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Ehe vor Gericht. Die Lovings (Ruth Negga, Joel Edgerton) gegen Virginia .
© Paramount

Rassismus-Drama „Loving“: Vom Verbrechen, verheiratet zu sein

Häuslicher Emanzipationskampf: In Jeff Nichols stillem Drama „Loving“ verteidigt ein gemischtes Ehepaar in den USA der Sechziger sein Recht zu heiraten.

Unter dem Titel „The Crime of Being Married“ erschien 1966 im Magazin „Life“ eine Reportage über das Ehepaar Loving aus Virginia. Mildred, Afroamerikanerin mit indigenem Hintergrund, und Richard Loving, ein weißer Maurer, hatten 1958 in Washington D. C. geheiratet. In ihrem Heimatstaat waren, wie in allen 16 Südstaaten, Mischehen verboten. Nach einer Anzeige wurde das Ehepaar dazu verurteilt, die Landesgrenzen für 25 Jahre zu verlassen. Bei Verstoß gegen die Auflagen drohte ihnen Gefängnis.

Als der Reporter Grey Villet die Lovings in ihrem Haus besuchte, waren sie die Protagonisten eines viel beachteten Prozesses, der vor dem Obersten Gerichtshof ausgefochten wurde. Doch die kämpferischen Gesten der Bürgerrechtsbewegung sind in seinen Aufnahmen abwesend. Sie zeigen zwei scheue Menschen in familiärer Umgebung: auf der Veranda, mit den gemeinsamen Kindern, oftmals in inniger Umarmung. Auf dem bekanntesten Foto liegt Richard auf dem Sofa, den Kopf im Schoß seiner Frau. Beide lachen.

Dieses Foto ist in Jeff Nichols Film „Loving“ ganz am Ende zu sehen. Richard findet einen anonym platzierten Ziegelstein in seinem Auto, eingewickelt in eben diese Magazinseite. Der Autorenfilmer Nichols, Spezialist eines wortkargen Kinos, wird die „Life“-Fotos, die so viel über die Körpersprache des Paares erzählen – seine tiefe Verbundenheit, das stille Aufeinander-Bezogensein –, intensiv studiert haben. Einiges davon ist in seinen Film eingeflossen. Doch er hat sich dafür entschieden, den Erzählrahmen klein zu halten.

Schneidende Blicke, raunende Sprache

So gibt er der privaten, häuslichen Welt, von der diese Fotos handeln, allen Raum, statt die Geschichte aus der Position des Historikers zu perspektivieren. Von den Emanzipationskämpfen, die damals auf den Straßen Amerikas ausgetragen wurden – Ava DuVarnays Martin-Luther-King-Film „Selma“ setzte ihnen vor einigen Jahren ein Denkmal –, haben Richard (Joel Edgerton) und Mildred (Ruth Negga) bloß eine vage Ahnung. Nur einmal rauscht kurz der „Marsch auf Washington“ über den Fernsehbildschirm.

Richard ist ein einfacher Mann, mit sehr heller Haut und rötlich-blondem Stoppelhaar. Rein äußerlich könnte er auch in den Reihen der Segregationisten herumstehen. Dass ihn von den Schwarzen, mit denen er so selbstverständlich in Bars oder bei illegalen Autorennen abhängt, etwas unterscheidet, scheint ihm kaum bewusst zu sein. Und so vergeht auch im Film eine ganze Weile, bis das Thema race erstmals zur Sprache kommt.

Nichols zeigt die Rassisten nicht als die prügelnden und Hassparolen skandierenden Fanatiker, die etwa in Raoul Pecks Dokumentarfilm „I Am Not Your Negro“ das Schreckensbild weißer Herrschaft bestimmen. Ihre Gewalt kommt vielmehr in schneidenden Blicken und einer alttestamentarisch raunenden Sprache zum Ausdruck. „Bei euch ist eh alles vermischt. Das Blut weiß nicht, was seine Heimat ist“, erklärt der Sheriff nach der Verhaftung, mit der die Polizisten das Paar im Schlaf überraschen. „Der Spatz soll Spatz bleiben, die Taube Taube.“

„Loving“ ist ebenso feinfühlig, geradlinig und bescheiden wie seine beiden Protagonisten. Dass Nichols dabei zu einem allzu noblen Humanismus und einer Idealisierung des Paars neigt, mag man ihm nachsehen. Die mystische Atmosphäre und brütende Suspense, die seine letzten Filme „Take Shelter“ (2011), „Mud“ (2012) und „Midnight Special“ (2016) noch auszeichneten, weichen einem sachlicheren Tonfall.

Gleichwohl versteht es Nichols, mit minimalen Mitteln eine Stimmung schwelender Gefahr aufzubauen. Die Szene, in der Richard seine Frau zur Entbindung heimlich zurück nach Virginia bringt, verdichtet sich zur Miniatur eines nächtlichen Fluchtdramas. Doch davon abgesehen, verzichtet der Film auf dramaturgische Zuspitzungen – wie auch auf ergriffen-heroische Töne. So liegt das Augenmerk der Inszenierung hauptsächlich auf dem sehr körperlichen Spiel der tollen Hauptdarsteller: in ihren Gesten, Blicken, Mimiken, ihrer Physiognomie und Sprechweise.

Nur kurz ist das Gerichtsdrama Thema

Immer wieder fügen sich Mildreds offenes, sanftes Gesicht und Richards schroffe, stumpfe Züge, die erst zum Leben erweckt werden, wenn sein Mund langsam ein Lächeln formt, zu einer symbiotischen Einheit. In einem Film, der ganz ohne Schauwerte auskommt, gerät nicht zuletzt die Diversität der Körperbilder zum Ereignis: von den glatten Anwaltsgesichtern über Mildreds durchtrainierten Bruder bis hin zu den mal knorrigen, mal schwammigen Konturen der weißen Arbeiter.

Der Fall „Loving vs. Virginia“ endete 1967, vor genau fünfzig Jahren, mit einem bahnbrechenden Urteil, das zumindest juristisch das Ende rassistischer Diskriminierung bedeutete. Doch nur kurz öffnet Nichols ein Fenster zum Gerichtsdrama, um es sogleich wieder zu schließen. Solidarisch verbunden mit den abwesenden Lovings, bleibt der Film der Anhörung fern. Während Geschichte geschrieben wird, bauen sie ihr Haus.

In 11 Berliner Kinos; OmU in 7 Kinos; OV: Cinestar Sony-Center

Esther Buss

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