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In Gefahr. Joel Edgerton, Michael Shannon, Jaeden Lieberher und Kirsten Dunst in „Midnight Special“.
© Ben Rothstein/Warner

Wettbewerb der Berlinale: "Midnight Special": Ein absonderliches Drama

Höherer Hokuspokus: „Midnight Special“ von Jeff Nichols im Wettbewerb der Berlinale bleibt hinter seinem Anspruch zurück. Auf der Pressekonferenz erklärt der Regisseur, worin für ihn die Kunst des Filmemachens liegt.

Der Film von Jeff Nichols, bei dessen Erwähnung aufgeschlossene deutsche Kinogänger noch immer glänzende Augen kriegen, heißt „Take Shelter“ und ist mittlerweile vier Jahre alt. Darin wehrt sich ein Vater (gespielt von Michael Shannon) gegen nichts Geringeres als den drohenden Weltuntergang, indem er vor seinem Grundstück irgendwo in der amerikanischen Provinz plötzlich einen Bunker für seine Familie zu bauen beginnt. Seinen besonderen Reiz bezog der Film daraus, dass dabei auch für den Zuschauer keineswegs klar war, ob den Mann nur Albträume oder gar eine beginnende Schizophrenie plagen oder ob er als Einziger eine schreckliche Zukunft voraussieht. „Take Shelter“ war, inszeniert mit Sinn auch fürs gewaltige filmische Tableau, durchdringend leiser Science-Fiction-Horror mitten in der Gegenwart, also: feinster Kino-Stoff.

"Midnight Special" bleibt hinter "Take Shelter" zurück

„Midnight Special“, der nunmehr vierte Spielfilm des 37-Jährigen, der am amerikanischen Ende der Welt, in Arkansas, in einer Methodistenfamilie aufwuchs, siedelt in exakt der grenzgängerischen Psychorealität von „Take Shelter“ und will zugleich darüber hinaus. Alles ist diesmal größer, schlimmer, allumfassender: die Paranoia, die tatsächliche Gefahr, die Brutalität der im Konflikt aufeinanderstoßenden Kräfte. Allerdings bleibt „Midnight Special“, gerade weil er mit aller Macht, ja, zuweilen penetrant ins amerikanische Bilder-Elysium drängt, hinter „Take Shelter“ zurück. Und er wird, fast schon tragisch, sogar in seiner überschaubaren Erzählfrist von knapp zwei Kinostunden kleiner und kleiner. Und klein.

Alles dreht sich um einen achtjährigen Jungen namens Alton (Jaeden Lieberher) mit wundersamen elektromechanischen Fähigkeiten. Er kann zum Beispiel ganz ohne Fernbedienung den Öffnungsmechanismus neuzeitlicher Autos zum Doppelpieps bringen. Oder auch, weniger witzig, im Gefolge anfallsartiger Zustände dafür sorgen, dass mal eben ein Wetter- oder auch Spionagesatellit frisch aus dem All auf eine hundsnormale Tankstelle stürzt. Keine Frage, ein solcher Junge könnte, sofern man seine Mega-Fähigkeiten gut einhegt, als Erlöser oder Erretter beim Jüngsten Gericht noch nützlich sein. Und weil eine texanische Sekte namens „The Ranch“ das Weltenende schon auf nächsten Freitag datiert hat, hat deren Anführer, Bruder Calvin (Sam Shepard), das schwer begabte Kind fürsorglich zwangsadoptiert.

Viele schmusige Family Values

Das zunehmend absonderliche Drama hebt damit an, dass Altons leiblicher Vater Roy (Michael Shannon) und sein alter Haudrauf-Kumpel Lucas (Joel Edgerton) den Jungen gemeinsam entführen. Andererseits haben auch das FBI und vor allem die NSA – Adam Driver spielt tapfer einen eher machtlosen Investigator des global gehassten Big Brother – verstärktes Interesse an Alton, weil das Kind offenbar durch pure Telepathie gleich dutzendweise irgendwelche cyberkriegstauglichen Geheimcodes knackt. Der Rest der Handlung sei hier, um geschmeidig einem Antispoilerstorm vorzubeugen, im Detail nicht verraten. Nur so viel: bisschen Bummzischkrach, einige eher unaufregende Boah-ey-Spezialeffekte und viele schmusige family values, die überwiegend an Kirsten Dunst als Mama hängen bleiben.

