zum Hauptinhalt
Die EU lockt. Szene aus András Dömötörs Inszenierung von Sivan Ben Yishais Stück „Your Very Own Double Crisis“.
© DAVIDS/David Darmer

Lange Nacht der Autoren im Deutschen Theater: Vom Trauma und seiner Vermarktung

Wie kann man das Leid der Flucht auf die Bühne bringen, ohne es zur Katastrophenshow verkommen zu lassen? Die Lange Nacht der Autoren verhandelte diese Frage - leider mit durchwachsenen Stücken.

Von Bomben, Vergewaltigungen, einstürzenden Häusern und wegbrechender Existenz zu erzählen, also von der geballten Leiderfahrung, die Flucht und Vertreibung mit sich bringen, ist ja nicht so leicht. Im Theater verwandeln sich solche Geschichten schnell in „wohlsubventionierte Immigrantenpoesie“, die sich ein westliches Publikum mit behaglichem Schaudern vorspielen lässt. Als Kriegsporno und Katastrophenshow.

Die israelische Autorin Sivan Ben Yishai weiß sehr genau um diesen Zwiespalt, weswegen sie ihrem Klagelied „Your Very Own Double Crisis“ ein paar präzise Ratschläge an die Zuschauer eingeschrieben hat: „Weint nicht um uns heute Abend. Wischt die Tränen weg, und im Gedenken an unsere gute Stadt, steckt euch die Hände bitte direkt in eure Unterwäsche“. Im Deutschen Theater folgt zwar niemand der Anweisung – aber okay, man versteht ja, was gemeint ist.

Das Theater produziert andockfähige Erzählungen für die Mehrheit

Ein Chor aus Geflüchteten – verkörpert von sechs Studentinnen und Studenten der Berliner UdK – tritt in blauer Kluft mit EU-Sternen vors Mikrofon und performt ziemlich gekonnt den unauflösbaren Widerspruch, sich gegen die Verwertungsmaschinerie des Theaters aufzulehnen und zugleich Teil von ihr zu sein. Die Rede geht vom „liberalen, demokratischen Haus der Geschichten“, das freilich ganz auf andockfähige Erzählungen für die Mehrheit ausgerichtet ist. Nicht auf die zersplitterten, ungeordneten Erinnerungen von Traumatisierten.

„Welche Geschichten wurden nicht erzählt, damit eure Geschichte immer wieder erzählt wird?“, fragt der Text. Sivan Ben Yishai besitzt Sprache, kein Zweifel. Sie schreibt eine knappe, ausgestanzte Prosa, die Henning Bochert kristallscharf übersetzt hat und die immer wieder sarkastisch funkelt: „Hubschrauber nehmen Touristen mit auf einen exklusiven ,Flug durch die Zerstörung’, 60 Dollar pro Kopf. Unten winken Dutzende Affen den Touristen zu.“

Künstlerisch nicht unbedingt wertvoll

„Your Very Own Double Crisis Club“ zählt zu den drei Stücken, die für die diesjährige „Lange Nacht der Autoren“ am Deutschen Theater ausgewählt wurden, traditionell der Abschluss des Festivals Autorentheatertage. Die Auswahl traf eine Jury, der die Kulturjournalistin Anke Dürr, der Regisseur Jan Ole Gerster und die Schauspielerin Annette Paulmann angehörten. Das DT, das Schauspielhaus Zürich und das Burgtheater Wien bringen als Koproduzenten je einen der Siegertexte auf die Bühne und nehmen die Inszenierung auch ins Repertoire auf. Was erst mal eine löbliche und wertschätzende Selbstverpflichtung ist.

Allerdings nicht unbedingt eine künstlerisch wertvolle. Zum Beispiel hält Regisseur András Dömötör in den Kammerspielen des DT mit dem Reflexionsvermögen von Ben Yishais Stück nicht Schritt und lässt „Your Very Own Double Crisis Club“ in eine Holzhammer-Anklage der saturierten Zuschauerschaft kippen. Mit großem Aufwand schrauben die Techniker eine Gutbürgerstube mit Wildtrophäen an der Wand zusammen, in der die Ensemblemitglieder Felix Goeser und Judith Hofmann es sich beim Tee gemütlich machen, während die Fluchtperformer an den Rand gedrängt werden. Ganz furchtbar.

