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Bitte naturalistisch! Giulio Turcato (1912-1995) malte 1950 eine "Demonstration" mit stilisierten roten Fahnen - nicht zur Freude der Kommunistischen Partei, dem PCI.
© Galleria d'Arte Moderna, Rom/Photo Schiavinotto Roma

Italienische Nachkriegskunst: Von wegen Dolce Vita

Sturm auf die Biennale: Eine Ausstellung in Florenz überrascht mit einem verstörenden Panorama italienischer Nachkriegskunst bis 1968.

1968 gingen nicht nur die Pariser Arbeiter auf die Straße, sondern auch die in Turin. Die Arbeiter von Fiat demonstrierten wie in Frankreich im Verbund mit den Studenten, die von lotta continua schwärmten, dem „fortwährenden Kampf“. Das einschneidendste Ergebnis des Jahres indessen war die Beinahe-Erstürmung der Biennale von Venedig – daraufhin wurden die bis dahin verliehenen „Großen Preise“ abgeschafft (später jedoch als „Goldene Löwen“ wieder eingeführt).

Italien erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg und der Volksabstimmung vom 2. Juni 1946, mit der die Republik etabliert wurde, einen lang anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung. Kulturell bedeuteten die beiden Nachkriegsjahrzehnte die Befreiung nicht allein vom Faschismus, sondern überhaupt von überkommenen Konventionen. Während der figurativ malende Renato Guttuso zum Vorzeigekünstler der Kommunisten avancierte – er brachte es bis ins Zentralkomitee der Partei, des PCI –, lösten sich die Künstler erst von der Abbildung der Wirklichkeit und schließlich überhaupt vom Bild.

Diese Ära der italienischen Kunst wurde erst im Ausland erkannt

Das jedenfalls ist der Eindruck, den die Ausstellung „Geburt einer Nation. Von Guttuso bis zu Fontana und Schifano“ vermittelt, die jetzt das Florentiner Kunsthaus Palazzo Strozzi in seinen Sälen eingerichtet hat. Es ist, als ob sich Italien seiner eigenen Kreativität dieser Epoche versichern müsste; denn, wie der Direktor der Strozzi-Stiftung, Arturo Galansino, zur Eröffnung erklärte, „diese wunderbare schöpferische Ära wurde zur Gänze erst im Ausland erkannt, von führenden Museen und internationalen Sammlern, ehe sie in unserem eigenen Land wiederentdeckt wurde“.

Interessant! Dabei meint man doch in Italien immer wieder den Stolz insbesondere auf die arte povera, die „arme“ Kunst der sechziger und siebziger Jahre, demonstriert bekommen zu haben. Oder ist das der Blick von außen – weil Künstler wie Mario Merz oder Jannis Kounellis im internationalen Betrieb so lange unverrückbar dabei waren, mit ihren „Iglus“ und ihren Kohlesäcken?

Schon der Auftakt der Ausstellung irritiert

Kein Merz’scher Iglu ist in Florenz zu sehen; immerhin eine der laut zischenden Gasflammen, mit denen der Wahl-Römer Kounellis jahrzehntelang so manchem Ausstellungskurator Schweißperlen auf die Stirn getrieben hat, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Die offene Flamme gibt’s auch im Renaissance-Palast nur unter besonderer Aufsicht. Überhaupt müssen viele Werke beaufsichtigt werden, weil sie so „arm“, aus so gewöhnlichen Materialien geschaffen wurden, dass sie so gar keine Kunst-Aura samt zugehörigem Respekt verbreiten.

Schon der Auftakt der Ausstellung hat etwas Irritierendes. Parallel zu Ausschnitten aus damaligen Wochenschauen hängt riesengroß das Historiengemälde der „Schlacht an der Ammiraglio-Brücke“ von Guttuso im Eingangsraum über den Köpfen, die 1955 geschaffene Darstellung einer Episode aus den italienischen Einigungskriegen. Sie war früher in der Zentrale der Kommunistischen Partei in Rom zu bewundern, als Anspielung auf die nationale Rolle des PCI in und seit dem antifaschistischen Widerstand.

Die arte povera als Gegenbild zur Wirtschaftswunderpropaganda

Doch im Folgenden fehlt dieser Strang der Kunst; und die stilisierten roten Fahnen, spitzen Segeln gleich, die Giulio Turcato 1950 über sein Gemälde „Politische Demonstration“ verteilt hat, wurden wie alle nicht unmittelbar abbildende Kunst von den Kommunisten aufs Entschiedenste verdammt.

