Edward Burne-Jones in der Tate: Von Engeln und anderen Liebenden
Auf der Suche nach Innerlichkeit: Das Museum Tate Britain in London zeigt den Präraffaeliten und Maler Edward Burne-Jones.
Das Bild von einer Kunst, die gegen die politischen Verhältnisse ihre Stimme erhebt oder gar ganz außerhalb der gesellschaftlichen Konventionen steht, passt – wenn überhaupt – nur auf die Hervorbringungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die Hochphase der industriellen Revolution sah eine Gegenbewegung, die auf die Erneuerung der geistigen Kräfte zielte. Wie sich diese Gegenbewegung in der Kunst äußerte, war jedoch von Land zu Land unterschiedlich.
In Großbritannien, der bis über die Jahrhundertwende 1900 hinweg führenden Wirtschaftsnation, entwickelte sich parallel zur Formensprache des quasi-offiziellen High Victorian Gothic die an einem idealisierten Mittelalter orientierte Utopie von Innerlichkeit und reinem Gefühl. Dafür stehen die Präraffaeliten, und im Bereich der (Lebens-)Gestaltung das Arts & Crafts Movement. Sie berühren sich vielfältig. Exemplarisch ist die Freundschaft des Malers Edward Burne- Jones mit dem Dichter und späteren Designer William Morris, aber zugleich auch mit dem Kunsthistoriker und Venedig-Schwärmer John Ruskin.
Todessüchtige Figuren
Die stilisierte Formensprache der Präraffaeliten findet in ihrem Ursprungsland bis heute ungebrochenen Anklang. Gewiss wird die Ausstellung von Burne-Jones, die die Tate Britain derzeit ausrichtet, einen neuerlichen Besucherrekord einfahren. Sie wird von Alex Farquharson, dem noch neuen Direktor der Institution nach fast drei Jahrzehnten der Leitung durch Nicholas Serota, als erste Londoner Retrospektive seit 40 Jahren angepriesen, durchaus mit Verwunderung. Denn die Jubiläumsausstellung zum 100. Todestag des Künstlers gebührte 1998 allein seiner Vaterstadt Birmingham.
So sehr sich Burne-Jones (1833 – 1898) auf das Hochmittelalter des Dichters Geoffrey Chaucer berief, so übernational zeigt sich seine eigene Formensprache. Es hat nicht an Versuchen gemangelt, die elegischen oder auch todessüchtigen Figuren seiner Bilder psychoanalytisch auszudeuten, wie Burne-Jones überhaupt eher dem europäischen Symbolismus zugezählt wurde als dem spezifisch britischen Stil der Präraffaeliten.
Kunst autodidaktisch beigebracht
Sein Lebensweg aus bescheidener, von Armut überschatteter Herkunft, dazu als Halbwaise, dessen Mutter im Kindbett verstarb, bis zu Ruhm und Wohlstand im saturierten Spätviktorianismus, seine Bildungsbeflissenheit und frühe Hinwendung zu Religion und Kirche, und später – durch Morris befeuert – deren Ersatz durch eine Kunstreligion der erlesenen Schönheit mit milde sozialistischen Untertönen: All das macht Burne-Jones zu einer herausragenden Figur, ja einer Personifikation seiner Zeit und ihrer Umstände.
Die Kunst brachte er sich als Autodidakt selbst bei. Allein das erstaunt über die Maßen, sind doch seine ausgeführten, meist jahrelange Arbeit beanspruchenden Werke von untadeliger Qualität. Die zeitgenössische Kritik – sei es an Mängeln seiner Zeichnung oder an technisch ungelenker Verwendung der Farbe – überzeugt heute niemanden mehr, da jegliche akademische Regeln verblasst sind. Stattdessen beeindruckt das All-over seiner Bilder, dieses Ausfüllen noch des letzten Eckchens Leinwand in gleichbleibender Sorgfalt.
Zwei Bildzyklen von höchstem Anspruch
Die Sujets seiner in gebrochenen, ja düsteren Farben gehaltenen Bilder, zumal der als „Ausstellungsstücke“ angelegten Großformate, könnten dem heutigen Betrachter kaum fremder sein. Ob sie dem literarischen Mittelalter entnommen sind wie der Heilige Gral, ob sie sich an einer unbestimmten Antike und Mythologie orientieren wie Darstellungen einer (keuschen) Venus oder ganz unbestimmt „Engel“ oder „Liebe“ schildern – es ist schiere Gedankenkunst. Sein Einkommen bestritt Burne-Jones neben den Gemälden, darunter zunehmend Portraits, mit insgesamt 500 Entwürfen für Glasfenster, die in der Manufaktur seines Freundes Morris gefertigt wurden und in den zahlreichen Kirchenbauten des viktorianischen Zeitalters Verwendung fanden.
Zwei Bildzyklen von höchstem Anspruch malte Burne-Jones, den einen nach Motiven des Perseus-Mythos, den anderen nach dem Märchen von Dornröschen. Beide Zyklen wurden in den Häusern wohlhabender Politiker installiert, deren einer, Arthur Balfour, wenige Jahre später Ministerpräsident wurde. Beide Zyklen, die jeweils einen großen Raum füllten, waren als Gesamtkunstwerke angelegt, zu denen Burne-Jones weitere Dekorationen beisteuerte. Zugleich schuf er nach seinem Dornröschen-Zyklus Vorlagen für bemalte Kacheln: Kunst wenn schon nicht für alle, so doch für eine breiter werdende Mittelschicht.
Veredelung des Lebens
Burne-Jones war im Grunde ein Gestalter oder Ornamentkünstler, heißt es sinngemäß im ausführlichen Katalog; wobei in den deutschen Begriffen etwas Geringschätziges mitschwingt, das dem Englischen ganz fremd ist. Der Künstler zielte auf die Veredelung des ganzen Lebens, wofür Morris in seiner Manufaktur alles Nötige herstellte.
Es wäre für den nicht-englischen Betrachter reizvoll, Burne-Jones’ Werke in solch einem Umfeld zu sehen, statt einzeln an den nüchternen Wänden der TateSäle, ergänzt um wenige dekorative Stücke sowie Bücher in Vitrinen. Der Allgestaltung eines Burne-Jones an die Seite zu stellen wäre die Sammelwut des befreundeten John Ruskin, der nach 1849 „Die Steine von Venedig“ – so der Titel seines mehrbändigen Werkes über die Lagunenstadt – „Stück für Stück umfassen“ wollte.
Ruskin, Burne-Jones, Morris: Sie stehen für einen verzweifelten Schönheitskult und damit zugleich für die Verlustängste und -erfahrungen des viktorianischen Zeitalters, dessen empfindsamere Seelen die abhanden gekommene Transzendenz durch Ästhetik zu ersetzen suchten. Beim Verlassen der Tate Gallery wird einem deutlich, dass man es in einem Burne-Jones-Zimmer heute nicht mehr aushalten könnte, wiewohl das Grundbedürfnis nach Schönheit bestehen bleibt. Aus diesem Zwiespalt speist sich wohl das ungebrochene Interesse eines breiten Publikums.
London, Tate Britain, bis 24. Februar. Katalog 25 Pfund. Infos: www.tate.org.uk
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