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Die Berliner Produzenten Jonas Dornbach, Janine Jackowski und Maren Ade, die Regisseurin (v.l.).
© Iris Janke

Vor den Oscars: Warten im Limousinenstau

Ob es heute klappt mit dem Auslands-Oscar? Ein Besuch bei der „Toni Erdmann“-Produktionsfirma Komplizen Film in Kreuzberg.

Das Kukeri-Kostüm steckt noch in den zwei Koffern, in denen es immer auf Reisen geht. Sie stehen im Büro der Komplizen-Filmer, gleich unter dem Regal mit den Trophäen für „Toni Erdmann“.

Das Kukeri ist dieses bulgarische Folklorezottelfell mit dem turmhohen Kopfteil, das Peter Simonischek in der herzergreifenden Umarmungsszene trägt, in diesem Film über einen Vater, der das Leben seiner tüchtigen Consulting-Tochter mit Scherzartikeln aufmischt. Das Kostüm ist viel herumgekommen auf der Tour zu all den Filmfestivals, bei denen Maren Ades Tragikomödie gefeiert wurde. So manchen Preis, der im Regal steht, hat es gewissermaßen persönlich entgegengenommen. Von schlichten Urkunden bis zu kiloschweren Bronzeskulpturen ist alles dabei, auch die silbrigen Statuetten der Europäischen Filmpreise. 40 Auszeichnungen verzeichnet die Filmdatenbank IMDB, es fehlt die Palme. Die Weltpremiere in Cannes 2016 war ein Riesenerfolg, aber die Jury überging „Toni Erdmann“.

Bei der Oscar-Gala am Sonntag ist das Kukeri nicht dabei. Im Dolby Theatre in L.A. wird die Regisseurin mit den beiden anderen Komplizen-Produzenten Janine Jackowski und Jonas Dornbach sowie den Hauptdarstellern Sandra Hüller und Peter Simonischek auf den Moment warten, wenn der beste nicht englischsprachige Film aufgerufen wird. Sollte es doch nicht Asghar Farhadis „Salesman“ werden, der wegen Farhadis Gala-Boykott als Protest gegen Trumps Einreisebann für Muslime alle Sympathien genießt, wird Maren Ade den Goldjungen entgegennehmen.

Berlin-Kreuzberg, Hagelberger Straße: Ortstermin im Produktionsbüro. Eine Altbauwohnung mit knarzenden Dielen, WG-Küche, Billigmöbeln. Zu Beginn der Oscar-Woche hält nur noch Jonas Dornbach die Stellung. Maren Ade lässt grüßen, nach hunderten Interviews für Medien in aller Welt hat sie sich einen Interview-Stopp erbeten. Die Gespräche, so erzählt Dornbach, fanden meistens ab neun Uhr abends statt, per Skype von zu Hause, wenn Ades Kinder im Bett waren.

Bald gibt es sechs Komplizen-Kids

Auch wir wollen gleich skypen, mit Janine Jackowski, sie ist mit ihrer Familie schon in L.A. Jackowski und Ade sind 40, Dornbach ist 38, sie alle haben kleine Kinder, von „bald null bis 5“. Bald null? Anfang April wird Dornbach zum zweiten Mal Vater, dann gibt es sechs KomplizenKids. Trotz des Hypes um „Toni Erdmann“ und der Ausnahmesituation vor dem Oscar hält das Produzententrio es weiter familienfreundlich. Flexible Arbeitsteilung, keine Hierarchie, zwei Mitarbeiter, maximal fünf Projekte in der Entwicklung, Reisen öfter mit den Kindern, weshalb entsprechende Unterkünfte und höhere Flugkosten finanziert werden. Auch wenn es anstrengend ist und das Familienleben strapaziert: „Die Höhe des Zeitaufwands wegen der Oscars“, so Jonas Dornbach, „war uns nicht klar.“

Kleine Firma, große Wirkung. Regisseurin Valeska Grisebach steckt den Kopf durch die Tür, sie arbeitet am Endschnitt für ihre Dorfgeschichte „Western“. An der Wand hängen die Plakate zu Maren Ades ersten zwei Filmen, zu „Schlafkrankheit“ von Ades Ehemann Ulrich Köhler, Werken von Grisebach, Sonja Heiss, Benjamin Heisenberg. Etliche gewannen Festivalpreise, darunter mehrere Silberne Bären. Auch international sind die Komplizen-Filmer unterwegs, im Berlinale-Wettbewerb lief gerade ihre Koproduktion „Una mujer fantástica“ des Chilenen Sebastián Lelio.

