Ausstellung in der Philharmonie: Was die Violinen erzählen
Amnon Weinstein sammelt Geigen aus der Zeit des Holocaust. Am Dienstag erklingen sie in einem Konzert der Berliner Philharmoniker. Und erinnern an Geschichten im Exil oder Todeslager.
Die Geige, die Amnon Weinstein reparieren soll, ist von Regen und Schnee stark beschädigt. Seit vielen Jahren hat der Mann, der sie ihm gebracht hat, nicht mehr auf ihr gespielt. Nicht einmal angerührt hat er sie. Weinstein betrachtet das Instrument in seiner Werkstatt in Tel Aviv, nimmt es vorsichtig auseinander und erfährt, dass der Fremde zuletzt in Auschwitz über die Saiten gestrichen hat. Als Mitglied des Männer-Orchesters musste er Mitgefangene mit seiner Musik in den Tod begleiten.
Kurz nach dieser Begegnung, Ende der achtziger Jahre, beginnt Amnon Weinstein mit seinem Lebensprojekt: Violinen aus der Zeit des Holocaust zu sammeln und zu restaurieren, als Denkmal. Bereits sein Vater Moshe war Geigenbauer und bekam nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Geigen von Mitgliedern des Palestine Orchestras überreicht. Hochwertige Holzinstrumente, auf denen aber niemand mehr spielen wollte. „Wenn du sie nicht kaufst, zerstören wir sie“, sagten ihm die Musiker.
Er wollte den Holocaust lange verdrängen
Zu jenen Instrumenten gehört auch die Wagner-Violine, die zur Zeit in der Philharmonie zu sehen ist. Als Teil der Ausstellung „Violinen der Hoffnung“, die ausgewählte Instrumente aus Weinsteins Sammlung zeigt. Und am heutigen Dienstag, wenn an den Holocaust und die Befreiung von Auschwitz erinnert wird, werden 15 seiner Geigen in einem Konzert mit Simon Rattle, den Berliner Philharmonikern und ihrem Ex-Konzertmeister Guy Braunstein zu hören sein. „Jede von ihnen steht für einen Menschen“, sagt Weinstein. „Und für sechs Millionen Schicksale.“
Lange hat der 75-Jährige versucht, den Holocaust zu verdrängen. Bis auf seine Eltern, die rechtzeitig nach Palästina fliehen konnten, sind all seine Verwandten, fast 400, ermordet worden. Sein Vater sprach nie über dieses finstere Kapitel der Geschichte, ihrer Geschichte. Dann aber betrat Daniel Schmidt, ein Bogenmacher aus Sachsen, 1992 seine Werkstatt und stellte Weinstein während der Arbeit Fragen: Wem gehörten diese Instrumente einmal? An welchen Orten sind sie gewesen? Wodurch haben sie ihre Kratzer bekommen? Welche Antwort Weinstein darauf immer und immer wieder fand: „Sie haben Menschen das Leben gerettet.“
Die Schreie aus den Gaskammern übertönen
Langsam geht der Mann mit den grauen Locken und dem mächtigen Schnurrbart eine Treppe der Philharmonie hinunter. Im Foyer des Kammermusiksaals wird die Ausstellung gerade aufgebaut, ein Fernsehteam wartet, der letzte Termin für diesen Tag. Weinstein hält sich am Geländer fest, betritt jede Stufe mit beiden Füßen, lacht viel, scherzt. Sein Sohn legt eine der Violinen behutsam in ihren Kasten. Sie hat einen Davidstern auf der Rückseite, liebevoll angefertigt aus kleinen Mosaiksteinchen. Woher sie stammt, ist nicht bekannt – andere Instrumente sollten einmal die Schreie aus den Gaskammern übertönen. „Wenn Menschen im Orchester von Auschwitz ihre Augen schlossen und spielten, dann konnten sie sich an ferne Orte träumen“, sagt Weinstein. „Und an bessere Zeiten denken.“
Eine Violine wird er niemals reparieren
Eine seiner rund 50 Violinen gehörte früher Erich Weininger, einem Metzger und Musikliebhaber aus Wien. 1939 verhaftet und nach Dachau deportiert, machte er mit anderen Häftlingen heimlich Musik. Von Dachau kam er nach Buchenwald, wurde aber 1940 auf eine Initiative der Quäker hin entlassen. Es schien, als werde nun alles gut, als könnte er sich in Palästina eine Existenz aufbauen. Weil die britische Besatzungsmacht aber nicht bereit war, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, endete seine Schiffsfahrt auf Mauritius, im ehemaligen Gefängnis Beau Bassin. Erst 1945 konnte er nach Palästina gehen. Mit seiner Wiener Geige in der Hand, die noch heute davon erzählt.
