Im Kino: "Frantz" von François Ozon: Versöhnen, sagt sie
Ein Melodram vom Ende des Ersten Weltkriegs: François Ozons „Frantz“ findet Trost in der Lüge.
Wie beschaulich, dieses Städtchen. Es ist ruhig in den Gassen, nur manchmal torkeln zu später Stunde aus der Kneipe ein paar grölende Vaterlandsverteidiger aufs Kopfsteinpflaster. Anna (Paula Beer) geht zum Friedhof und wieder zurück zum Haus der Schwiegereltern, sie geht langsam und kerzengerade, die Kamera begleitet ihre aufrechte Gestalt. Regisseur François Ozon sagt, er filmt gerne diese Wege und Gänge, auch die Spaziergänge ins Umland, die seinen Film rhythmisieren. Der Erste Weltkrieg ist vorbei, Annas Verlobter ist in Frankreich gefallen. Vom Krieg ist nichts zu sehen.
Ein trügerisches Idyll. Deutschland wurde nicht zerstört, aber da ist auch der Schmerz von Frantz’ Eltern (Marie Gruber, Ernst Stötzner), sie wissen nicht, wohin mit ihrer Trauer über den verlorenen Sohn, wie so viele damals. Bis Adrien (Pierre Niney) auftaucht, ein scheuer, junger Franzose, der Blumen auf Frantz’ Grab legt, sich erklären will – und bald erzählt, er sei mit Frantz befreundet gewesen. Sie hätten den Louvre besucht und das Geigespielen geprobt, in ihrer Zeit in Paris. Und der Film macht kurze Rückblenden draus.
"Frantz", "Das Weiße Band", "Ida": Schwarzweiß hat Konjunktur im Kino
Anfangs sagt Frantz’ Vater, der Arzt Hoffmeister, noch über seinen einzigen Sohn, dass jeder Franzose ihn auf dem Gewissen habe. Später wird er die anderen trauernden Väter im Gasthof selbstkritisch fragen: „Wer hat denn unsere Söhne in den Krieg geschickt?“ Auch ihm, dem Verhärmten, wird Adrien schnell zum Trost. Ein Ersatzsohn, ein Ersatzverlobter für Anna, vielleicht. Die beiden unternehmen Ausflüge, zwei Menschen im Felsenmeer, fremd und vertraut wie auf einem Caspar-David-Friedrich-Gemälde. Die schwarz-weißen Bilder wechseln kurz ins Farbige, man kennt das aus „Die andere Heimat“ von Edgar Reitz.
„Das weiße Band“ von Michael Haneke, „Ida“ aus Polen oder Reitz’ Film: SchwarzWeiß geht gut im Kino, wenn es um die deutsche Vergangenheit geht, um Gewalt, Verstrickung, Verdrängung, um das, was vergessen ist oder vergessen sein möchte. „Frantz“ verhandelt das auf denkbar milde Weise – Ozons Schwarz-Weiß ist sanft, fast flach, ohne scharfe Schatten oder Konturen. Der Film verteidigt die Lüge gegen das Anrecht auf Wahrheit, verschränkt die Verdrängung mit der Versöhnung. „Frantz“ basiert auf Maurice Rostands Theaterstück „L’homme que j’ai tué“, das Ernst Lubitsch 1931 unter dem Titel „Broken Lullaby“ verfilmte. Die Geschichte hört dort früher auf, mit einem bitterbösen Happy End: Es bleibt bei der erfundenen Erinnerung, der Lüge, als Basis der deutsch-französischen Freundschaft.
Lubitschs Film bleibt in Deutschland, Ozons Anna reist auch nach Frankreich
Rostands/Lubitschs Schluss wirft auch ein entwaffnendes Licht auf das Wesen der Fiktion, den Trost, den sie spendet, indem sie lügt. Ozon hingegen fügt eine Fortsetzung hinzu, nimmt nicht Adriens, sondern Annas Perspektive ein und bürdet ihr den Kraftakt der Versöhnung auf. Eine zarte, starke Frau: Anna nimmt auch das Spiegelbild in den Blick und reist nach Frankreich, um Adrien aufzuspüren – der vor der unerträglichen Leichtigkeit seiner Frantz-Erzählungen aus Quedlinburg geflüchtet ist. Am Ende macht Anna ihren Frieden mit ihm, mit einem, der die Konsequenzen seines Handelns nicht zu tragen vermag, nicht einmal die seiner Gefühle. Auch der Film macht seinen Frieden.
Die Männer sind schwach, aber es gibt ja die Güte der Frauen? Seltsame Moral.
François Ozon („Unter dem Sand“, „Acht Frauen“, „Das Schmuckstück“) hat Komödien und Psychodramen, Musicals, Krimis und Boulevardstücke realisiert, er dreht schnell und viel und jedes Mal anders, manche nennen ihn den Woody Allen Frankreichs. „Frantz“, sein erstes größtenteils auf Deutsch gedrehtes Werk (koproduziert von den X-Filmern aus Berlin), lief Anfang September im Wettbewerb von Venedig, der auch Wim Wenders’ ersten französischsprachigen Film präsentierte – ein schönes Pendant.
Paula Beer gewann beim Filmfest Venedig als beste Nachwuchs-Darstellerin
Nichts gegen Ozons sensible Schauspielerführung – allen Darstellern in „Frantz“ fühlt man sich nahe, vor allem Paula Beers Anna, die unaufhörlich zwischen Tapferkeit und Bangigkeit changiert. Die 21-jährige Schauspielerin gewann dafür in Venedig den Marcello-Mastrioanni-Preis als beste Nachwuchs-Darstellerin. Auch nichts gegen deutsch-französische Wechselspiele. Aber warum so brav symmetrisch – mit patriotischen Kneipengesängen hüben wie drüben –, warum so säuberlich sortiert, diese Provinzlegende von Schuld und Sühne? Dem Inkommensurablen jedweden Krieges kommt „Frantz“ nicht bei.
In 12 Berliner Kinos. OmU: Cinema Paris, Eiszeit, Hackesche Höfe
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