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Das Leuchten der Freiheit. Blick aufs Brandenburger Tor beim „Festival of Lights“.
© dpa

Streit um das Einheitsdenkmal: Die Freiheit und ihr Denkmal

Berlin braucht kein neues Symbol für 1989, sagt unser Gastautor, der Historiker Martin Sabrow. Das Einheitsdenkmal existiert eigentlich schon, es ist das Brandenburger Tor. Ein Debattenbeitrag.

Das eigentlich schon beerdigte Einheitsdenkmal vor dem Humboldt-Forum bleibt in der Diskussion. Zuletzt hat sich im Tagesspiegel Florian Mausbach dafür ausgesprochen. Martin Sabrow ist Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Sein Text beruht auf seiner Stellungnahme anlässlich eines Fachgesprächs der SPD-Bundestagsfraktion.

Die Errichtung von Denkmalen verlangt demokratischen Gesellschaften Zeit und Bereitschaft zu ausdauernder Auseinandersetzung ab; das macht ihren Streitwert aus. Aber der bald zwanzig Jahre währende Entscheidungsprozess um ein nationales Freiheits- und Einheitsdenkmal mit seinen immer neuen Anläufen und Absagen in Berlin wie in Leipzig beleuchtet darüber hinaus die Gegenwartsverfassung unserer Geschichtskultur in besonders eindrücklicher Weise.

Die anhaltende öffentliche Skepsis gegenüber einem markanten Zeichen deutschen Freiheits- und Einheitsstolzes entspringt nicht einer Geringschätzung des Umbruchs von 1989/90 oder gar einer Ignoranz der Westdeutschen gegenüber den Leistungen der Ostdeutschen. Sie folgt den übergreifenden Schwierigkeiten mit dem demokratischen Gedenken, das sich etwa in der nüchtern-lieblosen Ausgestaltung der Frankfurter Paulskirche ebenso zeigt wie in der Schattenlage der Erinnerungsstätte für die deutschen Freiheitsbewegungen in Rastatt. Die Bundesrepublik ist im Gegensatz schon zu den meisten ihrer europäischen Nachbarn durch ein kathartisches, auf historische Brüche und historisches Lernen gegründetes Geschichtsverständnis geprägt und nicht durch ein mimetisches, von Tradition und Kontinuität bestimmtes Bild von der Vergangenheit.

Ein neues Einheitsdenkmal, das wäre ein Rückgriff auf eine historische Affirmationskultur

Die historische Identität der Bundesrepublik ist im Kern didaktisch, sie versteht Geschichte nicht als Erbauung, sondern als Lernauftrag. Nicht auf stolze Identifikation zielt unser Umgang mit der Vergangenheit, sondern auf kritische Reflexion, und wir suchen in der Geschichte nicht das historische Vorbild, sondern die Chance zur zukünftigen Besserung und Fehlervermeidung.

Darum steht die Diktaturaufarbeitung seit Jahrzehnten im Zentrum des historischen Interesses und mittlerweile auch die Behördenaufarbeitung der frühen Bundesrepublik. Darum muss sich die von der Last zweier Diktaturen im 20. Jahrhundert und ihrer verarbeitenden Überwindung gekennzeichnete Bundesrepublik mit der selbstbewussten Feier ihrer Erfolge schwertun. Die Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals wirkt wie ein Rückgriff auf eine historische Affirmationskultur, gegen die der Aufklärungsanspruch der kritischen Vergangenheitsbewältigung seit den 1970er Jahren immer erfolgreicher angekämpft hat.

Ein Modell des preisgekrönten Entwurfs für das geplante Freiheits- und Einheitsdenkmals am Berliner Schlosspolatz von Milla & Partner.
Ein Modell des preisgekrönten Entwurfs für das geplante Freiheits- und Einheitsdenkmals am Berliner Schlosspolatz von Milla & Partner.
© picture alliance / dpa

Die einzige Chance des Denkmalsprojekts liegt in der glaubhaften Voraussetzung, dass es nicht staatlich, sondern zivilgesellschaftlich initiiert ist und womöglich sogar den Durchsetzungsanspruch der Gesellschaft gegenüber dem Staat zum Ausdruck bringt. Der Traum der Befürworter liegt in der Hoffnung, dass es ein Bürgerdenkmal werde. Aber genau das spiegelt das immer neue Realisierungsbemühen nicht. Das Projekt ist von Anfang an eine im parlamentarischen Raum immer wieder aufflammende, aber nicht in der Gesellschaft verankerte Idee geblieben. Seine mehrfache Beerdigung vollzog sich geräuschlos und ohne erkennbaren Widerhall in der Öffentlichkeit.

In der Verschwisterung von Freiheit und Einheit schleppt das Denkmalsprojekt noch eine zusätzliche Schwierigkeit mit sich. Sie spiegelt weniger die Intention der Akteure des Herbstes 1989 wider, sondern belädt die Freiheitsrevolution des Herbstes 1989 mit der ihr nachfolgenden Einigungsbewegung.

Auch noch ausgerechnet auf dem Sockel des Kaiser-Wilhelms-Denkmals!

Die Zusammenführung beider Ansprüche verstärkt nur die inneren Spannungslinien des geplanten Denkmals, und dass die mit dieser Doppelforderung so offenkundig an die 1848er Revolution anschließt, stempelt dem Projekt eine augenfällige Rückwärtsgewandtheit auf. Diesen Effekt verstärkt noch der geplante Aufstellungsort vor dem wieder entstehenden Hohenzollernschloss, vor dem die Revolutionäre vom März 1848 den Preußenkönig bedrängten, sich ihrer Forderung nach bürgerlicher Freiheit und nationaler Einheit zu beugen. Dass das Denkmal auch noch auf dem Sockel des einstigen Denkmals für den ersten Deutschen Kaiser und Gründungsvater des Zweiten Deutschen Reichs errichtet werden soll, stellt das Projekt zudem in eine Kontinuitätslinie von 1871 bis 1989, die allen Bemühungen um ein kritisches Geschichtsbewusstsein Hohn spricht.