Bei einem anderen Instrument hatte Weinstein der Kundin, die es ihm gebracht hatte, nahegelegt, lieber ein Neues zu kaufen. Doch da kannte er die Hintergründe noch nicht: Ihr Ehemann, Feivel Wininger, war der Geschäftsführer einer Sägemühle in Rumänien und Hobbymusiker. In dem ukrainischen Ghetto Shargorod konnte er durch sein Spiel auf einer Amati-Geige seine Verwandten ernähren, sie vor dem Tod beschützen. Nachdem ein Polizist die Geige beschlagnahmt hatte, schenkte ihm ein Bauer ein weiteres Instrument, und darauf wollte er Jahre später, mittlerweile in Israel, noch einmal spielen. Als ihm seine Frau erzählte, dass Weinstein nicht sehr optimistisch sei, fing er an, zu weinen. „Ich kann diese Violine nicht loslassen“, sagt er. „Sie ist mein bester Freund.“ Daraufhin erzählte seine Frau Weinstein, warum die Geige einen so hohen Wert für ihren Mann habe. Er reparierte sie. Ohne zu zögern. Ohne einen einzigen Cent dafür zu nehmen.
Zu viel Böses liegt manchmal in der Luft
Es gibt Tage, da machen ihn all diese Geschichten depressiv. Dann liegt zu viel Übel, zu viel Böses in der Luft seiner Werkstatt. Ein Gefühl, das manch ein Besucher der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem kennt, wo ebenfalls eine von Weinsteins Violinen ausgestellt ist. Sie gehörte Mordechai Schlein, genannt Motele. Als Überlebender eines deutschen Massakers in der Ukraine, bei dem seine Familie getötet wurde, stieß er mit zwölf Jahren zu einer jüdischen Partisanengruppe und schmiedete mit den Widerstandskämpfern einen Plan. Indem er auf dem Dorfplatz regelmäßig Geige spielte, gewann er das Vertrauen eines deutschen Soldaten und sorgte im Offizierskasino für die nächtliche Unterhaltung. Zu jedem der Auftritte schmuggelte er in seinem Violinenkasten Sprengstoff in das Gebäude. Für einen Anschlag, der letztlich gelang. Motele überlebte, doch Wochen später wurde der Junge erschossen. Seine Geige nahm der Partisanenkommandeur „Onkel Mischa“ an sich, und irgendwann landete auch sie bei Amnon Weinstein.
Eine versteckte antisemitische Botschaft
Und dann ist da noch die eine Violine, die Weinstein nicht instand setzen wird. In ihrem Inneren ist die Gravur „Heil Hitler 1936“ zu lesen, die Initialen „J. W.“ und ein mit Gewalt eingeritztes Hakenkreuz. Ein befreundeter Geigenbauer aus den USA hatte die Violine auf einem Flohmarkt gekauft und dem 75-Jährigen geschickt. Wahrscheinlich, so sagt er, wollte ein deutscher Geigenbauer seinem jüdischen Kunden eine versteckte antisemitische Botschaft hinterlassen, und der Besitzer der Geige hat nie gewusst, was da in seinem Musikinstrument stand. Jetzt, wo sie bei Weinstein ist, wird sie stumm bleiben. Nie wieder soll Musik, soll etwas Schönes auf ihr erklingen.
Konzert, 27.1. 20 Uhr, Kammermusiksaal. Ausstellung „Violinen der Hoffnung“ Foyer des Kammermusiksaals, bis 22.02.
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