Defa: Verhängnis West, Vermächtnis Ost
Lachen ist gesund, Ignoranz weniger: Volker Schlöndorff findet Defa-Filme blöd. Dabei dreht er selbst welche.
Nun bleiben wir mal ganz ruhig. Der DDR-Alltag kommentierte Erstaunlichkeiten, Zumutungen, Plumpheiten aller Art mit dem Ausruf: „Das gibt’s in keinem Russenfilm!“ In den letzten Tagen haben über 120 Filmleute Ost einen Offenen Brief an Volker Schlöndorff – gegen Schlöndorff – unterzeichnet (vgl. Tagesspiegel vom 11. Dezember). Darunter die, die schon gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatten. Das gibt’s in keinem Russenfilm!
Was hat der Mann getan, um einen solchen Zorn auf sich zu ziehen? Schlöndorff unterhielt sich mit einem Journalisten, und ihm entfuhren Sätze wie: „Den Namen Defa habe ich abgeschafft, die Defa-Filme waren furchtbar. Die liefen damals in Paris, wo ich studierte, nur in Kinos der Kommunistischen Partei. Wir sind da reingegangen und haben gelacht.“
Das Lachen ist ein elementares Menschenrecht. Jedes Lachen ist ein Dissident, ist inkorrekt. Allerdings ist jeder für sein Lachen selbst verantwortlich. Was soll Schlöndorff machen? Alles zurücknehmen und sagen, er habe gar nicht gelacht? Das ist auch so schön am Lachen, man kann es nicht widerrufen. Wo Schlöndorff gelacht hat, hat er gelacht.
Der Regisseur der „Blechtrommel“ und der „Verlorenen Ehre der Katharina Blum“ studierte in den fünfziger und sechziger Jahren in Paris, was sah er? Den Defa-Film der fünfziger, der frühen sechziger Jahre. Es waren großartige darunter, aber die wird Schlöndorff nicht gesehen haben, sonst hätte er nicht gelacht. Außer den großartigen Filmen lassen sich im Defa-Werk der Fünfziger und frühen Sechziger zwei weitere Hauptgruppen erkennen: Filme vom Typus „Ernst Thälmann. Sohn seiner Klasse“ und die Im-Westen-wohnen-die-Schieber-und-Faschisten-Filme. Was nicht ganz falsch war, bloß wohnten sie dort nicht allein, und so, wie die Defa es agitproper in Serie zeigte, wurde es augenblicklich falsch.
Doch sogar unter den „Im-Westen- wohnen …“-Filmen waren gute, bleibende, etwa „Eine Berliner Romanze“ von Gerhard Klein. In seiner Filmsprache stand das DDR-Kino jener Jahre noch ganz wie das altbundesdeutsche Heimatkino im Bann der Ufa-Ästhetik. Natürlich hat Schlöndorff gelacht. Ohne den Hohn auf die Formensprache von gestern wird niemand Avantgardist.
Schlöndorff hat dem Journalisten der „Märkischen Allgemeinen“ dann noch einen Brief geschrieben, einen So-nicht Brief, einen Quasi-Rechtfertigungsbrief, in dem erst das eigentlich Unglaubliche steht: „,Berlin Ecke Schönhauser’, ,Ich war 19, ,Spur der Steine’, ,Jakob der Lügner’ und viele andere großartige Filme habe ich erst entdeckt, als ich nach der Wende hierher kam.“ Man mag es nicht glauben. Da tritt ein Westler in Babelsberg an, die Defa-Studios abzuwickeln, und weiß – nichts. Denn wer das Nach Mauerbau-Kino Ost nicht kannte, wusste nichts. Das Teilvolk West hat immer mit dem Rücken zur DDR gelebt, das ist ihm nicht vorzuwerfen, es gab Vergnüglicheres.
Andersherum aber: Wer im Osten kannte nicht Volker Schlöndorff? Die eigene Ignoranz als Tugend auszurufen, verstimmt noch immer. Der oft gehörte Nachwendesatz „Wir hätten uns mit Polen wiedervereinigen sollen!“, hat hier seinen Grund. Eine wirklich neue Filmsprache, vergleichbar der Nouvelle Vague, hat das DDR-Kino nur in Ansätzen hervorgebracht. Der zarte, schöne Trieb – man erinnere sich an Jürgen Böttchers „Jahrgang 49“ - wurde zu früh geknickt. Denn es war auch Zufall, dass die Genossen den Aufbruch Ost schon 1965 niedertraten: sie mussten auf Druck Moskaus anstelle des geplanten Wirtschaftsplenums (mit Souveränitätserklärung der DDR-Ökonomie) kurzfristig ein neues Hauptthema finden.
Umso erstaunlicher, wie eigenständig, wie sicher sich das DDR-Kino dann doch entwickelte – auch in seinen atemberaubenden formalen Vorstößen, etwa in Egon Günthers „Der Dritte“ oder Ulrich Weiß‘ „Tambari“ und „Dein unbekannter Bruder“. Es lernte unendlich wirklichkeitstief zu träumen, je wegloser die Realität wurde. Auf diese Art träumte der Westen nie. Wer in der DDR groß wurde, hat diese Traumbiografie des Konkreten, es ist ein unverlierbarer Ton darin. Und ohne die DEFA-Märchenfilme aufgewachsen zu sein – undenkbar.
Der Charlottenburger Großbürgersohn und Haupt-Defafilmer Kurt Maetzig, bald 100 Jahre alt, nannte die Defa-Filme das authentische Bildgedächtnis Ost. Er hat recht.
Natürlich hatte die Defa gleich am Anfang ein Zuschauerproblem. Denn so wenig wie das Westvolk mochte das Ostvolk seine jüngste Vergangenheit im Kino sehen. Die einen bekamen Heimatfilme, die anderen nicht. Eigentlich war das großartig. Überhaupt, dass Regisseure und Schauspieler direkt aus Hitlers Lagern und dem Untergrund vor und hinter die Kamera treten konnten. Dass Arbeiter Kino machen durften.
Die Defa musste weg, denn die Defa Leute mussten lernen, sich am Kunden zu orientieren, sagt Schlöndorff. Schauerliches Wort. Es gibt ein gewisses Verhängnis Ost: Es ist schon schwer genug, sich an sich selbst zu orientieren. Darf man da von jemandem, der das in der DDR durchgehalten hat, verlangen, jetzt – sagen wir verkürzt: in der Freiheit – damit aufzuhören? Glücklicherweise hat nicht einmal Schlöndorff das geschafft. Seinen großartigen Film „Der neunte Tag“ – er ging stracks am „Kunden“ vorbei – hätte es sonst nie gegeben.
Aber wir müssen nicht streiten. Schlöndorffs „Heldin von Danzig“ war in der Art seiner grotesken Misslungenheit vielleicht der letzte Defafilm. Und „Die Blechtrommel“ war einer der besten Defa-Filme überhaupt: so verwandt in seiner epischen Breite, seiner Originalität mit den Mitteln der (weitgehenden) Konvention, seiner Schauspielerführung.
Noch eins: Liebes Russenkino! Du warst großartig, manchmal. Nein, öfter.
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