Stände an der Stelle des altneuen Stadtschlosses noch der DDR-Palast der Republik, so hätte ein neu zu errichtendes Freiheitsdenkmal das wirkungsvolle Echo des Freiheitswillens nachbilden und auf die Agonie der SED-Herrschaft zum 40. Jahrestag der DDR-Gründung verweisen können – hier die Erstarrung der Herrschenden, dort der Protest der Aufgebrachten. Diese Sichtachse ist für immer zerstört, und was an ihre Stelle mit dem geplanten Denkmal treten würde, ist die bloße Ersetzung einer diktatorischen Selbstbestätigungskultur der DDR durch eine demokratische der Bundesrepublik.

"Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk", das sind längst ambivalente Parolen

Die denkmalsstolze Feier von Freiheit und Einheit in der Kontinuität eines vom 19. Jahrhundert hergeleiteten Strebens würde von der Wiederbelebung eines nationalstaatlichen Kontinuitätsdenkens zeugen, die nicht zeitgemäß zu nennen eine Untertreibung wäre. Sie kann in der Auseinandersetzung zwischen Europäisierung und (Re-)Nationalisierung nur fatale Konnotationen hervorrufen, die dem supranationalen Selbstverständnis der heutigen Bundesrepublik als einer nachdenklichen Macht diametral zuwiderlaufen.

Schließlich die geplante Aufschrift „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk.“ Der Deutsche Bundestag hat der Ambivalenz des Begriffs bereits im Jahre 2000 Rechnung getragen, als er der den Architrav des Reichstags seit 1916 zierenden Aufschrift „Dem deutschen Volke“ Hans Haackes Kunstwerk „Der Bevölkerung“ im Innenhof entgegensetzte. Erst recht in der globalen Migrationskrise unserer Jahre wirkt die auftrumpfende Ausschließungsmacht der ursprünglich gegen die Befehlsgewalt der Volkspolizei gerichteten Demonstrationsparole „Wir sind das Volk“ zumindest missverständlich. Zu welchen Graffitikämpfen würde eine solche in Stein gemeißelte Parole auf der Berliner Schlossfreiheit führen? In Zeiten, wo am rechten Rand unserer Parteienlandschaft schon von „Umvolkung“ schwadroniert wird, möchte man es sich lieber nicht ausmalen.

Der Potsdamer Historiker Martin Sabrow.
Der Potsdamer Historiker Martin Sabrow.
© dpa/Ralf Hirschberger

Dieses Denkmal steht auf unsicherem Grund, und es ist besser, seine quälende Umsetzungsgeschichte durch energischen Schlussstrich anzuerkennen. Auf der anderen Seite aber ist nicht zu bestreiten, dass die helle Erinnerung gegenüber der dunklen im öffentlichen Geschichtsbild und auch auf der Berliner Geschichtsmeile so weit unterrepräsentiert ist, dass die bestehende Leerstelle auch geschichtstouristisch augenfällig ist.

Selbst wenn die Berliner Geschichtsmeile niemals der National Mall in Washington nacheifern könnte und sollte, so wäre ihr doch ein sichtbarer Bezug zu 1989/90 zu wünschen. Dieses positive Symbol ist aber nicht ohne Bezug zu einer anderen mächtigen Triebkraft unseres Geschichtsdenkens zu etablieren: der Authentizität. Am authentischen Ort ein authentisches Denkmal des Willens zur Freiheit – nur ein solches Zeichen kann darauf hoffen, staatlich realisiert und gesellschaftlich akzeptiert zu werden.

Das Brandenburger Tor steht für fatalen Militärstolz ebenso wie für den Jubel über den Mauerfall

Diesen Ort gibt es – das Brandenburger Tor. Mit seiner im Triumph heimkehrenden Siegesgöttin steht das Tor für den fatalen Stolz der preußischen Militärmonarchie, und es steht für die Verblendung der am 30. Januar 1933 durch das Tor zur Reichskanzlei ziehenden SA-Kolonnen. Es steht für den Schmerz der deutschen Teilungslinie an der Nahtstelle der Blockkonfrontation, und es steht für den Jubel über den unverhofften Fall der Mauer und das Ende der Diktatur.

Das Brandenburger Tor hat einen unschätzbaren Denkmalsvorzug. Es stellt nicht eine gefrorene Pathosformel dar, sondern macht Zeitlichkeit und Wandel sichtbar. Es stellt mit dem Bild des Tores eine Metapher dar, die vielschichtig interpretiert und vielfältig genutzt werden kann. Tore können sich öffnen, aber sie können sich auch schließen.

Die helle und die dunkle Erinnerung an die deutsche Geschichte

Denkmale bedürfen der Aneignung und der Erklärung. Die Symbolkraft des Erinnerungsortes bedarf der Ergänzung durch die Installation einer Stelenausstellung oder eines Informationsortes auf dem Vorplatz des Tores, um seine Wirkung zu entfalten. Wenn eine solche Installation auf den Sieg der in die Zukunft offenen Freiheit verweist, dann könnte es vielleicht doch möglich sein, die helle und die dunkle Erinnerung an die deutsche Geschichte in einem gesellschaftlich akzeptierten Symbol zusammenzuführen.

Martin Sabrow

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