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Bob Dylan, wie üblich mit Sonnenbrille
© dpa-Bildfunk

Literaturnobelpreis für Bob Dylan: Es könnte bald ein Rapper werden

Ob die Literatur-Nobelpreisjury pop-immanente Argumente diskutiert hat? Was die Auszeichnung von Bob Dylan für den Pop bedeutet. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Gerrit Bartels

Man sollte sie alle einzeln in die Luft werfen, dreimal am besten, und hoch und höher leben lassen, die 18 Mitglieder der Literaturjury der Schwedischen Akademie in Stockholm: Bob Dylan den Literaturnobelpreis verleihen! Sie haben getan, worüber seit etlichen Jahren immer wieder ernsthaft geredet wurde. Der Name Dylan wurde stets unter den Favoriten genannt. Und stets mochte keiner so recht dran glauben: ein Popmusiker! So weit würde man beim Nobelpreiskomitee doch nicht gehen! Diese Jury darf sich jetzt des Entsetzens und Gespötts der Literaturwelt sicher sein - nicht wenige der ersten Reaktionen deuten darauf hin. (Und dass die Jury sich uneins war, den Gedanken legt die einwöchige Verschiebung der Bekanntgabe nahe).

Zweierlei hat die Jury mit der Wahl Bob Dylans geleistest. Zum einen nimmt sie der immer größer werdenden Bedeutung dieses Preises einiges an Aufladung. Das Maß der Literatur zu sein, über die ultimativ zu lesende Literatur zu bestimmen (ein Muss! Ohne diesen Nobelpreisträger, diese Nobelpreisträgerin kein Leseleben!), das ist zuviel für einen Preis, der einmal im Jahr an einen Autorin oder einen Autor verliehen wird und jedes Mal aufs Neue gewichtigste (Lebens-) Werke unberücksichtigt lässt.

Am großen amerikanischen Songbook schreiben viele Musiker

Zum anderen hat die Jury ihren eigenen Literaturbegriff noch einmal erweitert. Zur Lyrik und zur Dramatik (neben der erzählenden Prosa) ist jetzt das Schreiben von Songs gekommen, der Pop, die dreiminütige Kürzesterzählung. So wie es in einer ersten Begründung heißt, Dylan erhalte den Preis "for having created new poetic expressions within the great American song tradition". Das große amerikanische Songbook also, klar, Dylan. Aber an dem haben viele mitgeschrieben, an ihm wird weiter geschrieben. So stellt sich jetzt die Frage, ob man in Stockholm bei der Entscheidung für Dylan pop-immanente Argumente mitdiskutiert hat: die Aura Dylans, die er zweifelsohne besitzt, sein Charisma, an dessen Negierung er arbeitet auf seiner Endlostour, seine glamouröse Verweigerungshaltung, seine chronischen Abwesenheit - bei gleichzeitiger ständiger Präsenz. Das ginge eigentlich nicht, sich nun noch von den besonderen, unabdingbaren Merkmalen des Pop leiten zu lassen, das würde den Literaturnobelpreis wohl doch beschädigen.

Was ist mit den großen Erzählern des Hip-Hops?

Für den Pop wird es jetzt attraktiver - und komplizierter. Selbst der Literaturnobelpreis ist jetzt also drin. Was die Frage aufwirft, wie bewandert die Stockholmer Jury auf dem Feld des Pop denn so ist. Dylan ist kanonisiert, so wie die Kanonisierung der Popmusik weiter fortschreitet, die Hinwendung des Pop zum umfassenden Werk, seine zunehmende Abkehr vom Augenblicksglück. Aber was ist zum Beispiel mit den unglaublich reichhaltigen, kunstvollen Erzählungen des HipHop? Mit den Geschichten eines Nas, eines Eminem, eines Kendrick Lamar, in einer noch ferneren Zukunft gar Kate Tempest? Solche Namen klingen endgültig ungewohnt im Zusammenhang mit dem Literaturnobelpreis. Aber in Zukunft müssen sie mitbedacht werden, wenn wieder spekuliert wird. Ja, zumindest ein Pop-Hoch auf diese Jury.

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