Seeed in Berlin: Was ihr braucht, ist Liebe und Bass im Bauch
Lässige Eleganz, Augenbling und Dickes B: Seeed spielen ihr erstes von vier ausverkauften Konzerten in der Berliner Wuhlheide.
Mönchskutten, Glitzerkostüme, bunte Hüte, farblich aufeinander abgestimmte Trainingsanzüge – alles vorbei. Seeed tragen jetzt Schlipse und maßgeschneiderte Anzüge. Das steht der Band ausgesprochen gut und ist überdies ein Zeichen dafür, dass sie in ihre klassische Phase eingetreten ist. Die Berliner haben es nicht mehr nötig, großen Wirbel zu veranstalten. Da kann sich die ältere Konkurrenz gern mal drei Tage lang auf dem Flughafen Tempelhof austoben. Seeed warten cool ab und machen dann einfach viermal hintereinander die Wuhlheide voll. So kommt man am Ende auch auf 68 000 Besucher – und nervt nebenbei nicht noch die halbe Stadt mit Absperrungen und Lärm.
In der Dämmerung teilt sich der schwarze Vorhang und die elf Seeed-Mitglieder plus zwei zusätzliche Bläser pumpen ein druckvolles Instrumental-Intro in die Freilichtbühne. Es geht über in eine etwas abgewandelte Form von „Dancehall Caballeros“, unter der sich ein gelooptes Vocalsampel dreht: „Wir lieben Berlin, wir lieben Berlin.“ Ja, sie haben ein Heimspiel, das muss ein bisschen gefeiert werden – aber nicht übertrieben. Penetrantes „Berlin!“-Geschreie, in das hier gastierende Bands mitunter zwischen ihren Songs verfallen, sparen sich Seeed. Sie wissen genau, wo sie sich befinden. Und dass sie hier die Könige sind, müssen sie nicht mehr erwähnen. Wozu hat man denn ein leuchtendes Band-Logo mit stilisierter Krone an der Bühnenrückwand hängen?
Nach einer halben Stunde spielen sie „Dickes B“, ihre Berlin-Hymne. Denn bei allem Understatement: Die Trümpfe müssen auf den Tisch. Wie sie das hinblättern, das hat schon Klasse: Während Pierre Baigorry alias Peter Fox den Song „über uns und über euch und über alle, die aus dieser wunderschönen Stadt kommen“ ankündigt, läuft im Hintergrund bereits die Melodie von M.I.A.s „Paper Planes“. Die charakteristischen vier Schüsse werden vom Publikum geklatscht, bis das Ganze nahtlos übergeht ins „dicke B Home an der Spree“. Gitarrist Rudeboy hopst wie ein Flummi von einer Seite zur anderen, die Bläsersektion spielt ein scharfes Break. Und zum Finale zackt dann plötzlich das Synthie-Riff von Justin Timberlakes „SexyBack“ unter dem Gesang von Baigorry, Demba Nabé und Frank Dellé.
Sich mit zwei globalen Groß-Hits der nuller Jahre in eine Reihe zu stellen, zeugt von einem nicht unbeträchtlichen Selbstbewusstsein. Wobei Seeed sich damit sicher nicht völlig falsch einordnen. Denn sie haben sich mit ihrem Mix aus Dancehall, Reggae, Rap und Pop in den letzten zehn Jahren über den Status der Lokalmatadore hinaus zu einer Gruppe von internationalem Format entwickelt. Auf ihrer aktuellen Tour füllen die Berliner auch in Paris, Budapest, Amsterdam und Brüssel die Konzerthallen.
In der Wuhlheide demonstrieren Seeed während ihrer 90-minütigen Show auf beeindruckend lässige, niemals nachlässige Weise, wie gut sie eingespielt sind, wie traumwandlerisch sicher sie ihr Material beherrschen (einen kleinen Fehlstart mal ausgenommen). Pierre Baigorry, Demba Nabé und Frank Dellé bewegen sich beim Singen immer wieder in synchronen Tanzschrittfolgen, was ungemein dynamisch aussieht. Einmal inszenieren sie eine Art Harlem Shake mit dem Innenraum-Publikum, das sich kollektiv von links nach rechts schiebt und Jacken, Shirts und Pullis über den Köpfen kreisen lässt. Sieht toll aus und hätte ruhig noch ein bisschen länger dauern können. Mittlerweile werden Seeed von der vierköpfigen Trommlergruppe Cold Steel begleitet, die dem Sound einen tollen Extra-Akzent gibt.
In ihren grauen Anzügen und mit ihren choreografierten Bewegungen sind die Männer aus North Carolina eine echte Attraktion. Peter Fox hat sie bereits bei seinen Solo-Konzerten dabeigehabt. Und so kommen sie denn auch bei seinem Stück „Alles neu“ zum ersten Mal auf die Bühne. Gleich im Anschluss geht es mit „Augenbling“ weiter, dem deutlich von Fox geprägten besten Stück des aktuellen Seeed-Albums. Der 41-Jährige hat auch im Konzert eine herausgehobene Position. Er macht die Ansagen, er singt die prägnantesten Zeilen – und nur seine Solo-Songs stehen auf dem Programm, nicht die seiner beiden Kollegen. Allerdings fügt sich das alles derart geschmeidig ineinander, dass man nie das Gefühl hat, Baigorry/Fox wolle den Laden dominieren. So haben sich die Sänger etwa die Strophen der Single „Beautiful“ paritätisch untereinander aufgeteilt, um beim strahlenden Refrain wieder zusammenzukommen.
Der von einem übermächtig bollernden Schlagzeug und swingenden Bläsern angetriebene Song zündet allerdings nicht recht. Ganz anders das einfacher gestrickte, ebenfalls neue „Seeeds Haus“, in dem es heißt „Hier bekommt ihr, was ihr braucht/Liebe und Bass im Bauch“. Zu kreischigem Synthesizer-Geflacker bewegt er sich weit weg vom angestammten Seeed-Gebiet hinein in die Gefilde von Electro-Alarmisten wie Skrillex.
Nach den aufgedrehten Partysongs kommt die Band in ihren Reggae-Stücken immer wieder zur Ruhe. „You & I“ sorgt für romantische Schunkelstimmung, der alte Hit „Aufstehen“ für Sonntagsausflugssehnsucht. Und für einen kleinen musikalischen Scherz ist im Zugabenset auch noch Platz: Die Reprise von „Augenbling“ spielen Seeed als „Garagen-Remix“ inklusive Bo-Diddley-Beat, Trommelgewirbel und knalligen Rock-Riffs. Die Jobs der Toten Hosen und der Ärzte könnten sie jedenfalls locker miterledigen. Vielleicht demnächst in Tempelhof.
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