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31 Jahre jung und schon zehn Jahre ein Star. Der Londoner Dirigent Robin Ticciati.
© Promo/Marco Borggreve

Robin Ticciati beim DSO in der Philharmonie: Verschollene Dramen

Der Londoner Robin Ticciati debütiert beim Deutschen Symphonie-Orchester in der Berliner Philharmonie.

Lange hat es gedauert bis zu diesem Berlin-Debüt. Robin Ticciati ist 31 Jahre jung, doch seinen Namen raunt man sich schon seit über zehn Jahren in der Klassikwelt zu. Früh wurde das Talent des Londoners erkannt und gefördert, 2005 stand er erstmals vorm Orchester der Mailänder Scala, im Jahr darauf dirigierte er bei den Salzburger Festspielen. 2009 berief ihn das Scottish Chamber Orchestra zum music director, seit diesem Januar nun fungiert er als Chef des Glyndebourne Festivals.

Kein Wunder, dass Alexander Steinbeis, der Manager des Deutschen Symphonie-Orchesters, mehrere Anläufe brauchte, bis sich in Robin Ticciatis Terminkalender endlich eine Lücke fand. Am Sonntag nun betritt ein hochgewachsener junger Mann mit fotogenen Kringellocken und tadellosen Manieren das Philharmoniepodium – um erst einmal die Rolle des aufmerksamen Begleiters zu übernehmen.

Steven Isserlis spielt Benjamin Brittens „Symphonie für Violoncello und Orchester“ von 1963 derart ernsthaft und hingebungsvoll, mit so viel innerer Anteilnahme, dass die Zuhörer aufmerksam lauschen wie selten bei Werken des 20. Jahrhunderts. Kräftezehrend ist der Solopart, ohne dass der Interpret Virtuosenglanz entfalten dürfte. Isserlis zeigt seine tiefe Verbundenheit mit dem herben Spätwerk – und spielt als Zugabe eine skurrile Miniatur von Kabalewski, die er seinem Helden Harpo Marx widmet, dem Wuschelkopf der Brothers, dessen Todestag sich just am Sonntag zum 50. Mal jährt.

Mit ebenso präziser wie suggestiver Gestik hat Ticciati Orchester und Cello bei Britten koordiniert, für Anton Bruckners 4. Sinfonie werden seine Bewegungen nun größer, emphatischer. Mit langen Armen scheint er die ganze Welt umfangen zu wollen. Denn Robin Ticciati stellt sich den Komponisten als glücklichen Menschen vor. Das widerspricht zwar allem, was die Biografen berichten, führt aber zu einer Feier des Schönklangs, an der die DSO-Musiker lustvoll teilnehmen. Bei Ticciati gibt es kein Licht-Schatten-Spiel, keine Brüche oder Zweifel, sondern nur seligen Gesang oder wilhelminischen Fortissimo-Pomp. Die disparaten Themenblöcke stehen so problemlos nebeneinander wie in einer Potpourri-Ouvertüre. Ja, der junge Dirigent zeigt sich so opernhaft in seiner Effektdramaturgie, dass einen immer wieder das Gefühl beschleicht, hier müsse es sich wohl um Vor- und Zwischenspiele zu verschollenen Wagner’schen Musikdramen handeln.

Frederik Hanssen

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