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Geschichte: Das Versprechen

Sie gilt als die Geburtsurkunde Israels: In der Balfour-Declaration machte Großbritannien den Juden 1917 Hoffnung auf ein eigenes Land. Auch den Arabern sagten sie dies zu.

Fast vier Monate hatten die Verhandlungen gedauert. Erst dann konnte sich die britische Regierung auf eine Formulierung einigen. Am 2. November 1917 veröffentlichte das Foreign Office die Erklärung. Sie bestand nur aus einem einzigen, wenn auch ziemlich langen Satz:

„Die Regierung Seiner Majestät betrachtet die Schaffung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina mit Wohlwollen und wird alles dafür tun, die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, wobei klar sein muss, dass nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status von Juden in irgendeinem anderen Land beeinträchtigen könnte.“

Der Text ist als „Balfour Declaration“ berühmt geworden, denn Außenminister Arthur James Balfour war es, der an Lionel Walter Rothschild schrieb: „Lieber Lord Rothschild, es ist mir eine große Freude, Ihnen im Auftrag der Regierung Seiner Majestät die folgende Erklärung der Sympathie mit den jüdisch-zionistischen Bestrebungen zu übermitteln, die vom Kabinett geprüft und gebilligt worden ist.“ Lionel Walter Rothschild war Oberhaupt der englischen Linie des berühmten Bankhauses Rothschild, dessen Ursprünge in Frankfurt am Main liegen. Er war das wichtigste Mitglied der von Balfour eingesetzten Kommission zur Ausarbeitung der Entschließung gewesen, nun sollte er das Ergebnis der Beratungen der Zionistischen Organisation bekannt machen.

Die Balfour Declaration gilt inzwischen als Geburtsurkunde des Staates Israel, auch wenn bis zu dessen Gründung noch 30 Jahre vergehen sollten. Bei ihrer Ausarbeitung war sie heftig umstritten. Hauptgegner einer Entschließung, die den jüdischen Anspruch auf Palästina unterstützte, war ausgerechnet Edwin Montagu, der einzige Jude, der dem britischen Kriegskabinett angehörte. Er war ein entschiedener Befürworter der jüdischen Assimilation, Montagu wollte kein britischer Jude, sondern ein jüdischer Brite sein.

Im August 1917 legte er ein Memorandum vor, in dem er schrieb: „Der Zionismus ist eine schädliche politische Überzeugung, sie ist nicht akzeptabel für einen patriotischen Bürger Großbritanniens.“ Die Sehnsucht, sich die britische Erde von den Schuhen zu schütteln und wieder Ackerbau in Palästina zu betreiben, sei mit der britischen Staatsbürgerschaft unvereinbar. Indem er aber ihren Patriotismus in Frage stellte, zweifelte Montagu öffentlich an der Loyalität vieler seiner Glaubensgenossen. Starke Worte in einem Land, das sich seit über drei Jahren im Krieg befand.

Montagu war der Überzeugung, dass es so etwas wie eine jüdische Nation nicht gab. Für ihn war das Judentum ausschließlich eine Sache der Religion. Palästina sei außerdem als Lebensraum für die Juden nicht geeignet. Schließlich befürchtete Montagu, ein Bekenntnis zum Zionismus werde die durch die Assimilation erreichte Stellung der Juden gefährden. Sobald es einen jüdischen Staat in Palästina gäbe, würden die verschiedenen europäischen Regierungen die Juden in ihren Staaten des Landes verweisen: „Palästina wird zum Ghetto der Welt.“

Am Ende seines Memorandums spielt Montagu die chauvinistische Karte: „Ich habe das Gefühl, dass die Regierung instrumentalisiert werden soll zu Gunsten einer zionistischen Bewegung, die von Männern geführt wird, die aus feindlichen Staaten stammen.“ Das richtete sich vor allem gegen Chaim Weizmann und Nachum Sokolow, die an der Spitze der Zionistischen Weltorganisation standen und beide im zaristischen Russland geboren waren.

Weizmann war als junger Mann nach Deutschland gekommen, um Chemie zu studieren. Danach verbrachte er einige Jahre in der Schweiz, bevor er 1904 Professor in Manchester wurde. Er nahm die britische Staatsbürgerschaft an und wurde 1916 Direktor des Munitionslabors der Britischen Admiralität. Weizmann entwickelte eine neue, auf der Synthese von Enzymen basierende Methode zur Herstellung von Aceton. Das war von großer Bedeutung, denn bis dahin waren die Deutschen in der Herstellung von Aceton führend gewesen und dieser Stoff wurde zur Produktion des Sprengstoffs TNT gebraucht. Weizmann erwarb sich durch seine Arbeit als Chemiker große Verdienste an Englands militärischen Erfolgen im Ersten Weltkrieg.

