Erinnern an die Freiheitsrevolution: Warum wir im Zentrum Berlins ein Einheitsdenkmal brauchen
Es ist Glück, an die Befreiung von 1989 erinnern zu können. Darum braucht die Einheit eine Denkmal. Eine Erwiderung auf den Historiker Martin Sabrow.
Das eigentlich schon beerdigte Berliner Einheitsdenkmal vor dem Humboldt-Forum bleibt in der Diskussion. Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam, hat in seinem Beitrag vom 22. Oktober die Gründe aufgezählt, die gegen die „Wippe“ sprechen können. Sein Text beruhte auf seiner Stellungnahme anlässlich eines Fachgesprächs der SPD-Bundestagsfraktion. Hier widerspricht ihm Wolfgang Thierse. Der SPD-Politiker war Bundestagspräsident und ist Mitinitiator des Denkmals.
Martin Sabrow hat im Tagesspiegel kräftig hingelangt, um das geplante Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin geschichtspolitisch endgültig zu erledigen. In einem hat Sabrow allerdings recht: Der lange Streit und Entscheidungsprozess um das Denkmal beleuchtet die „Gegenwartsverfassung unserer Geschichtskultur“. Das gilt in besonders signifikanter Weise auch für seinen Beitrag.
Zunächst versichert Sabrow, die ablehnende Skepsis gegenüber „einem markanten Zeichen deutschen Freiheits- und Einheitsstolzes“ entspringe nicht einer Geringschätzung des, wie er es nennt, „Umbruchs von 1989/90“ oder „gar einer Ignoranz der Westdeutschen gegenüber der historischen Leistung der Ostdeutschen“. Pardon, aber genau als das empfinde ich es! Dass die Ostdeutschen zusammen mit den Polen und Ungarn – diese voran – und dann den Tschechen und Slowaken, den Litauern, Letten, Esten und Rumänen in einer, im Wesentlichen friedlichen, Freiheitsrevolution zum Sturz des kommunistischen Systems entscheidend beigetragen, die Einheit Deutschlands und Europas ermöglicht haben, das war und bleibt ein Vorgang von welthistorischer Bedeutung, den „Wende“ oder „Umbruch“ zu nennen etwas klein geraten ist.
Im Übrigen fällt mir auf, dass die aktive Gegnerschaft gegen ein Denkmal, das diese historische Leistung der Ostdeutschen würdigt, vor allem von Westdeutschen (oder soll ich vorsichtiger sagen: von altbundesrepublikanisch Sozialisierten) kommt. Ein Zufall?
Stolz und Identifikation sind der Normalfall
Sabrow meint, die historische Identität der Bundesrepublik sei im Kern didaktisch, sie beruhe nicht auf stolze Identifikation, sondern auf kritische Reflektion. Dass es ohne letztere nicht gehen darf, wer wird dies als Deutscher bestreiten können und dürfen! Aber soll uns Deutschen selbstbewusste (also ein wenig stolze) Identifikation mit dem Eigenen, also unserer Geschichte und Kultur, nicht erlaubt sein? Schauen wir uns um, nach Polen und Frankreich, nach Italien und Holland, nach Großbritannien und Skandinavien: Überall ist dies Normalität.
Was Sabrow dekretiert, ist ein neuerlicher deutscher Sonderweg. Er spricht von „dem supranationalen Selbstverständnis der heutigen Bundesrepublik“. Unsere Nachbarn sind, wenn ich es in den vergangenen Jahrzehnten bei meinen Reisen richtig beobachtet habe, davon eher irritiert, es erweckt Misstrauen. Ein nicht nationalistisches Verständnis von Nation: ja! Ein nachdenkliches, gelassenes Selbstverständnis einer Nation in der Mitte des Kontinents: ja! Aber deren Tabuisierung durch Verbot jeglichen Pathos, jeglichen Stolzes, jeglicher Feier des historischen Glücks von 1989/90? Was sollte damit gewonnen sein?