Filme für die ganze Familie, in denen Kinder mit besonderen Fähigkeiten im Mittelpunkt stehen, können sehr erhebend und vor allem erfolgreich sein. Vielleicht hat Jeff Nichols so etwas wie Steven Spielbergs Klassiker „E. T.“ fürs 21. Jahrhundert vorgeschwebt, wo kindliche Geschwister einem lieben Alien den Weg zurück ist weite Weltall weisen. Auch M. Night Shyamalans 17 Jahre jüngeres First-Hit-Wonder „The Sixth Sense“ von 1999 könnte, zumindest als Vorbild fürs Spannungspotenzial, bei „Midnight Special“ Pate gestanden haben. Nur ist es denn doch kaum abend- oder gar nachtfüllend, die pararealen Verrichtungen von Milchbubis zu besichtigen, während Scharen von Erwachsenen meist eher beschäftigungsarm im Bild herumstehen.

Groß war die Vorfreude der Filmfans auf „Midnight Special“, und nun bleibt allenfalls etwas fürs Mitternachtsprogramm auf den Privatfernsehkanälen. Und der erste Favoritensturz auf dieser Berlinale.

13.2., 9.30 Uhr (Zoo-Palast), 11 Uhr (HdBF), 12 Uhr (Friedrichstadt-Palast); 13.2., 21.30 Uhr (HdBF)

„Midnight Special“ - Die Darsteller auf der Pressekonferenz

Beim Regieführen helfen Regeln. In der Pressekonferenz zu seinem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Midnight Special“ nennt Jeff Nichols zwei Regeln, die er selber aufgestellt hat. Erstens: „So wenig Exposition wie möglich.“ Zweitens: „Die Figuren teilen sich untereinander nur das mit, was der andere unbedingt wissen muss.“ In der Reduktion liegt für Nichols die Kunst des Filmemachens.

Der Film sieht am Ende aus wie "Akte X"

Keine langen Vorgeschichten, keine Rückblenden, kein – wie er es verächtlich nennt – „Drehbuchgequatsche“. So entsteht das Geheimnis, das es für einen Mystery-Thriller wie „Midnight Special“ braucht. Die Zuschauer, so Nichols, sollten „die Puzzleteile zusammensetzen, ohne dass am Ende alles aufgeklärt sein muss“. Vielleicht ist das die dritte Regel. Der Film, in dessen Zentrum ein kleiner Junge mit extraterrestrischer Begabung steht, hält anfangs die Balance zwischen Krimiplot und Übersinnlichkeit, bevor er zum Schluss wie eine überlange Folge der Fernsehserie „Akte X“ aussieht.

Außerirdisch wirkt Jaeden Lieberher, der das achtjährige Sternenkind Alton spielt, gar nicht. Er ist 13, stand schon für „St. Vincent“ vor der Kamera und rühmt Nichols mit einem Organ, das so tief ist, dass es den Stimmbruch bereits hinter sich haben muss, für seine „visuelle Vision“ und dafür, dass er den Film beim Drehen „immer noch besser gemacht“ habe. Für ein Kind erscheint er erstaunlich ernsthaft. Eine Pointe der Besetzung ist, dass Altons Mutter von Kirsten Dunst dargestellt wird, die ihre Karriere selber als Kindermodel und Kinokind begonnen hat. Sie habe es nie bereut, so früh angefangen zu haben, sagt sie. „Meine Mutter war immer am Set, ich hatte Freunde und besuchte regelmäßig die Schule.“ Erst mit 27 Jahren habe sie die Art, wie sie arbeitet, grundlegend geändert. „Ich beschäftige mich inzwischen viel intensiver mit Projekten und bin wählerischer geworden.“

Väter sind bescheidene Helden

Jeff Nichols, 1978 im Südstaat Arkansas geboren, hat bislang vier Filme gedreht, und in allen spielte Michael Shannon mit. Auch im gerade entstehenden Rassismus-Drama „Loving“ ist er dabei. Als Nichols erzählt, wie sehr er sich geehrt gefühlt habe, dass „dieser gestandene Schauspieler“ 2007 für sein Debüt „Shotgun Stories“ zusagte, fixiert Shannon grinsend die Tischplatte. Kurz diskutieren die beiden männlichen Hauptdarsteller Michael Shannon und Joel Edgerton dann noch über Heroismus. Shannon sagt, dass seine Figur kein Held sei, bloß ein Vater. Er tue nur, „was er tun muss“, um den Sohn zu retten. „Er hätte doch nicht anhalten können und das Kind am Straßenrand aussetzen.“ Väter sind bescheidene Helden.

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