Noch 1961 entdeckte der Meister des Plakatabrisses, Mimmo Rotella, unter dem verblichenen Plakat irgendeines Sandalenfilms ein Plakat mit Mussolini-Kopf und -Zitat. So vergangen war die Vergangenheit in Italien also doch nicht, allem Resistenza-Mythos zum Trotz.

Die Künstler fanden andere Antworten auf die gesellschaftliche Situation als die Politik. Die Armut der arte povera war das Gegenbild zur Wirtschaftswunderpropaganda, wie sie die Wochenschauen verbreiteten. Sie zeigten Kolonnen nagelneuer Fiats 500, den neuen Wohlstand ankündigend, den die inneritalienischen Wanderarbeiter aus dem wahrlich armen Süden des Landes in den Fabriken des Nordens erschufteten. Albetto Burri begann, zerrissene Säcke als Leinwand aneinanderzunähen – zu sehen ist „Sack und Weiß“ von 1953. Der bereits 1899 geborene Altmeister Lucio Fontana schlitzt erst unbemalte Leinwände auf und dann andere Bildträger wie Kupfer – „Concetto Spaziale“ 1962 –, und der Venezianer Emilio Vedova, später Akademie-Gast in West-Berlin, haut die Farbe ungestüm auf riesige Leinwände. Der Titel des in Florenz gezeigten, wie so oft bei Vedova mehrteiligen Bildes von 1959, „Zusammenprall der Situationen“, passt auf die Ausstellung als Ganzes.

Identität durch Kunst

In den späten fünfziger Jahren wird die italienische Kunst dann sehr international, nähert sich vor allem dem Nouveau Réalisme aus Paris an, der keine Bilder mehr malt, sondern Gegenstände nimmt und verfremdet, so Piero Manzonis „Körper aus Luft“ von 1960: ein aufgeblasener Luftballon auf eigenem Ständer. Installationen und Performances – noch bevor der Begriff geprägt war – kommen hinzu, bis die Kunst in den sechziger Jahren ausdrücklich politisch wird.

Mario Schifano malt 1960 ein riesiges rotes „No“ auf die Leinwand, Franco Angeli verstreut Hämmer und Sicheln auf sein Bild „Sterne“ vom Jahr darauf. 1968 sind dann bei beiden Künstlern nicht mehr nur Symbole zu sehen, sondern auch die handelnden Personen,  die fahnenschwingenden Demonstranten.

Was ist Italien?, fragen Künstler wie Luciano Fabro, der den charakteristischen Umriss des „Stiefels“ kopfüber an die Decke hängt oder in Pelz hüllt. Alighiero Boetti schließlich verlässt Anfang der Siebziger Italien, geht auf den Hippie-Trip nach Afghanistan und lässt die dortigen Weberinnen nach Vorlagen bunte Weltkarten sticken, auf denen der Umriss jeden Staates durch seine Nationalflagge ausgefüllt ist. Welthaltigkeit durch Weltflucht?

Ein ungewohntes und verstörendes Bild

Es ist ein ungewohntes, ja verstörendes Bild, das Kurator Luca Massimo Barbero im Palazzo Strozzi zeichnet. Wie die Kunst selbst, so ist jedoch auch seine Ausstellung zu sehr in sich gekehrt, um eine genaue Vorstellung von den Konflikten Italiens in der Nachkriegsära zu geben. „Wir wollen zeigen“, erklärt Barbero mit Seitenblick auf die damals boomende Filmindustrie, „dass das Dolce-Vita-Image Italiens unzutreffend ist. Dass da ein Krieg stattfand!“ Man ahnt, dass das mit dem gefälligen Beschweigen, ja der freundlichen Einvernahme der Mussolini-Zeit zu tun haben könnte. Wenn etwas die italienische Kunst dieser Jahre eint, dann der Unwille, am allgemeinen Wohlgefühl teilzunehmen, diesem compromesso storico des Landes mit seiner Vergangenheit. Erst 1968 markierte dann auch in Italien den Wendepunkt.

Florenz, Palazzo Strozzi, bis 22. Juli. Katalog (ital. o. engl.) bei Marsilio Editore, 40 €., Infos unter www.palazzostrozzi.org

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