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Der britische Schriftsteller Ian McEwan.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Ian McEwan über Boris Johnson: Verwandlung in eine Kakerlake

Der Schriftsteller Ian McEwan macht sich in der Novelle "Cockroach" über Boris Johnson lustig und dreht Kafkas "Verwandlung" um: Eine Küchenschabe verwandelt sich in einen Premierminister.

Von Kriegserklärung und Putsch, gar vom Bürgerkrieg und dem Tod der Demokratie redet die Opposition. Der attackierte Premier Boris Johnson bezichtigt die Gegenseite der Kapitulation vor der EU und des Verrats an der Brexit-Entscheidung. Der Generalstaatsanwalt im Kabinettsrang spricht dem „toten“ Parlament die moralische Existenzberechtigung ab – gleich nachdem der Supreme Court das Regierungshandeln für ungesetzlich erklärte.

„Wir sollten mit unseren Äußerungen Maß halten, um die Spannungen nicht zu erhöhen“, argumentierte bereits im Frühjahr der Leiter der Polizei-Koordinatorengruppe, Martin Hewitt. Doch Großbritanniens politische Debatte wird täglich giftiger, und wohlmeinende Appelle ändern nichts. Diese Woche war die Reihe an den anglikanischen Bischöfen: „Die Rhetorik ist unseres Landes unwürdig.“

Nun versucht es einer der prominentesten Autoren des Landes mit Satire. „Cockroach“, also Kakerlake, heißt die kleine Novelle des Schriftstellers Ian McEwan, der zuletzt den K.I.-Roman "Maschinen wie ich" veröffentlicht hat. In Anlehnung an Kafkas „Verwandlung“ sieht sich der Protagonist Jim Sams eines Tages in einen Menschen, genauer: in den Premierminister verwandelt. Lebte er als Küchenschabe zuvor stillvergnügt im Parlament, dem baufälligen, asbestverseuchten Palast von Westminster, muss er nun den „feuchten Fleischlappen in seinem Mund“ benutzen, Worte formen und Entscheidungen treffen.

Statt um den EU-Austritt geht es bei Sams’ Regierungshandeln um die absurde ökonomische Lehre vom Reversalismus, der die zentrale Prämisse des Kapitalismus umkehrt: Arbeitnehmer bezahlen Arbeitgeber, Läden geben Kunden zusätzlich zu ihrer Ware auch noch Geld. Dies alles haben die Küchenschaben erdacht, um im Chaos und Unrat der früher oder später zusammenbrechenden Gesellschaft besser leben zu können.

"Überlanger Witz": Es hagelte Kritik an dem Büchlein

Das Büchlein kommt bei der Literaturkritik wie Politikbeobachtern gleichermaßen schlecht an. „Ein überlanger Witz“, dem ein Hauch von Selbstgefälligkeit anhafte, maulte „The Telegraph“. „Viele offene Fragen“ entdeckte der „Guardian“; und die BBC fragte, ob der 71-jährige McEwan nicht Teil der vergifteten politischen Debatte sei.

McEwan ist einer der wenigen Künstler, die vor dem Brexit warnten

McEwan verteidigte sich mit Jonathan Swift, dem Vorbild aller englischsprachigen Satiriker, dessen „bescheidener Vorschlag“, arme irische Kinder den Reichen zum Fraß vorzuwerfen, in die Literaturgeschichte eingegangen ist: Auch Swift habe „nicht ausgewogen“ geschrieben.

McEwan gehört zu den wenigen Künstlern, die vor dem Referendum vor dem Brexit warnten. Seither attestiert er dem Land eine beängstigende Orientierungslosigkeit und veröffentlichte Essays mit Titeln wie „Beichte eines engagierten Remainers“.

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