"Hoffmanns Erzählungen" an der Deutschen Oper: Zaubers Trick
Laurent Pellys Version der „Contes d’Hoffmann“ an der Deutschen Oper Berlin, mit einem großartigen Enrique Mazzola am Pult.
Wer würde bei diesen Koloraturen nicht abheben? Professor Spalanzani hat ins Labor geladen, um seine jüngste Erfindung vorzustellen: einen Menschen-Automaten. Den nennt er „Tochter“ und hat ihm das Singen beigebracht. Während sich seine Studenten eifrig Notizen machen, trällert Olympia ihre Arie – und fliegt dabei kreuz und quer vor pechschwarzem Hintergrund herum, scheinbar gesteuert von der Musik.
Die melodisch motivierte Choreografie ist der Clou von Laurent Pellys Inszenierung der „Contes d’Hoffmann“. Bei der Premiere am Samstag staunt das Publikum in der Deutschen Oper Berlin nicht schlecht über diesen Trick. Denn es sind keinerlei Seile zu sehen, an denen die Sopranistin Cristina Pasaroiu vom Schnürboden aus durch die Lüfte gezogen werden könnte.
Weil der französische Regisseur in seiner Inszenierung von Jacques Offenbachs Meisterwerk betonen will, dass hier nicht das echte Leben abgebildet, sondern Theater gespielt wird, weil es ihm darum geht, die Fantasie der Zuschauer zu stimulieren und ihnen gleichzeitig vorzuführen, wie leicht das Gehirn trügerischen Illusionen verfallen kann, zeigt er in der dritten Strophe der Olympia-Arie dann doch, wie der Zauber funktioniert: mithilfe einer altmodischen, fahrbaren Krankonstruktion, die im Stockdunkel der Hinterbühne von drei Technikern bedient wird. Schon Richard Wagner nutzte diese Geräte, um seine Rheintöchter unter Wasser schwimmen zu lassen.
Fast vier Stunden dauern „Hoffmanns Erzählungen“ in der vollständigsten Fassung, die dank der Edition Keck des Verlags Boosey & Hawkes von dieser fragmentarisch hinterlassenen opéra fantastique existiert. Es sind kurzweilige Stunden, eben weil Pelly und seine Bühnenbildnerin Chantal Thomas zu zaubern verstehen, im Antonia-Akt die Ebenen eines Treppenhauses surreal verschieben, Hoffmanns Konterfei im Venedig-Akt tatsächlich aus dem von der Decke hängenden Spiegel verschwinden lassen. Edle Blau- und Grautöne dominieren die Ausstattung, punktuell durch pastellfarbige Accessoires ergänzt. Wände fahren lautlos herein, Vorhänge blähen sich in der sanften Brise aus dem Ventilator, das Licht ist durchweg gedämpft, die vom Regisseur entworfenen Kostüme passen historisch korrekt zur Entstehungszeit des Werkes in den 1870er Jahren. Kein Wunder, dass beim Schlussapplaus eitel Freud herrscht im Saal.
Gute Idee, die Inszenierung von 2005 einzukaufen
Jedes Opernhaus, das nach dem deutschen Repertoireprinzip funktioniert, braucht Inszenierungen wie diese. Nummer-sicher-Stücke, die man jede Saison aus dem Fundus holen kann. Deshalb war es klug von der Deutschen Oper, Laurent Pellys bereits 2005 in Lyon herausgekommenen „Hoffmann“ für die Saison 2018/19 einzukaufen, der auch schon in Barcelona und San Francisco gezeigt wurde. Weil es eben keine Katze im Sack ist, wie im Fall von Koproduktionen, bei denen sich zwei oder mehr Bühnen im Vorfeld für ein Projekt zusammentun. Wer erst nach der gelungenen Premiere zugreift, kann sicher sein, welche Darbietung er übernimmt. Vor allem, wenn es sich um ein szenisches Arrangement handelt, das zwar optisch jede Menge hermacht, in der Personenführung aber überschaubar bleibt. Sodass sich später, im Bühnenalltag, schnell wechselnde Gastsolisten einfinden können.
In der Berliner Premierenbesetzung wird der Abend zum Sängerfest. Cristina Pasaroiu trällert nicht nur die Olympia bezaubernd, sondern findet auch noble Lyrismen für die Antonia und spielt als Giulietta Hoffmann schließlich sehr überzeugend falsche Gefühle vor. Alex Esposito ist die Idealbesetzung für die Bösewichtrollen, weil der italienische Bass dämonische Stimmschwärze mit messerscharfer Artikulation zu kombinieren weiß. Der von Jeremy Bines vorbereitete Chor der Deutschen Oper überzeugt mit Wandlungsfähigkeit, prachtvoll verströmt sich Irene Roberts als Muse und Nicklausse, und mit dem multipel unbegabten, aber ins Bühnenrampenlicht strebenden Diener Franz gelingt Gideon Poppe ein kabarettistisches Kabinettstückchen.
Star des Abends ist das Orchester unter Enrique Mazzola
Daniel Johansson in der Titelpartie erscheint fast zu stattlich, zu hochgewachsen, zu gut aussehend für einen Hoffmann. Wie verletzlich dieser in Lebens- und Liebesangelegenheiten so glücklose Tagträumer ist, wird bei ihm aber akustisch deutlich: Weil er kein strahlender Tenorheld ist, sondern ein Sänger, der sich zwar leidenschaftlich verausgabt, den diese Partie jedoch deutlich an seine vokalen Grenzen bringt.
Der größte Star des Abends aber ist das Orchester der Deutschen Oper: Die Musikerinnen und Musiker spielen auf der Stuhlkante, bieten mit Enrique Mazzola ein Gegenprogramm zur vornehmen Blässe der Regie. Schon als Meyerbeer-Interpret hat der italienische Maestro das Maximum aus den Partituren von „Dinorah“, „Vasco da Gama“ und „Le Prophète“ herausgeholt – was ihm den Ehrentitel des Ständigen Ersten Gastdirigenten an der Bismarckstraße einbrachte.
Auch jetzt, beim vielgesichtigen Offenbach, findet er für jede Szene die adäquate Atmosphäre, erschafft suggestive Klanglandschaften. Ohne dass die Power, die dem Graben entströmt, jemals die Sänger in Bedrängnis brächte, sie zum Forcieren drängte. Im Gegenteil, diese wunderbare instrumentale Vitalität trägt sie, stützt sie, verhilft ihrer Kunst erst zur vollen Entfaltung.
- Weitere Vorstellungen am 4., 8. und 15. Dezember sowie am 5., 9. und 12. Januar