Kultur: Paradies am Meer
Das Berliner Brücke-Museum zeigt Karl Schmidt-Rottluffs Ostseebilder
Wie ein totes Tier wirken die Umrisse zwischen Wasser und Strand. Ist es der Kadaver eines Pferdes, der mit starren Beinen ans Ufer getrieben wird? Von wegen. Das Aquarell von Karl Schmidt-Rottluff aus dem Jahr 1925 zeigt die Schaumkronen der Brandung. Auch nach vielen Sommern an der See wollte dem Maler das Meer nicht recht gelingen. Neben dem ungelenken Bild von den Wellen treten jedoch die Stärken des Brücke-Mitbegründers deutlicher hervor. Sein zupackender Blick auf massive Objekte, seine robusten Körper, seine entschiedenen Farben.
Die Ausstellung „Ostseebilder“ im Brücke-Museum zeigt die abgeschiedene Küstenlandschaft, die Binnengewässer oder den Strand. Die See ist nur spürbar durch das Licht, die Farben und die von Salz und Wind gereinigte Atmosphäre. In den frühen Bildern drängen sich die flimmernden Pinselstriche so dicht, als wollte der damalige Architekturstudent seine Gemälde Stein auf Stein bauen. Im Überschwang des Aufbruchs setzt er ein Übermaß an Mitteln ein.
„Monumentalen Impressionismus“ nennt Ernst Ludwig Kirchner die Technik. Im Brücke-Museum sind einige dieser frühen Ölbilder von Schmidt-Rottluffs erstem Aufenthalt an der Ostsee zu sehen. Nachdem er Emil Nolde 1906 als Brücke-Mitglied angeworben hatte, war er von diesem auf die Insel Alsen eingeladen worden. Während der eigentlichen Brücke-Zeit aber verbringt der Künstler seine Sommer an der Nordsee. Hier erweist sich die Beschränkung auf eine geografische Region als zu eng, denn man möchte den Wandel in der Malweise nachvollziehen können.
Als Karl Schmidt-Rottluff 1913, kurz nach Auflösung der Brücke, auf die Kurische Nehrung fährt, hat er sich am nervösen Flackern van Goghs abgearbeitet. Jetzt vertraut er den Farben und kann die Formen sparsam einsetzen. An den Moritzburger Freiluftmalereien seiner Brücke-Kollegen hat er sich nie beteiligt. In Nidden findet er nun eine Einsamkeit, die seinen Akten eine ursprüngliche Unbefangenheit verleiht. Er schwärmt von „den von Elchen bewohnten Wäldern zwischen Haff und Ostsee, der wilden Großartigkeit des Strandes“. Seine mächtigen Körper sind erdverbunden, mit wuchtigen Schultern und kraftvollen Beinen. Kein Wunder, dass dem Künstler das flüchtige Wasser nicht liegt. Die aufgeheizten Ockertöne, das schattige Dunkelgrün der Bäume, das Blau in der Ferne suggerieren ein unberührtes Paradies.
Die strengen, dunklen Frauengestalten, die 1914 zugeknöpft an der Hohwachter Bucht promenieren, vermitteln auch im Holzschnitt die angespannte Atmosphäre vor der Einberufung zum Ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg nimmt Schmidt-Rottluff seinen Jahresrhythmus wieder auf. Er verbringt die Sommer an der Ostsee, erst in Jershöft, dem heutigen Jaroslawiec, später in Rumbke am Lebasee. Die Klarheit der Ostseeluft kommt dem Maler entgegen, der seine Farben nicht mischt. Doch in den Dreißigerjahren lässt die Intensität nach, die Kunst verliert an Kraft. An den Bildern lässt sich ablesen, wie die selbst gewählte Einsamkeit in erstickende Isolation umschlägt. Die Nazis stellen fünfzig Werke von Karl Schmidt-Rottluff als entartete Kunst an den Pranger, 600 Arbeiten aus Museumsbesitz werden konfisziert, 1941 erhält der Künstler Berufsverbot. „Mit wackeligem Herzen und müden Augen“ fährt er in diesem Sommer an die Küste – in seinen Aquarellen hängt eine eisige Sonne über den Dünen, tote Baumstümpfe ragen aus dem Brackwasser.
Von der Lübecker Bucht, seinem Sommerdomizil nach dem Krieg, ist Schmidt-Rottluff zwar enttäuscht. Ihm fehlt die wilde, offene See. Aber hier findet er ganz zu sich. Die Farben heizen sich wieder auf, es kommt ein dunkles Aubergine hinzu, Pink und Siena lassen die Backofentemperaturen eines Augusttages spürbar werden. Das Meer erscheint weiterhin nur am Horizont, als eine Ahnung von Blau. Aber der hohe Himmel über der Ostsee, die Lichtspiegelungen des Wassers lassen die reinen Farben sommerlich schwingen.
Brücke-Museum, Bussardsteig 9, bis 17. Juli; Mi–Mo 11–17 Uhr.
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