Frankreich und seine koloniale Beutekunst: Wahre Größe und eine Frage der Gerechtigkeit
Frankreich könnte bald 90.000 Objekte an seine Ex-Kolonien in Afrika zurückgeben. Was bedeutet das für die deutschen Museen?
„Die Restitution des afrikanischen Kulturerbes“ lautet der schlichte Titel des Rechercheberichts von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr, der den Umgang mit kolonialer Raubkunst revolutionieren könnte, ja sollte. Die in Berlin und Paris lehrende Kunsthistorikerin und der senegalesische Ökonom und Essayist stellen die Maximalforderung auf. Ihre Empfehlung lautet, dass unverzüglich und ohne weitere Erforschung der Provenienzen sämtliche Objekte aus französischen Museen zurückgegeben werden sollten, die im Zuge kolonialer Eroberungen erbeutet wurden oder von französischen Kolonialbediensteten mitgenommen wurden.
Dies gilt auch für Stücke, die nach 1960 in die Sammlungen aufgenommen wurden, aber früher außer Landes gekommen waren. Musste bisher bei Restitutionsverfahren nachgewiesen werden, dass sich ein Exponat zu Unrecht in Museumsbesitz befindet, so ist die Beweispflicht nun umgekehrt. Künftig sollen die Kuratoren den legalen Erwerb nachweisen, wollen sie das Werk behalten.
Zwei Tage bevor am Freitagnachmittag der 240 Seiten starke Report dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron übergeben wird, wird die radikale Handreichung bereits in der Öffentlichkeit diskutiert. Der von Macron in Auftrag gegebene Bericht wurde einzelnen Medien wie der „Süddeutschen Zeitung“ und der „New York Times“ bereits zugespielt. Kein guter Stil. Aber angesichts der grundstürzenden Änderungen, die Macron ohnehin schon Anfang des Jahres angekündigt hatte, dürfte das Ergebnis des Berichts den Präsidenten jedoch kaum überraschen. Macron hatte in einer viel beachteten Rede vor Studenten in Ouagadougou in Burkina Faso versprochen, dass binnen fünf Jahren die Bedingungen dafür geschaffen sein sollten, sämtliches afrikanisches Kulturgut zurückzugeben. 90.000 Objekte insgesamt, allein 70.000 aus dem Musée de Quai Branly, wie der Report vorrechnet.
Prognosen sind schwer
Nun wird man sehen, was Macron mit dem Zahlenwerk von Savoy und Sarr anfängt. Die beiden hatten in den letzten Monaten Afrika bereist und sich in den Museen und Universitäten von Senegal, Mali, Kamerun und Benin umgesehen. Im Anschluss an die Übergabe soll der Bericht noch am Freitagabend unter www.restitutionreport2018.com auch auf Englisch abrufbar sein – Macron setzt auf Transparenz. Für die französische Leserschaft ist das Rechercheergebnis ab Montag in Buchform erhältlich.
Welche Auswirkungen der Report auf die internationale Museumslandschaft hat, lässt sich noch weniger prognostizieren. Für Deutschland, zumal für Berlin, wo im kommenden Jahr das Humboldt Forum eröffnet wird, setzt er ein wichtiges Zeichen – zumindest für die weitere Diskussion. Museumsintern läuft sie verhalten an, wie sich bei dem am Donnerstagmorgen in Dahlem eröffneten Symposium zum Thema „Vertagtes Erbe? Vergangenheit und Gegenwart des Kolonialismus“ erwies. Anders als der Generalsekretär des Goethe-Instituts, Johannes Ebert, der zusammen mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz eingeladen hatte, ging Stiftungspräsident Hermann Parzinger in seiner Begrüßung mit keinem Wort auf den Bericht ein. Gewiss, das Goethe-Institut hat keine Sammlung zu betreuen, während die Staatlichen Museen ab Herbst 2019 ihre Ethnologischen Sammlungen im Humboldt Forum präsentieren und schon jetzt im Kreuzfeuer der Kritik stehen.
Am Rande der Konferenz äußerte sich Parzinger dann doch zu den Vorschlägen von Savoy und Sarr, wenn auch skeptisch. Provenienzforschung dürfe nicht auf die leichte Schulter genommen werden, so der Stiftungspräsident. Den Verdacht, die Museen würden hier ihre Pflichten vernachlässigen und Restitutionen grundsätzlich kritisch gegenüberstehen, wies er von sich. Er betonte die Verantwortung gegenüber den Objekten.
Frankreich kann hier echte Größe beweisen
Während Parzinger als Oberhaupt eines der größten Museumsverbände der Bundesrepublik eher verhalten bis ablehnend auf den französischen Vorstoß reagiert, zeigt sich El Hadji Malick Ndiaye aus Dakar, Teilnehmer des zweitägigen Dahlemer Kolloquiums, begeistert von den Vorschlägen Savoys und Sarrs. „Was heißt hier radikal?“, so der Direktor des Musée Théodore Monod d’art africain, bei dem die beiden ihre Recherchereise begonnen hatten. „Es ist doch ganz einfach: Die Dinge wurden weggenommen. Jetzt müssen sie zurückgegeben werden.“ Dies sei eine Frage der Gerechtigkeit.
Zugleich macht der senegalesische Kurator deutlich, dass die Museen nicht mit der Restituierung allein gelassen werden dürfen. Dies sei Aufgabe der Politik. Macron hätte die Initiative ergriffen, nun müssten die Kultusminister auf beiden Seiten in Verhandlung treten: der Beginn einer neuen kulturellen Diplomatie. Ndiaye warnt davor, die Objekte einzelnen Interessensvertretern beraubter Communities zu überlassen. Es bestehe dann die Gefahr, dass sie auf dem Kunstmarkt landen. Außerdem fordert er, dass die ehemaligen Kolonialländer bei der musealen Ertüchtigung helfen müssen, mit Equipment und Expertise.
Sehr viel anders meinte auch Parzinger das in seiner Eröffnungsrede nicht, als er davon sprach, dass man „die erzählerische Kraft der Objekte“ miteinander teilen müsse. An welchem Ort dies zuallererst zu geschehen habe, daran lässt er jedoch keine Zweifel, erst die deutschen Museen, dann die afrikanischen Partner. Savoys und Sarrs „Neue Ethik der Beziehungen“, so der Untertitel ihres Berichts, stellt genau diese Hierarchie in Frage. Frankreich, die Grande Nation, kann hier echte Größe beweisen.