Was lässt sich im Exil an Erlebnissen vermitteln?

Auch Regisseur Mélanie Huber beweist nicht unbedingt das glücklichste Händchen für das Stück „Welches Jahr haben wir gerade?“ der iranischen Autorin Afsane Ehsandar. Die verhandelt ähnliche Themen wie Ben Yishai, nämlich die Fragen, was sich im Exil an Erlebnissen vermitteln lässt, was an Selbstauskunft verlangt wird. Und wie die Prägungen des Heimatlandes in der Fremde fortwirken.

Zwei Frauen und ein Mann versuchen Orientierung zu gewinnen, auch über die eigenen Erinnerungen. Verschiedene individuelle Fluchtgeschichten vermischen sich dabei zu einem Strom von Erzählungen, durchzogen von der Ungewissheit: „Ist das wirklich passiert?“

Afsane Ehsandars Stück „Welches Jahr haben wir gerade?“ bleibt bewusst sperrig

Afsane Ehsandar lebt seit 2015 in Berlin und schreibt ihre Texte auf Deutsch. Auch sie wehrt sich nach Kräften gegen den Ausverkauf von Fluchtgeschichten: „Ich möchte keine Opferrolle spielen“, sagt sie mit Entschiedenheit. „Ich brauche das nicht, es ist ein Business geworden“. Als ihr Stück „Holy Shit“ beim „Krass!“-Festival auf Kampnagel in Hamburg gezeigt wurde, als sie zwei Jahre lang dem Refugee-Ensembles in Nicolas Stemanns Jelinek-Inszenierung „Die Schutzbefohlenen“ am Thalia-Theater angehörte, drehten sich Fragen an sie ausschließlich um ihren Aufenthaltsstatus, ihre Haftzeit in Iran, ihre finanzielle Lage.

Entsprechend bedient „ keine Erwartungen an tränenselig konsumierbare Gräuelschilderungen, sondern mäandert mit losen Enden dahin und bleibt bewusst sperrig. Regisseurin Huber, die das Stück fürs Schauspielhaus Zürich inszeniert hat, verlegt diese mehrstimmige Suche nach Zusammenhang und Zugehörigkeit auf den Boden eines leeren Schwimmbeckens, wo Sarah Hostettler, Sarah Gailer und Nicolas Rosat in depressiver Grundstimmung an einem Fahrrad schrauben und zwischendrin für markant befundene Textpassagen singen: „Ackerbohnen mit Majoran, Ackerbohnen mit Majoran“. Zumindest hat die Jury auch mit Afsane Ehsandar eine interessante Dramatikerin entdeckt. Das lässt sich im Falle von Yade Yasemin Önder nicht behaupten. Die Autorin beschreibt in „Kartonage“ die irgendwie unfreiwillige Heimkehr einer Tochter (Irina Sulaver) in den Karton, in dem die Eltern (Petra Morzé und Bernd Birkhahn) hausen. Herr und Frau Werner führen eine Spießerexistenz aus dem Provinzbilderbuch. Sie kocht bergeweise Marillenmarmelade ein, er weiß nicht wohin mit seiner Altersgeilheit. Klar nimmt das ein blutiges Ende.

Es vergehen zähe Stunden

Bloß bis es endlich so weit ist, vergehen anderthalb zähe Stunden, die sich nach Werner Schwab und Samuel Beckett strecken, aber denen der seelenvolle Witz des einen und der scharfe Verstand des anderen fehlen. Franz-Xaver Mayr, der das Stück fürs Wiener Kasino im Burgtheater angeht, inszeniert angemessen ratlos, und das mit eigentlich tollen Schauspielern. „Sogar der Staubsauger ist weg“, heißt es am Schluss. Tja. Wenn man sonst keine Sorgen hat.

Eine insgesamt sehr durchwachsene „Lange Nacht“ also. Immerhin, eine gute Nachricht: Von Sivan Ben Yishai werden wir weiterhin in Berlin hören. Nicht zuletzt am Gorki-Theater, mit dem sie schon längere Zeit verbunden ist.

Zur Startseite