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Zwischen den Welten. NoViolet Bulawayo (32), aufgewachsen in Zimbabwe, lebt seit 14 Jahren in den USA.
© Krystal Griffiths / Suhrkamp

NoViolet Bulawayos Roman "Wir brauchen neue Namen": Oh Darling

NoViolet Bulawayo ist die erste Schwarzafrikanerin, die auf der Shortlist des bedeutenden Man Booker Prize stand. Nun ist ihr kraftvolles Debüt über eine Kindheit in Zimbabwe und Jugend in den USA auf Deutsch erschienen: "Wir brauchen neue Namen".

Ihr Land nennt sie nicht beim Namen, fast bis zuletzt. Zahlreiche zentral- und südafrikanische Länder erwähnt sie, aber das eigene umschreibt sie – besonders in den drei aus dem narrativen Kontinuum herausgehobenen Heimatbeschwörungskapiteln, die man wie große Gesänge lesen und hören kann – lieber schlicht als "unser Land" oder auch das „elende Land“, das „gesegnete, elende Land“. Immerhin einmal, spät, gibt sie einen Hinweis, indem sie vor einem herzzerreißend gewachsene Fremdheit atmenden Telefongespräch zwischen Exil und Zuhause die zutreffende Vorwahl nennt: 011 263, von den USA aus. Die entscheidende Silbe aber – Schmerzens- und Glücksschrei – hebt sie sich für den Hauptadressaten ihrer Danksagung ganz am Schluss auf: „Zim“, „die geliebte Heimat, das Land meiner Leute“.

Zim ist Zimbabwe, wo alles anfing für Elizabeth Zandile Tshele, inzwischen 32 Jahre alt – und unter anderem Namen berühmt geworden, seit sie letztes Jahr mit „We Need New Names“ als erste Schwarzafrikanerin auf der Shortlist des Man Booker Prize stand, der wichtigsten angelsächsischen Literaturauszeichnung überhaupt. Den neuen Namen hat sie sich selbst gegeben: Als Kind von den Verwandten und Nachbarn in Zimbabwe „Nkha“ genannt, versuchte sie es in den USA, wohin sie als 18-Jährige in den Haushalt einer Tante umzog, unfroh mit „Elizabeth“, um sich gewissermaßen programmatisch neu zu erschaffen. Ihre Mutter (gestorben, als die Tochter 18 Monate alt war) hieß Violet, „no“ bedeutet in ihrer Heimatsprache Ndebele „mit“, und in Bulawayo, der zweitgrößten Stadt Zimbabwes nach der Hauptstadt Harare, ist NoViolet Bulawayo aufgewachsen.

So einfach, dieser „Mit meiner Mutter zu Hause“-Name, so fern von einem Pseudo-Nym, so anrührend unverstellt. In der rekonstruierenden Identitätsbehauptung führt er zudem mitten ins Herz dieses Romans, der eine afrikanische Kindheit (wieder-)erfindet, eine Jugend in kultureller Fremde dagegenhält und einen Verlustschmerz sprachlich ausformt, bändigt und zu überwinden sucht. Bulawayos Heldin ist die zehnjährige Darling, die mit gleichaltrigen Freunden durch die heimische Blechhüttensiedlung streunt und dort Spiele wie „Andyover“ oder „Fangt-bin-Laden“ erfindet; manchmal auch müssen sie abstoßend lüsternen, evangelistischen Teufelsaustreibungsritualen der Erwachsenen beiwohnen und wollen doch viel lieber, ihr Lieblingsspiel, Guavenfrüchte aus den Gärten reicher Leute klauen. Am Ende des Romans, der sich in eine afrikanische und eine US-Amerikanische Hälfte teilt, wird Darling in der Nähe von „Destroyedmichygen“ die Highschool fast hinter sich haben und zum Geldverdienen das feine Haus des Ex-Chefs ihrer Tante putzen, der schon überall war in Afrika, „aber erzählen kann er nur von Tieren und Parks“.

In diesem Paradies ist eine Elfjährige schwanger

Hier wildromantisch verklärte Kindheit, dort Pubertätsfrust im fernen, den Menschen sich selbst entfremdenden Westen? So glatt lässt sich das nicht gegeneinander ausspielen. Paradise heißt das Bidonville, in dem Darling aufwächst, und in diesem Paradies ist eine von Darlings Mitstreunerinnen, die elfjährige Chipo, schwanger, vergewaltigt von ihrem Großvater – und nun erwägen die Freunde, Chipo den Fötus irgendwie mit Kleiderbügeldraht wegzumachen bis „ganz oben in den Magen, wo das Kind sitzt“. Oder Darlings Vater: Jahrelang war er in Südafrika verschwunden, und nun kommt er bloß noch zum Sterben zurück „an der Krankheit“, an Aids. Und wie lustig eigentlich sind die Spiele, die Darling später in den USA mit zwei schwarzen Teenie-Freundinnen erfindet, indem das Trio alphabetisch die Kategorien von Porno-Webseiten bei Stummschaltung durchgeht und selber um die Wette stöhnt?

Fast durchgängig ist der Roman in leuchtend frischer Rollenprosa gehalten - und die plastisch-drastische Kindersprache wie der eher normiert lässige Jugendlichenjargon stehen für einen unterschiedslos aufmerksam auf Neues gerichteten Blick; das Moralisieren bleibt im erzählerischen Fluss ganz dem Leser überlassen. Wobei die poetische Sprache Bulawayos dem Wahrnehmungshorizont ihrer Helden immer wieder mal – wenig störend – voraus ist. Der sterbende Vater etwa „fühlt sich an wie trockenes Holz, aber da ist ein komisches Licht in seinen eingefallenen Augen, als hätte er die Sonne verschluckt“. Später wirkt das perfekte Englischlernenmüssen in Amerika so bedrohlich wie „eine riesige Eisentür, zu der man dauernd den Schlüssel verliert“. Oder, in der Heimat, über die Wut der Menschen nach einer blutig niedergeschlagenen Revolte: „Die ist gar nichts. Bloß ein schrecklicher großer Hund ohne Zähne.“

Düster sind beide Welten, jenes Afrika und dieses Amerika, aber erst die Tatsache, dass sie nichts gemeinsam haben, führt zu dem Riss, der durch Darlings angefangenes Leben geht - und auch durch das Leben ihrer Erfinderin: Im einem hinreißend verdichteten und durchaus privat illustrierten Aufsatz für den britischen "Telegraph" hat NoViolet Bulawayo ihren ersten Besuch in der Heimat beschrieben, nach 13 Jahren im fundamental restfremd bleibenden zweiten Zuhause namens USA. Diesem Riss schreibt sie sich in ihrem autobiografisch inspirierten Debüt faszinierend entgegen – einem Riss, der allenfalls augenblicksweise durch Wörter aufgehoben werden kann. Und seien es Namen.

NoViolet Bulawayo: Wir brauchen neue Namen. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow. Suhrkamp Verlag , Berlin 2014. 264 S., 21, 99 €.

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