Nächte“ ist den Samderelis ein persönliches Anliegen. Beide sind neugierig und unerschrocken, mit einem schon in „Almanya“ bezeugten wachen Blick für die tragikomische Seite kultureller Prägungen. In diesem Film nehmen sie sich klug zurück. Alle Aufmerksamkeit gilt den drei Frauen und fünf Männern, die vor der Kamera über Leben und Liebe sprechen. „Ich musste viel aushalten“, erzählt Shigeko Sugihara. Sie wollte Schneiderin werden, ein Stoffhändler machte ihr den Hof. Doch ihre Eltern waren gegen die Verbindung und arrangierten eine Ehe mit dem Reisbauern Isao Sugihara.
Über ihre Hochzeitsnacht sagt Shigeko: „Ich dachte, muss ich das jetzt jede Nacht machen?“ Das Leben bestand aus harter Arbeit, noch als Schwangere musste sie aufs Feld. Doch Scheidung wäre eine Schande gewesen; zudem sollte ihr Kind nicht ohne Vater aufwachsen. Shigekos Mann wirft sich vor, seinerzeit nicht aufmerksamer zu seiner Frau gewesen zu sein. Seine Stimme bricht, Tränen stehen in seinen Augen. Jetzt herrscht große Vertrautheit zwischen den beiden – wohl auch das Ergebnis eines starken Willens zur Anpassung. 63 Jahre waren sie verheiratet, bis Isao 2017 starb.
Rhythmisiert wird der Film durch Knetfiguren-Animationen von Izabela Plucinska, die in Stopmotion-Technik eigene Interpretationen beisteuert. So stellt Plucinska „ihre“ beiden Inder vor eine hohe Mauer, in die Kamala Hampana mit der Haarnadel ein Loch bohrt. Nagarajayya Hampana stammt aus einer höheren Kaste, Kamala kam als Angehörige einer der niedrigsten Kasten zur Welt. Die Verbindung war ein Skandal, die Hochzeit bedeutete den Bruch mit der Familie.
Beziehungsfilm und kulturelles Porträt zugleich
Alle Protagonisten sind mit Bedacht ausgewählt und ergänzen einander facettenreich. Norman MacArthur und Bill Novak bilden zudem einen Präzedenzfall. Sie lernten sich auf einer Hochzeit kennen, zogen ins weltoffene New York – in den 60er Jahren war Homosexualität in den USA noch verboten. Damit ihre Beziehung gesetzlich anerkannt wird, etwa im Krankheitsfall, adoptierte der eine den anderen, lange bevor an eine gleichgeschlechtliche Ehe zu denken war. So wurde Bill mit 63 Jahren der Vater des 61-jährigen Norman. Als der Oberste Gerichtshof später die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubte, galt es, die Adoption zu annullieren, um heiraten zu können. Der Richter, der dies tat, schrieb damit Geschichte; die Entscheidung machte Schlagzeilen. Eine Zeitung titelte: „Vater heiratet Sohn“.
„Die Nacht der Nächte“ ist Beziehungsfilm und kulturelles Porträt zugleich – die Paare bleiben in ihrem gewohnten Umfeld. Derart geborgen, erzählen sie mit überraschender, anrührender Offenheit von Sex und Moral, Gesellschaft und Partnerschaft. Das sei gutes Kino: dass man etwas Wahrhaftiges sieht und eine Verbindung herstellt zu dem, was auf der Leinwand geschieht. Sonst bleibe alles nur Fassade, findet Yasemin Samdereli. Diesem Anspruch wird „Die Nacht der Nächte“ mehr als gerecht. Reich beschenkt verlässt man das Kino.
In 7 Berliner Kinos. OmU: Filmkunst 66
Anke Westphal
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