Weizmann hatte aber auch eine klare Vorstellung von Großbritanniens geopolitischen Interessen im Nahen Osten und sah die Möglichkeit, zugleich etwas für den Zionismus zu erreichen. 1915 trug er dem britischen Schatzkanzler David Lloyd George seine Idee von einem Judenstaat in Palästina vor, der für Großbritannien die Funktion eines Schutzwalls zwischen dem Suezkanal und dem Schwarzen Meer haben würde: „England würde einen wirksamen Sperrriegel erhalten und wir ein Land.“ Im Dezember 1916 wurde Lloyd George Premierminister und Balfour Außenminister. Diese neue Regierung war grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber den Anliegen der Zionisten.

Die zionistische Bewegung, die zunächst nur eine relativ kleine Minderheit der Juden vertrat, agierte damals in sehr bescheidenen Verhältnissen. Ihr Hauptquartier war Weizmanns Privatwohnung im Londoner Stadtteil Kensington, Vera Weizmann nahm Anrufe entgegen und erledigte die Korrespondenz für ihren Mann. Im Juli 1917 wurde ein Politisches Komitee etabliert, mit Weizmann und Sokolow als gleichberechtigte Vorsitzende. In dieser Zeit legten sie einen ersten Resolutionsentwurf vor, der jedoch auch denjenigen Regierungsmitgliedern, die mit den zionistischen Bestrebungen sympathisierten, zu ausführlich und für Großbritannien zu verpflichtend war.

Das Kriegskabinett beschäftigte sich im folgenden Vierteljahr immer wieder mit dem Thema. Parallel versuchte man die Zustimmung des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson zu einer prozionistischen Entschließung einzuholen, der sich jedoch zunächst zögerlich verhielt, endlich seine Zustimmung signalisierte, aber im Hintergrund bleiben wollte. Die Zionisten versprachen, weltweit für die Alliierten Propaganda zu machen. Die Befürworter der Balfour Declaration im Kabinett verwiesen darauf, dass die Gewinnung der Sympathien der russischen und vor allem der amerikanischen Juden hilfreich sei. Die USA waren nach langem Zögern gerade erst in den Krieg gegen Deutschland und seine Verbündeten eingetreten. Die Gegenseite betonte dagegen die negative Wirkung einer solchen Entschließung bei den Muslimen in den britischen Kolonien. Einigkeit herrschte, dass die Deklaration vor allem britischen Interessen dienen sollte. Das tat sie denn auch, aber zugleich stärkte sie die noch junge zionistische Bewegung.

Der organisierte Zionismus ging auf den Wiener Journalisten Theodor Herzl zurück, der 1897 den Ersten Zionisten-Kongress nach Basel einberufen hatte. Der Kernsatz des dort verabschiedeten Programms lautete: „Der Zionismus erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina.“ Das war eine Kompromissformel, die die ausdrückliche Forderung eines souveränen Staates vermied, zugleich aber deutlich machte, dass es der jüdischen Bewegung nicht nur um eine soziale oder religiöse, sondern auch um eine nationale Frage ging.

Dass Palästina die historische Heimat der Juden war, unterlag keinem Zweifel. Doch als 1914, zehn Jahre nach Herzls Tod, der Erste Weltkrieg ausbrach, lebten dort nur etwa 55 000 Juden neben 600 000 Arabern. Insofern kam den in der Balfour Declaration enthaltenen Einschränkungen erhebliche Bedeutung zu. So sollten die Rechte der nichtjüdischen, sprich: der arabischen Gemeinschaft im Lande respektiert werden. Den Juden wurde auch kein Staat in Aussicht gestellt, sondern lediglich eine „nationale Heimstätte“. Dieser Begriff war im Völkerrecht bis dahin unbekannt, und die Worte „in Palästina“ definierten auch kein Territorium. Gleichwohl bedeutete das Dokument für die zionistische Bewegung einen gewaltigen Prestigegewinn. In Millionen von Exemplaren wurde es weltweit in den jüdischen Gemeinden verbreitet und sogar über deutschen und österreichischen Städten aus Flugzeugen abgeworfen.