Für mich ist die ganze, wunderbare Stadt Sinnbild für die Einheit. Man könnte ihre Geschichte noch vielfältiger erzählen, dann würde das noch sichtbarer.
schreibt NutzerIn fluechter
Noch einmal: Sich ein glückliches Ereignis der deutschen Geschichte zu vergegenwärtigen, an gute Seiten unserer Geschichte zu erinnern, soll und kann die Erinnerung an deren üble Seiten, an die historischen Brüche nicht verdrängen. Ich glaube aber nicht, dass man nur aus Scheitern lernen kann. Auch aus historischen Erfolgen, aus Gelungenem kann man Motivation und Verpflichtung für die Gegenwart, für Demokratie, Humanität, friedliches Zusammenleben heute gewinnen. Jedenfalls machen es Franzosen, Polen, Briten, Amerikaner so.
Das Freiheits- und Einheitsdenkmal, so Sabrow, sei „ein Rückgriff auf eine historische Affirmationskultur“, die den „Aufklärungsanspruch der kritischen Vergangenheitsbewältigung“ unterlaufe. Wie kleinmütig! Als würde ein Denkmal der freundlich-selbstbewussten Erinnerung an einen glücklichen Moment unserer Geschichte die bösen Seiten, die Verbrechen, das Misslungene unserer deutschen Geschichte in den Schatten stellen, gar vergessen machen können.
Im Zentrum Berlins gibt es viele Denkmäler und Erinnerungsorte, die uns unübersehbar an diese Seiten unserer Geschichte erinnern, nicht zuletzt das Holocaust-Denkmal (dessen Bauherr ich war) und das nach jahrzehntelanger Debatte und heftiger Kritik entstanden ist und nun so viel Zustimmung erfährt.
Die Verbindung von Einheit und Freiheit in der Denkmalsbezeichnung hält Sabrow für „eine augenfällige Rückwärtsgewandtheit“. Das ist doch sehr irritierend. Was ist an dieser Verbindung rückwärtsgewandt? Zum ersten Mal gelingt eine Revolution, in der Freiheit und Einheit nicht zum Gegensatz wurden, das ist etwas Außerordentliches in der deutschen Geschichte. Es war die Eröffnung einer gemeinsamen Zukunft für alle Deutschen, für alle in diesem Lande Lebenden. Die Verbindung von Freiheit und Einheit entspricht übrigens auch Logik und Ablauf der Herbstrevolution: Zunächst und vor allem ging es um Selbstermutigung und Selbstermächtigung, um Demokratie und Freiheit. Mit der Maueröffnung wandte eine Mehrheit der DDR-Bürger sich der erreichbaren Demokratie, dem erreichbaren Rechtsstaat zu, der Wunsch nach (Wieder-)Vereinigung wurde übermächtig, wie das Wahlergebnis vom 18. März 1990 zeigt.
Orte muss man umfunktionieren
Sabrow moniert auch den Aufstellungsort, den Denkmalsockel für den ersten preußisch-deutschen Kaiser. Das Denkmal würde damit in „eine Kontinuitätslinie von 1871 bis 1989“ gestellt, „die allen Bemühungen um ein kritisches Geschichtsbewusstsein Hohn spricht“. Schweres Geschütz. Und schlichtes Missverstehen. Denn das ist die eigentliche Pointe des Standortes: Wo einst die preußisch dominierte Einheit von Oben und ohne Freiheit mit einem heroischen Denkmal gefeiert wurde, soll künftig die Einheit von unten bei Gewinn gemeinsamer Freiheit – durchaus unheroisch – gefeiert werden! Brecht nannte so etwas „umfunktionieren“ (von Orten, Traditionen, künstlerischen Gestalten und Mitteln).
Sabrow hält die Erinnerung an die Losungen von 1989 „Wir sind das Volk/Wir sind ein Volk“ für ambivalent, gar für gefährlich und warnt vor Graffiti vom rechten Rand. Solche Angst gab es auch beim Holocaust-Denkmal. Sollen derartige Ängste handlungsleitend werden? Aber vor allem: 1989 waren diese Losungen der Ruf der Selbstermunterung und Angstüberwindung und des demokratischen Aufbruchs. Müssten wir sie nicht vielmehr verteidigen gegen ihren Missbrauch durch Pegida und AfD? Gerade auch dadurch, dass wir an ihren ursprünglichen Zusammenhang erinnern, eben den des Aufbruchs zur Demokratie und also nicht gegen die Fremden, die Ausländer, die andere Religion!.
