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Abgefangen in Zarzis. Drei von 90 illegalen afrikanischen Migranten, die am 9. August mit ihrem Boot 50 Kilometer vor der libyschen Grenze von den tunesischen Behörden abgehalten wurden. Sie wollten eigentlich nach Lampedusa.
© AFP/F. Nasri

Heidrun Friese über "Die Grenzen der Gastfreundschaft": Wanderer, kommst du von Lampedusa

"Die Grenzen der Gastfreundschaft": In ihrem neuen Buch denkt die Sozialwissenschaftlerin Heidrun Friese über die Bootsflüchtlinge von Lampedusa und die europäische Frage nach.

Brüchige Boote voller Flüchtlinge, die an den Klippen Europas kentern: So sieht die mediale Ikonografie der Insel Lampedusa aus. Das italienische Stück Fels im Mittelmeer, gelegen zwischen Tunesien und Sizilien, gilt als Symbol für die „Festung Europa“. Sommer für Sommer stranden hier Tausende auf der Suche nach dem Glück. Im Oktober 2013 warb sogar Papst Franziskus nach einem Schiffbruch mit fast 300 Ertrunkenen um Mitgefühl.

Als weltweit wohl einzige Forscherin befasst sich Heidrun Friese seit mehr als zwei Jahrzehnten mit der Realität dieser Insel und deren symbolischer Deutung. Die empirische Sozialwissenschaftlerin hat auf Lampedusa Flüchtlinge und deren Helfer befragt, Politiker und Funktionäre, Fischer und Gastwirte. Feldforschungen führten sie zudem in tunesische Häfen wie Kelibia, Sfax und Sousse, von wo aus illegale Migranten ihre Seefahrt starten. Auf Arabisch nennen sie sich „harraga“ – „die vor Sehnsucht brennen“ – und die ihre Papiere verbrennen, um ein neues Leben zu beginnen.

Friese hörte ebenso einem geflohenen Nigerianer zu, in dessen Dorf Islamisten ein Massaker verübten, wie maghrebinischen Geschäftsleuten, die Überfahrten für Fluchtwillige organisieren. Ihre Erkenntnisse bettet die Anthropologin in den Kontext der größten, global sozialen Frage: Wie verfahren Gesellschaften im Zeitalter der massenhaften Mobilität mit der Aufnahme von Fremden?

Den Ertrag ihrer Studien legt Friese nun in „Grenzen der Gastfreundschaft – Die Bootsflüchtlinge von Lampedusa und die europäische Frage“ vor (transcript, Bielefeld 2014, 250 S., 29,99 €). Michel Foucaults Diktum, wonach Mobilität als „Praxis der Freiheit“ verstanden werden müsse, gehört zu den Prämissen dieser Arbeit, die sich zugleich souverän fern hält von apolitischem Pathos und so fulminant wie faktenreich argumentiert; intelligent, human, inspirierend.

Der Blick der Autorin gilt unter anderem der milliardenschweren „Hospitality Industry“ im Mittelmeer, an der viele verdienen: Rotes Kreuz, Carabinieri, Behörden, Hersteller von Unterkünften und noch die Schrotthändler, die aus dem Schiffsfriedhof der Wracks auf Lampedusa ihre Profite ziehen. Auf Italienisch heißen die Illegalen ospiti, Gäste. Doch seit der Antike trägt der Begriff Gast eine ambivalente Fracht aus Erwartungen und Ängsten, die sich noch im Diskurs der Zeitgenossen niederschlägt. Für die einen sind die ospiti Opfer der Misere in ihren Herkunftsländern, für andere eine Invasion, akute Bedrohung der zerfallenden „klassischen Trinität Nation-Staat-Territorium“.

Beides, so Friese, steuert am notwendigen Entwurf einer „Politik der Gastfreundschaft“ vorbei, die weder Ambivalenzen einebnet noch Differenzen fortschreibt und instrumentalisiert. Wer Migranten den Status passiver Opfer zuschreibt, entmündigt, entwürdigt sie und verkennt ihr staunenswertes, aktives Potenzial. Wer aber Angstproduktion schürt, heizt negative Stereotypen an. Frieses Buch sucht bessere Antworten auf die aktuelle Frage nach „Gastfreundschaft, Kosmopolitismus und Gerechtigkeit“.

Schließlich setzt sich Friese mit dem Konzept der „absoluten und bedingungslosen Gastfreundschaft“ auseinander, wie sie Jacques Derrida einklagte. Den Gestus jedoch, der jedem jederzeit und beliebig lange die Tür offen hält, verwirft Friese als im Kern apolitisch. „Suspendierte Gegenseitigkeit“, so ihr Argument, mache Bindung und Verantwortung unmöglich. Den Anderen belässt sie „in nie einlösbarer Schuld“ oder macht ihn tatsächlich „zum Verräter der Gastfreundschaft“. Ohne Empirie bleibt Theorie steril, lautet ein Leitmotiv der Autorin, die als Professorin für Interkulturelle Kommunikation in Chemnitz lehrt. Wer ihr Buch liest, wird Migration mit anderen Augen sehen. Das kann brillante Sozialwissenschaft wie diese bewirken. Sie erfasst ihren Gegenstand lebendig, hat die Theorie durchdrungen und erweist beiden Wegen Respekt. „Die Grenzen der Gastfreundschaft“, glänzend geschrieben, ist ein großes Buch. Ein Muss für alle, die Europa als Sozialraum denken und gestalten wollen.

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