"Almanya": Migranten wie wir
Der Film "Almanya" erzählt die Geschichte einer türkischen Familie in Deutschland. Eine höchst unterhaltsame Komödie – und ein Wohlfühlfilm für alle.
Das Schönste an „Almanya“ ist, dass die 101 Minuten Lebenszeit bei seiner Besichtigung äußerst gewinnbringend angelegt sind. So kann man sich die 464 Seiten Lektüre von Thilo Sarrazins Streitschmähschrift „Deutschland schafft sich ab“ schenken, wenn man Katharina Thalbachs köstlichem Mini-Gastauftritt in der U-Bahn lauscht. Dort gibt sie, als normalberliner Dumpfbacke, beim Anblick einer schwangeren Türkin das Sarrazin’sche Gedankenerbgut ohne Substanzverlust so zum Besten: „Die vermehren sich wie die Hottentotten. Dabei gibt’s doch die Pille. Aber wahrscheinlich sind die auch dafür zu doof.“
Schwupps, so gern es uns leidtut für den Verlag: Schon wieder 23 Euro gespart! Auch für den neuen CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich könnte sich ein „Almanya“-Besuch lohnen. Statt über dickleibigen Folianten in Sachen Islam, Deutschland und Historie nachzusitzen, täte es auch das lustige Vorbeigehen bei den Film-Eheleuten Hüseyin und Fatma, ihren vier Kindern nebst Partnern und Kindeskindern. Und schon wird auch dem Dümmsten sowas von klar, dass der Islam zu Deutschland gehört.
Woran man das merkt? Zum Beispiel daran, dass Fatma (Lilay Huser), herzensgutes Herz der Familie, ganz oft „Allmächtiger, steh uns bei!“ seufzt. Sollte damit etwa ein gewisser Allah gemeint sein? Oder dass die Gastarbeiterkinder der zweiten Generation, bevor sie zwecks Familienzusammenführung ins graue Deutschland nachgeholt werden, ein anfangs durchaus angstbetontes Verhältnis zu jener Figur entwickeln, die bis heute an jeder besseren bayerischen Schulstubenwand hängt. Ja, Kruzitürken aber auch!
Jetzt der Reihe nach. „Almanya“ erzählt die Geschichte einer türkischen Familie in Deutschland. In drei langen Rückblenden ist das die Geschichte von Hüseyin (Fahri Yardim): Wie er als junger Gastarbeiter 1964 dem einmillionsten Kollegen bei der Ankunft in Deutschland den Vortritt lässt. Und wie er, erst allein in der Fremde, eher mäßig zurechtkommt, seine Familie nachholt und alle im Lauf der Zeit zu Deutschtürken werden. In der Gegenwartsebene des Films ist Hüseyin (Vedat Erincin) längst Opa, lässt sich, weil Fatma es so will, einbürgern und kauft ein Haus in der Türkei, das die ganze Familie renovieren soll. Und auf geht’s – auf eine turbulente, komische, anrührende, unvergessliche Reise in die alte, fremde, verlorene, wiedergewonnene und auf einmal für alle unverlierbare erste oder auch zweite Heimat: Eine Schwangerschaft wird gebeichtet, jemand stirbt, entzweite Brüder versöhnen sich, jemand trifft eine glückhafte Entscheidung für alle ...
Nun könnte man der höchst unterhaltsamen Komödie „Almanya“ vorwerfen, dass sie die türkische Vergangenheit ebenso augenzwinkernd verklärt, wie sie der durchaus schwierigen deutschen Gegenwart ausweicht. Man könnte dem Film vorwerfen, dass er für seine Familienkonflikte, die in der zeitungsnotorischen Realität oft blutig ausgehen, arg milde Lösungen parat hat, mit Weisheitselementen quer durch die Generationen. Man könnte ihm vorwerfen, dass er ein Märchen erzählt, weil er Hoffnung verbreitet. Dass er frohgemut etwas als wirklich behauptet, was da und dort und an dritter Stelle bloß ein Traum sein mag.
An vierter oder fünfter und zuguterletzter Stelle aber – und dafür spricht die souverän unsentimentale Perspektive der Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli, die hier auch aus ihrer eigenen Geschichte erzählen – weiß er eine verbürgte Wirklichkeit auf seiner Seite. Es ist eben, auch wenn sich daraus starke filmische Dramen wie „Gegen die Wand“ oder „Die Fremde“ filtern lassen, nicht alles immer gleich "Ehrenmord" oder pure Verzweiflung der nachgeborenen Einwanderergenerationen. Sondern es gibt auch das Vorandrängen der Jüngeren, die neue Lebensentwürfe suchen und durchsetzen, es gibt sie, die Integration im Alltag, und darauf vor allem richtet „Almanya“ seinen Blick. Es ist, im Kino, ein neuer Blick. Ein ernster, mitten in der Komödie. Ein beglückender und befreiender.
Bei seiner Berlinale-Premiere hat „Almanya“ Triumphe gefeiert, weil er einen Nerv trifft; weil er eine Sehnsucht mit einer Erfahrung kombiniert. Und er hat dem Festival seinen schönsten Augenblick beschert – als die Schwestern, nein, sie tragen keine Kopftücher, nach der Vorführung selig das Team auf die Bühne rufen und mittendrin auch ihre Eltern: Kurz steht da ein altes Paar auf, irgendwo im Parkett und mitten im Jubelsturm.
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