Überraschenderweise fällt Sabrow gegen Ende seiner Philippika auf, dass „die helle Erinnerung gegenüber der dunklen im öffentlichen Geschichtsbild und auch auf der Berliner Geschichtsmeile unterrepräsentiert“ ist. Ach, diese Seite hatte er zuvor doch gerade verboten. Deshalb schlägt er nun das Brandenburger Tor als positives Symbol vor und bescheinigt ihm „Authentizität“. Aber wofür steht es? Mit dem Brandenburger Tor, erbaut als preußischer Triumphbogen und als Stadttor zum Berliner Tiergarten fungierend, bleibt die Erinnerung an die Machtergreifung Hitlers 1933, an die durch das Tor marschierenden SA-Einheiten verbunden. Und die Erinnerung daran, dass das Tor in der Zeit des Kalten Krieges einsam im Niemandsland der Grenze stand – ein Symbol der deutschen Spaltung, deshalb durchaus ein Symbol der Wiedervereinigung. Aber ein Denkmal unserer Freiheits- und Demokratiegeschichte?
Die "Waage" ist nicht heroisch
Das Tor mag eine vielschichtige Metapher für die preußisch-deutsche Geschichte sein. Aber ein authentischer Ort der friedlichen Revolution ist es deutlich weniger. Gewiss: Am 9. November und in den folgenden Tagen feierten viele mit der Maueröffnung ein Ergebnis der friedlichen Revolution. Die Erhebung der Bürger, der Zusammenschluss und die Demonstrationen der Mutigen aber fanden an vielen Orten der DDR statt, in Berlin in den und um die Kirchen in Prenzlauer Berg und Friedrichshain, am Alexanderplatz und vor dem Palast der Republik am 4. November 1989. Dafür ist das Brandenburger Tor kein authentischer Ort.
Zudem: Nachdem Sabrow die Einbettung dieser Erinnerung in deutsche Geschichtskontinuität schärfstens verurteilt hat, empfiehlt er nun die Einbettung in die Kontinuität preußisch-deutscher Geschichte, für die auf strahlend-unverbindliche Weise das Brandenburger Tor steht. Und sagt damit zugleich, dass der Beitrag der Ostdeutschen zu unserer Freiheits- und Demokratiegeschichte keinen eigenen Ort zu beanspruchen hat!
Es fällt auf, dass Sabrow mit keinem Wort auf den vorgelegten Denkmalsentwurf eingeht, der immerhin das Ergebnis eines Wettbewerbs ist und für den alle Planungen im Auftrag von Bundestag und Bundesregierung abgeschlossen sind. Er meint wohl, ihn mit der Bezeichnung „gefrorene Pathosformel“ vernichtet zu haben. Aber genau das ist der Entwurf nicht. Die „Waage“ ist kein heroisches Denkmal, dieser Entwurf kommt gänzlich ohne Pathos aus, es ist kein Denkmal zum Aufschauen oder Niederknien. Seine künstlerische wie politische Qualität besteht darin, dass es auf spielerische Weise etwas Grundlegendes der friedlichen Revolution symbolisch einfängt. „Bürger in Bewegung“ (so der Titel) können die Waage der Geschichte neigen, wenn sie sich verständigen, wenn sie sich darüber einigen, wohin sie wollen. Was soll an dieser Denkmalsidee reaktionär, leere Pathosformel sein? Ich halte sie für zeitgemäß, modern und dem Ereignis der Herbstrevolution 1989 angemessen, dessen Wirkungen in die Gegenwart und in die Zukunft reichen.
Der Denkmalsentwurf sollte die Chance zur Realisierung bekommen, genauso wie in Leipzig ein Revolutionsdenkmal errichtet werden sollte.
Wolfgang Thierse
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