Filmplakate der DDR: Von wegen Werbung
Ein vergessenes Kapitel der Kunstgeschichte: Mit einem opulenten Bildband würdigt Grafiker Detlef Helmbold DDR-Plakate.
Wenn wir in den 1970er Jahren aus der ostbrandenburgischen Provinz, damals „Bezirk Frankfurt/Oder“, zum Museumsbesuch und Einkaufen fuhren nach „Berlin, Hauptstadt der DDR“, standen auch Film- und Theaterplakate auf der Wunschliste. Dass sich Teenager gezielt danach umschauten und nicht nach Bildern von Popstars, lag gewiss auch an der mageren Angebotslage bezüglich Letzterer, ist aber dennoch ein Beispiel für das hohe Ansehen, das diese Form der Gebrauchsgrafik im Osten Deutschlands einmal genoss. Solche Plakate bildeten eine eigene Kunstform, die weit hinauswies über ihren ursprünglichen Verwendungszweck, für Filme oder Stücke zu werben. Angesehene Künstler wie Erhard Grüttner, Heinz Ebel, Heinz Handschick oder Thomas Schleusing arbeiteten in diesem Bereich der DDR-Plakatgestaltung, die von der Kunstgeschichte bis heute kaum erforscht und gewürdigt worden ist.
Umso verdienstvoller ist die Edition des gut fünf Kilo schweren Bandes „Mehr Kunst als Werbung. Das DDR-Filmplakat 1945-1990“ durch Detlef Helmbold innerhalb der Schriftenreihe der DEFA-Stiftung im Bertz+Fischer Verlag. Der Herausgeber, Grafiker und Designdozent erstellte dieses Grundlagenwerk in sechsjähriger Arbeit. Basis seiner akribischen Forschungen waren die Bände „Filme in der DDR 1945-1986“ und „Filme in der DDR 1987-1990“ des Katholischen Instituts für Medieninformation aus den Jahren 1987 und 1991; dazu kamen Recherchen in Filmmuseen und Archiven sowie Privatsammlungen weltweit. Chronologisch sortiert und mit präzisen Annotationen versehen (bis hin zum Format) sind im Band fast 6400 Plakate versammelt, die einen nahezu lückenlosen Spaziergang durch die Kino- und Filmverleihgeschichte in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR ermöglichen.
Hochinteressantes erfährt man aus den Essays, die den Abbildungen beigegeben sind. Etwa Fakten über die Besonderheit der DDR-Filmplakate (Motto: Papier sparen!), und dass Filme, die in der DDR ins Kino kamen, nicht nur mit dem Filmplakat, sondern auch mit einer sogenannten Wandzeitung ausgestattet wurden: In kleinerem Format und auf minderwertigerem Papier gedruckt, enthielt diese neben dem Haupt-Plakatmotiv zusätzlich Fotos und eine erweiterte Inhaltsangabe. Wo Helmbold das Original-Filmplakat nicht ausfindig machen konnte, hat die Wandzeitung den Weg ins Buch gefunden.
Künstlerische Herangehensweise stand an erster Stelle
Filmplakate hatten auch in der DDR an erster Stelle Anzeigepflicht: Filmtitel, Namen der bekanntesten Schauspieler, Regisseur oder literarische Vorlage, Produktionsland und der Hinweis auf die Farbigkeit des Films waren Pflichtinformationen. Dem fügten sich die ostdeutschen Künstler keineswegs willig. Nicht selten schien die Lesbarkeit der Informationen an zweiter Stelle zu stehen. Bei Erhard Grüttners Plakatdesign für den oscarnominierten DEFA-Klassiker „Jakob der Lügner“ (1975) etwa dienten sie als Rahmen für ein Porträt der Hauptfigur, verkörpert von Vlastimil Brodský.
Die künstlerische Herangehensweise stand also an erster Stelle – auch wenn von offizieller Seite mitunter gefordert wurde, dass das Plakat einen weniger gelungenen Film aufwerten sollte. Dass dies auch zu Konflikten mit den genehmigenden DDR-Behörden führte, ist ein eigenes Kapitel. In sehr berührender Form erinnert Helmbolds Band an einzelne Künstler. Heute würden viele der eigensinnigen grafischen Arbeiten wohl durchfallen bei Verleihern, die auf Eindeutigkeit setzen.
Detlef Helmbold, Mehr Kunst als Werbung: Das DDR-Filmplakat 1945-1990, Bertz+Fischer Verlag, 672 Seiten, 6385 Abbildungen, 96 Euro
Anke Westphal