Bedeutsam ist die Balfour Declaration aber auch noch aus einem anderen Grund. Großbritannien traf hier Verfügungen über ein Territorium, das es gar nicht besaß, Palästina war Teil des Osmanischen Reichs. Doch der Niedergang des türkischen Imperiums war absehbar. Bereits im November 1915 hatten die gegen die Türken verbündeten Mächte Großbritannien und Frankreich ein Abkommen ausgehandelt, indem sie ihre Interessensphären im Nahen Osten absteckten. Man versprach den Arabern einen Staat in einem Gebiet, das, nach der heutigen politischen Geographie, Teile Syriens, des Iraks und Jordanien umfassen sollte. Die nördliche Hälfte dieses Staates sollte französisches Einflussgebiet sein, die südliche britisches. Palästina sollte unter internationale Verwaltung gestellt werden, mit Ausnahme der Hafenstädte Haifa und Akko, die Großbritannien zufallen sollten. Darüber hinaus sollten der Libanon, das übrige Syrien und Südostanatolien unter französische Kontrolle kommen, Mesopotamien mit dem Übrigen unter britische.

Der britische Geheimagent T. E. Lawrence, der als „Lawrence von Arabien“ in die Geschichte eingegangen ist, erhielt den Auftrag, die Araber zu Aufständen gegen die Osmanenherrschaft anzustacheln. Tatsächlich gelangen unter der Führung von Lawrence beträchtliche militärische Erfolge. Er brachte den in offener Feldschlacht hoffnungslos unterlegenen Beduinen die Taktik des Guerillakriegs bei. Am 1. Oktober 1918, kurz vor Kriegsende, fiel sogar die syrische Hauptstadt Damaskus, aber mit den arabischen Rebellen zogen auch die britischen Truppen in die Stadt ein.

Die Briten hatten das Kunststück fertiggebracht, den Zionisten mit der Balfour Declaration dasselbe Territorium in Aussicht zu stellen, das sie zuvor auch schon den Arabern versprochen hatten. Nun behielten sie es selbst. Im April 1920 teilten sich Großbritannien und Frankreich auf der Konferenz in San Remo ihre Kriegsbeute. Die Briten unterstellten Palästina und den Irak ihrer Herrschaft, die Franzosen taten das Gleiche mit Syrien und dem Libanon. Der nach dem Krieg gegründete Völkerbund billigte dieses Vorgehen nachträglich und erteilte den Besatzern ein entsprechendes Mandat. Kurz darauf marschierten die Franzosen in Damaskus ein und vertrieben den arabischen König Feisal, der vergeblich auf britische Unterstützung gehofft hatte. Immerhin hatten die Briten eine andere Verwendung für ihn. Feisal übernahm die Herrschaft im Irak.

1921 besuchte der neue britische Kolonialminister Winston Churchill Palästina. Zurück in London stellte er klar, dass die Balfour Declaration nicht besagte, „dass Palästina als Ganzes in eine jüdische nationale Heimstätte verwandelt werden soll, sondern dass eine solche Heimstätte in Palästina begründet werden soll“. Weiter hieß es im kurz darauf publizierten Weißbuch der englischen Regierung, die jüdische Einwanderung nach Palästina dürfe nicht einen solchen Umfang annehmen, dass sie die wirtschaftliche Kapazität des Landes überfordere. Die Immigranten dürften „der Gesamtheit der Bevölkerung Palästinas nicht zur Last fallen und keinen Teil der gegenwärtigen Bevölkerung seiner Beschäftigung berauben“.

In Folge der britischen Politik durften jüdische Einwanderer nur noch westlich des Jordans siedeln. Das östliche Gebiet Transjordanien, das vier Fünftel Palästinas ausmachte, war für Juden nun nicht mehr zugänglich. Dort etablierten die Briten die ortsfremde Dynastie der Haschemiten. Erster Herrscher wurde Emir Abdallah, der jüngere Bruder des in Syrien fallengelassenen Feisal. Den palästinensischen Arabern wurde so eine fremde Herrscherfamilie gewissermaßen vor die Nase gesetzt. Hier liegt die Wurzel des bis heute anhaltenden Konflikts zwischen der palästinensischen Nationalbewegung und dem jordanischen Königshaus.

Nach dem Ersten Weltkrieg erfüllten sich bei Weitem nicht alle Hoffnungen der Zionisten. Die Briten verfolgten eigene Interessen und führten als Mandatsmacht vor allem in der Zeit des Zweiten Weltkriegs ein hartes Regiment. Aber die Immigration machte dennoch entscheidende Fortschritte. Im Jahrzehnt nach 1918 wuchs die Zahl der Juden in Palästina auf mehr als das Dreifache, und es entstanden die Grundlagen des Kibbuzsystems, das die systematische Besiedelung des Landes später ermöglichte. Insofern wurde die Balfour Declaration am Ende doch noch zur Geburtsurkunde des 1947 gegründeten jüdischen Staates. Chaim Weizmann, der fast ein halbes Jahrhundert lang die prägende Persönlichkeit der zionistischen Bewegung gewesen war, wurde 1949 Israels erster Staatspräsident.

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