Bob Dylan erinnert an JFK: Von Kennedy zu Corona
Lange war es still um ihn. Jetzt tritt Bob Dylan mit einem Riesensong an die Öffentlichkeit.
Dieser Song kommt in einem seltsamen Moment. Oder zur richtigen Zeit. Bob Dylans „Murder Most Foul“, am Ende einer wieder weltweit schrecklichen Corona-Woche im Netz veröffentlicht, evoziert die Ermordung John F. Kennedys. Es geschah im November 1963. Die USA hatten einen jungen Präsidenten, eine Lichtgestalt im Weißen Haus, und Dylan stand am Beginn einer einzigartigen Karriere, bis hin zum Literaturnobelpreis 2016.
Der Poet und Sänger wird in ein paar Wochen 79 Jahre alt, und sein Land wird von einem notorischen Lügner und Leugner ruiniert, dessen Zustimmungswerte mit der wachsenden Zahl von Infizierten und Toten steigen.
Aber ist das noch ein Song? Ist es nicht ein Langgedicht im Sprechgesang, in der Tradition des Hymnikers Walt Whitman, der die Demokratie feierte, das unermessliche weite Land, das amerikanische Ego? 17 Minuten lang trägt Dylan, klar und verständlich, mit weiser, wunder Stimme seine Fackel durch eine sich verdunkelnde Welt.
Kennedy, ein religiöses Opfer, „being led to the slaughter like a sacrificial lamb … they blew off his head while he was still in the car / shot down like a dog in broad daylight.“ Leise wirbelnde Streicher, ein verirrtes Piano, zartes, erratisches Schlagzeug, Dylan hat das Memento mori schon vor Jahren aufgenommen.
Er ließ verlauten: „This is an unreleased song we recorded a while back that you might find interesting. Stay safe, stay observant and may God be with you.“
Rettung durch Musik
Gott und die Musik. „Murder Most Foul“ spendet, wie jede gute Predigt, wenn man dafür empfänglich ist, Trost. Er findet sie in der Popkultur der sechziger Jahre, und Dylans Ministrant ist hier Wolfman Jack, der legendäre DJ. Ihn bittet er um Labung – um Charlie Parker und Stan Getz, John Lee Hooker und Nat King Cole, „Only The Good Die Young“ und „Please Don't Let Me Be Misunder- stood“.
Dylan streckt die Hand aus nach Marilyn Monroe und Buster Keaton.
Man weiß aus seinen Radio-Shows und der Autobiografie der frühen Jahre, wie sehr er sich immer als Chronist einer Kultur und einer Nation gefühlt hat, der man heute nur noch mit einer Mischung aus Sentimentalität, Wut und nackter Angst begegnen kann. 17 Minuten gebremste Apokalypse, Ruhe vor dem großen Sturm. Dylans Klassiker „Sad Eyed Lady Of the Lowlands“ (11 Minuten) und, etwas jünger und kürzer, die Bürgerkriegsballade „Cross the Green Mountain“ klingen an. Mag er auch seinen Nobel-Auftritt versaut haben – von Arroganz und Indolenz ist hier nichts zu spüren.