Schön biestig. Sandra Hüller und Toni Erdmann im Kukeri-Zottelkostüm.
Schön biestig. Sandra Hüller und Toni Erdmann im Kukeri-Zottelkostüm.
© dpa

Die Skype-Verbindung mit Janine Jackowski steht jetzt. Der Oscar, das ist Glamour, aber auch viel Arbeit, ein eng getaktetes Programm. Der eigentliche Endspurt startet am Freitagabend mit der Zeremonie zur Überreichung der Nominierungsurkunde, bis dahin sind auch Ade und Dornbach eingetroffen. Wake-up Call diesen Samstag: 6 Uhr früh. Nach Maske und Kostüm geht es um 8.30 Uhr zur Pressekonferenz der fünf Auslandsoscar-Nominierten. Empfang in der Villa Aurora um 12.30 Uhr, roter Teppich für die Independent Spirit Awards am Strand von Santa Monica ab 13.30 Uhr, auch dafür ist „Toni Erdmann“ nominiert. Und am Abend das Dinner des US-Verleihs Sony Pictures Classics, „dort treffen wir Isabelle Huppert und die Crew von Paul Verhoevens ,Elle’ wieder“, so Dornbach. Auch „Elle“ wird von Sony verliehen und gehört in der aktuellen Award Season zur Runde der internationalen Kandidaten. Man hat sich schon häufiger getroffen.

Der Sonntag beginnt dann eher unglamourös, mit Warten im Limousinenstau. Aus Sicherheitsgründen ist das Areal weiträumig abgesperrt, Polizisten inspizieren mit Spiegeln den Wagenunterboden, auch Hunde sind unterwegs. „Dann verbringt man viel Zeit auf dem Roten Teppich, guckt sich um und wundert sich, Mensch, die Stars sind ja echt, man möchte sie am liebsten alle antippen“, erzählt Jackowski, die die Prozedur schon bei den Golden Globes miterlebt hat. Auch da herrschte während der Gala reges Kommen und Gehen, denn zu den Werbeunterbrechungen gehen viele an die Bar Champagner trinken, ein Heer von Statisten füllt dann die Plätze, für perfekte TV-Bilder in aller Welt. Die Gewinner begeben sich danach kurz zum Governors Ball; bei der einzigen offiziellen Oscar-Party werden die Namen auf die Statuetten graviert. „Erst dann können wir selber feiern – oder uns trösten lassen“, meint Jonas Dornbach. Sie haben auf dem Dach des Hilton Hotels eine Indoor-Location gemietet, mit Terrasse und freiem Blick über Hollywood. Auch die Filmförderer werden dabei sein, etwa Kirsten Niehuus vom Medienboard Berlin-Brandenburg. Deutsche Filmförderer sonnen sich gern im Erfolg der Kreativen.

Die New York Times schrieb eine Lobeshymne

Die Berliner Produzenten Jonas Dornbach, Janine Jackowski und Maren Ade, die Regisseurin (v.l.).
Die Berliner Produzenten Jonas Dornbach, Janine Jackowski und Maren Ade, die Regisseurin (v.l.).
© Iris Janke

Zur Oscar-Kampagne zählten bereits die Festivals von Telluride bis New York. Ansonsten helfen die Profis von Sony, die schon Michael Hanekes oscarprämiertes Schwarzweiß-Drama „Das weiße Band“ in den USA herausbrachten. „Die machen das großartig, es wäre Quatsch, nicht auf sie zu hören“, sagt Janine Jackowski. Natürlich ist auch absurdes Theater dabei, Meet and Greet, Cocktails, Imagepflege, Netzwerken halt. Das Entscheidende sei, so Jackowski, „die Neugier zu wecken, damit die Mitglieder sich den Film überhaupt anschauen“.

