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Technische Reproduzierbarkeit. Dieser Nachdruck von „Weg mit Bäumen“ (1911) ist für 5700 Euro zu haben.
©  Auktionshaus Ketterer

Das Brücke-Museum und Schmitt-Rottluff: Verschnittenes Erbe

Das Brücke-Museum lässt Bilder von Karl Schmidt-Rottluff nachdrucken und verkaufen. Wird das Werk dadurch verwässert? Unsere Autorin wirft einen kritischen Blick auf diese Praxis.

Detlev Rosenbach ist zwar schon etwas älter. Doch wenn ihn etwas wirklich bewegt, greift der über 80-jährige Galerist aus Hannover zur Schreibmaschine und verfasst einen Brief. Den jüngsten hat er nach Berlin verschickt: ein Statement voller Empörung über das Brücke-Museum, das fünf Holzschnitte von Karl Schmidt- Rottluff nachgedruckt hat.

Es geht um Motive wie „Liebespaar“ (1909) oder „Dünen und Mole“ (1917), die nun in einer Auflage von je 50 Abzügen erhältlich sind. Zu Preisen von 2900 bis 4700 Euro. Noch etwas teurer ist „Weg mit Bäumen“ (1911), das in dieser zweifarbigen Variante in jüngerer Vergangenheit überhaupt nicht zu erwerben war, obgleich Schmidt-Rottluff es zu Lebzeiten mindestens einmal in Rot und Blau abgezogen haben muss – das zeigen die Pigmentreste am Druckstock. Jeder der frischen Abzüge trägt das Künstlermonogramm SR, weist den Copyright-Stempel der „Karl und Emy Schmidt-Rottluff-Stiftung“ auf und ist vom Drucker signiert wie nummeriert.

Rosenbach nennt diesen Vorgang „Abnudeln“ und ist sicher, dass der „Künstler mit eingeschworenen Grundsätzen“ dies keinesfalls gewollt hätte. Er erinnert sich gut an die Zusammenarbeit mit Schmidt- Rottluff, von dem er gerne Grafisches verlegt hätte. Wie von den anderen Künstlern der Moderne, mit deren Werken er viele Jahre gehandelt hat. Doch an dem eigensinnigen Expressionisten sei jeder Versuch, selbst die „ungedruckten Druckstöcke zum Leben zu erwecken“, schlicht abgeprallt. Rosenbach hält es deshalb für einen „Skandal“, was das Brücke-Museum mit dem Erbe macht.

Tatsächlich verdankt sich das Haus seiner großzügigen Schenkung an das Land Berlin. Vor einem halben Jahrhundert übergab Schmidt-Rottluff mehr als 70 Werke. Weiteres folgte nach seinem Tod 1976 in Form einer Stiftung. Zum Erbe des Museums zählen auch jene Druckstöcke, die für die „Jubiläumsauflage“ zum 50. Geburtstag verwendet und aktuell im Rahmen der Ausstellung „Starke Schnitte“ über das plastische Werk von Schmidt-Rottluff zu sehen sind. Zu ihnen gesellen sich jetzt auch die Nachdrucke, und hier wird ein Problem offenbar, dessen Ursache an anderer Stelle zu suchen ist.

Was die Chefin bloß andeutet: Die finanzielle Situation des Hauses ist klamm

Man kann Magdalena Moeller fehlende Trennschärfe vorwerfen. Als Direktorin des Brücke-Museums müsste sie peinlich genau auf eine Trennung zwischen Original und Merchandising-Produkt achten. Denn das sind die frischen Blätter. Auch wenn man sie aufwendig nachdruckt und zu Preisen anbietet, die sie „alles andere als billig wirken lassen“. Moeller betont: Es sei eine einmalige Aktion. Ihr Haus gehe „sorgfältig mit dem Erbe“ um, man fände hier „keine Wandteller, Trinkbecher oder Bettwäsche“ mit Motiven der ausgestellten Künstler. Nur das Jubiläum habe man angemessen begehen wollen und deshalb „eine Ausnahme gemacht“.

Was die Chefin bloß andeutet, ist die finanziell klamme Situation, in der sie sich wie die meisten Kulturinstitutionen Berlins befindet. Für das neue Werkverzeichnis zu Schmidt-Rottluff, das 2017 erscheinen soll, fehlt es ebenso an Mitteln wie für den Ankauf neuer Arbeiten von Erich Heckel, Max Pechstein oder Ernst Ludwig Kirchner, die das Brücke-Museum ebenfalls zeigt. Ihr Vorgänger habe, wie es Schmidt-Rottluff in seiner Verfügung erlaubte, Bilder aus dem Bestand verkauft, um Neues zu erwerben. Das wolle sie nicht. Moeller hat es vielleicht nicht ausreichend kommuniziert, aber ein „großer Teil“ des Verkaufserlöses jener 250 Blätter fließt in den Museumsetat. Auch wenn das Münchner Auktionshaus Ketterer die Vorfinanzierung der Neudrucke ebenso übernommen hat wie Vertrieb und Public Relations. Das Brücke-Museum, sagt Moeller, sei personell dazu gar nicht in der Lage.

Den Vorwürfen des Galeristen Rosenbach begegnet sie mit ihrem Wissen über die Aktivitäten von Karl Schmidt-Rottluff. Der habe nach 1960 sehr wohl Nachdrucke seiner frühen Holzschnitte anfertigen lassen, für den Hamburger Kunstverein Griffelkunst wie für die Karl-Hofer-Gesellschaft. Und 1970 das Motiv „Christus unter den Frauen“ für die Galerie Wolfgang Ketterer – in einer Auflage von hundert Exemplaren. Ob dies die Neuauflage in einer Höhe von 50 Exemplaren rechtfertigt, ist damit allerdings nicht geklärt. Das alte Werkverzeichnis weist von jenen Motiven, die er bis 1912 persönlich vervielfältigt hat und zu denen auch einige der jetzt neu aufgelegten zählen, weniger als zehn Blätter nach. Ab 1913, als Schmidt-Rottluff diese Arbeit den Druckern überließ, waren es selten mehr als 30 Exemplare.

Da wirkt die „Jubiläumsausgabe“ wie eine kleine Flut. Was solche Nachbereitungen im Werk eines Künstlers anrichten können, müsste Magdalena Moeller mit Blick auf die Nachgüsse etwa von Ernst Barlach, Hans Arp oder Auguste Rodin eigentlich wissen. Sie verwässern das Werk und lassen Misstrauen wachsen. Unklar ist allerdings auch die Situation des Brücke-Museums: Weshalb lässt man eine Institution überhaupt erst in die missliche Lage kommen, dass sie über Nachdrucke nachdenken muss, um ihrem Auftrag nachzukommen?

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