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Der Wettbewerbsfilm "Soy Nero" handelt von einem Mexikaner, der aus den USA abgeschoben wurde und illegal wieder einreist.
© Berlinale/dpa

Zum Start des Filmfestivals: Was die Berlinale mit den Flüchtlingen zu tun hat

Weltoffenheit, grundsätzliche Neugier, gezielte Internationalität: Das ist die Botschaft der Berlinale. Sie gilt, in unserem verschärften politischen Klima, jetzt erst recht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jan Schulz-Ojala

Unser Verhältnis zu festlichen Großereignissen, bei denen sich die Gesellschaft mal locker macht, hat zuletzt ziemlich gelitten. Silvester, womit immerhin ein neues Jahr begrüßt wird: seit Köln in der Erinnerung ein schriller Misston. Internationale Fußballspiele: beruhigend, wenn sie ohne externe Komplikationen über den Rasen gehen. Und die jüngsten Karnevalsumzüge, so sie denn nicht den Stürmen zum Opfer fielen? Der Frohsinn wirkte diesmal eigentümlich angeknipst. Närrisch sind die Zeiten, lustig sind sie nicht.

Am heutigen Donnerstag nun beginnen die anderweitig tollen Tage von Berlin: der alljährliche Karneval der Filmweltkulturen, mit Glamour und Stars und neuem Kino von Kanada bis Neuseeland, von Japan bis – erstmals dabei – nach Ghana. Elf Tage roter Teppich für die Prozession von mehr als 400 Filmen beim größten Publikumsfestival der Welt, ein rauschhaftes Event, zu dem sich viele Berliner extra Urlaub nehmen. Die Vorfreude ist groß wie immer. Und fühlt sich doch diesmal anders an.

Nur drei Kilometer Luftlinie trennen das prächtig illuminierte Berlinale-Zentrum am Potsdamer Platz vom Moabiter Lageso, wo sich die Flüchtlinge immer wieder sogar schon nachts zur Entgegennahme ihrer Zuwendungen in der Schlange anstellen. Und wenn zur Festival-Eröffnung „Hail, Caesar!“ gegeben wird und dazu all die tollen Schauspieler dieses Hollywoodspaßes anreisen – wer denkt bei dem Filmtitel, zumindest für einen Augenblick, nicht daran, dass sich so manche Leute im angespannten Klima unseres Landes schon wieder nach dessen teutonischer Variante sehnen?

Kino entführt - und macht klüger

Tatsächlich aber ist diese Berlinale nichts Geringeres als das richtige Festival zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Denn sie unterschlägt ja nicht die Wirklichkeit, in der wir leben, sondern speist sich zu großen Teilen aus ihr. Im Glanz ihrer Filme und dem Scheinwerferlicht, in dem deren Macher stehen, verbreitet sie die Botschaft grundsätzlicher Internationalität. Weltoffenheit – früher sagte man „Völkerverständigung“ – ist ihr Selbstverständnis. Seit jeher, und jetzt erst recht.

„Fuocoammare“ (Feuer auf See) heißt einer der Beiträge im Wettbewerb, und die Dokumentation zeigt, wie die Bewohner der winzigen Insel Lampedusa vor der afrikanischen Küste mit – und neben – den Flüchtlingen leben. Viele Filme zu diesem seit Monaten alles überstrahlenden Thema sind auch in den Nebenreihen zu sehen, und von Ausbeutung und Unterdrückung weltweit ist in verschiedenen cineastischen Darstellungsformen die Rede. Prodesse et delectare, nützen und unterhalten soll die Kunst, so wussten es schon die alten Römer – und wenn nicht alles täuscht, nimmt diese Berlinale den Auftrag diesmal ganz besonders wörtlich. Das Kino entführt uns und macht uns zugleich klüger.

„Wir lassen’s krachen, aber leise“, hat Festivalchef Dieter Kosslick unlängst fast beiläufig am Schluss seiner Programmpressekonferenz gesagt. Akustiker dürften bei solchem Sprachbild Einwände erheben. Mit etwas Fantasie aber funktioniert der Kontrast. So wie auf den Festivalplakaten, wo der Bär, Wappentier Berlins und Siegestrophäe der Berlinale, geradezu versonnen durch die Stadt zieht, U-Bahn fährt, die Stufen zur Neuen Nationalgalerie hinauftappt und auch mal verschnauft auf den Dächern gegenüber dem Fernsehturm. Ist er nun Maskottchen oder wildes Tier? Beides.

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