„Toni Erdmann“ startete in den USA am 25. Dezember, nach dem bei Arthouse- Produktionen bewährten Schneeballsystem. Erst lief der Film in drei Kinos, dann in sechs, dann in zehn, derzeit sind es rund 100. Der Trailer ist anders, schneller geschnitten und mit heiterer Musik unterlegt; ähnlich wie in Großbritannien wird Ades Film vor allem als Komödie angepriesen. Und mit Lobeshymnen etwa aus der „New York Times“: „Wenn ein einzelner Film die Rede vom Tod des Kinos verstummen lassen könnte, dann wäre es dieser.“ Auch die herrlich böse Pointe von Sandra Hüller fehlt nicht, die zu ihrem Chef sagt: „Ich bin doch keine Feministin, sonst würde ich es mit ’nem Typen wie dir gar nicht aushalten.“

Die Amerikaner hatten es nicht leicht mit dem Material der Komplizen-Filmer. „Wir sind dafür bekannt, nicht viel mit Setfotografen zu machen, weil es Zeit raubt und manchmal stört“, erklärt Jackowski. Die Folge: Es gibt nur wenige Bilder, Sony übernahm dann doch das deutsche Plakat. Die Werbestrategie ging allemal auf: Die US-Kritiker lieben den Film, und in der Publikumsgunst rangiert er fast so hoch wie der Oscar-Favorit „La La Land“.

"Wir wollen unsere Regisseure wirklich verstehen"

Die Karlsruherin Maren Ade und die Rheinländerin Janine Jackowski lernten sich im Jahr 2000 an der Münchner HFF kennen, sie gründeten eine GbR für die Studentenfilme. 2003 wurde Ades Abschlussarbeit „Der Wald vor lauter Bäumen“ für die Lola nominiert, es gab 250 000 Euro, „da führt man so eine Firma natürlich weiter“. 2010 stieß Jonas Dornbach dazu, er war schon Herstellungsleiter bei Ades Sommer-Beziehungsdrama „Alle anderen“. „Wir realisieren Projekte, an die wir glauben und denen wir alle drei zustimmen“, erklären die beiden. Auch deshalb bleibt Komplizen Film klein: Damit nichts produziert werden muss, bloß um die Firma zu finanzieren. Und damit Zeit fürs Zuhören bleibt. „Es mag banal klingen“, so Dornbach, „aber wir wollen unsere Regisseure wirklich verstehen.“ Man verbringt viel Lebenszeit mit ihnen; für „Toni Erdmann“ und Grisebachs „Western“ gingen je sieben Jahre ins Land.

Komplizen-Filme sind meist stille, langsame, störrische Geschichten, ihr Minimalismus ist von der Berliner Schule geprägt. Aber sie sind mit Humor versetzt, mit jenen skurrilen, verzweifelt-komischen Momenten, wie das Leben sie schreibt. „Wir wollen spezielles, intelligentes Kino, das uns auch unterhält“, sagt Jackowski. „Filme mit Ecken und Kanten“, ergänzt Dornbach, mit Handschrift und Mut. Und sie nehmen sich die Zeit, selber Regisseure zu entdecken. Als sie Sebastián Lelios Publikumsliebling „Gloria“ 2013 auf der Berlinale sahen, mailten sie ihm einfach: Wollen wir nicht mal?

Das Credo der drei: kompromisslos bleiben, beharrlich, die eigene Vision nicht verraten. Dass man damit nicht reich wird, liegt am deutschen Förderwesen, das die Eigenkapitalisierung von Produzenten erschwert. Von dem Geld für die 842 000 in Deutschland verkauften „Toni Erdmann“-Tickets und die weit über 100 Auslandsverkäufe kommt wenig in der Hagelberger Straße an. Zunächst sind die Kinobetreiber dran, dann die Verleiher und Weltvertriebe mit ihren Vorkosten, schließlich die Förderer, die überwiegend Darlehen geben und im Erfolgsfall bis zu 60 Prozent zurückbekommen. Besser wäre ein „Zehn-Prozent-Korridor“, die sofortige, zehnprozentige Beteiligung am Profit. Janine Jackowski will dafür kämpfen, sie sitzt jetzt als Stellvertreterin im Verwaltungsrat der Filmförderanstalt.

Und was bitte ist mit den Meldungen über ein US-Remake mit Jack Nicholson? „Die Verhandlungen sind noch nicht ganz abgeschlossen“, bestätigt Jackowski. Fest steht allerdings, dass Maren Ade und Komplizen Film kreativ nicht beteiligt sein werden. Die Berliner wollen einen sauberen Vertrag – und für die Amerikaner eben jene kreative Freiheit, die ihnen bei ihrer eigenen Arbeit am Herzen liegt. Ansonsten gilt: Auf der Welt kann es gar nicht genug Toni Erdmanns geben.

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