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Mit digitaler Technologie sollen sich beispielsweise Museen ein neues Publikum erschließen.
© dpa/ Peter Steffen

Zukunftspläne für den Kulturbetrieb: Vermittlung, Vernetzung, Verständigung

Die Digitalstrategie der Bundeskulturpolitik will die Brücke zwischen künstlerischer und künstlicher Intelligenz schlagen. Ein Gastbeitrag

Monika Grütters ist Mitglied des Bundestages (CDU) und seit 2013 Staatsministerin für Kultur und Medien.

Als bei der Eröffnung des neuen Eingangsgebäudes zur Berliner Museumsinsel Namensgeber James Simon gefeiert wurde, machte eine Frage die Runde: Was würde der große Mäzen und Wohltäter tun, wenn er in der heutigen Zeit lebte? Die Experten auf dem Podium, die James Simon studiert und analysiert haben, überlegten nicht lange. Immer war es Simons Anliegen gewesen, Kunstschätze für ein möglichst großes Publikum zugänglich zu machen.

Er würde also heute die Möglichkeiten nutzen, Kinder, Jugendliche und alle, die einen Museumsbesuch scheuen, mit den Objekten und ihrer Geschichte vertraut machen. Kurzum: Ein James Simon, der im Jahr 2019 lebte, hätte sein Thema schon gefunden: die Digitalisierung.

Das erscheint mir sehr plausibel. Mit niedrigschwelligen Aufführungen, Ausstellungen und Bildungsangeboten aller Art wollte James Simon Ende des 19. Jahrhunderts „Angehörige aller Berufsgruppen zu edlem Kunstgenuss vereinen“. Damit ist er ein früher Vertreter jener Anschauung, die unter anderem in den 70er Jahren im Ruf nach einer „Kultur für alle“ ihre Fortsetzung fand. Mit diesem Motto sagte der Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann einem elitären, gar ausgrenzenden Kulturverständnis den Kampf an, weil Kultur ein „langfristiger Beitrag zur Selbstfindung des Menschen“ sei.

Nicht nur der Ökonomie folgen

„Edlen Kunstgenuss“ für alle - oder jedenfalls möglichst viele - attraktiv und zugänglich machen: Das war vor allem meine Motivation, als ich dem Thema Digitalisierung in einer bei mir persönlich angesiedelten Stabsstelle höchste Priorität gegeben habe. Damit ist ein inhaltlicher Anspruch verbunden.

Wenn sich die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, die Länder, die Kommunen und viele Kultureinrichtungen im ganzen Land für Digitalisierung einsetzen, dürfen wir nicht nur das allgegenwärtige Mantra und das ökonomische Diktat nachbeten, wonach heute alles in Echtzeit digital konsumierbar und kommerziell verwertbar werden müsse. Ich bin überzeugt: Digitalisierung ist im Kulturbereich genauso notwendig wie in Wirtschaft oder Wissenschaft, wir brauchen aber unsere eigenen Wege und verbindliche Werte.

Die Digitalisierungsoffensive, die wir mit unserer Bundesförderung starten, schafft Möglichkeiten, diesen Schritt zu gehen. Sie ermutigt uns, digitale Technologien zu erproben, anzuwenden und miteinander zu teilen. Ihre Ziele bilden einen Dreiklang. Er lautet: Vermittlung, Vernetzung und Verständigung.

Erster Punkt: Vermittlung

Wir müssen die Chancen der Digitalisierung konsequent dazu nutzen, einen Mehrwert für Kulturinteressierte zu schaffen und neue Zielgruppen anzusprechen.

Es versteht sich von selbst, dass Digitalisierung kein Patentrezept ist, wohl aber ein wichtiger Teil einer Kulturlandschaft der Zukunft. Denn klassische Hürden bei der Vermittlung kultureller Inhalte bestehen fort. Die soziale Situation kann eine solche Barriere sein, der Bildungshintergrund, aber auch der Wohnort. Wer wie die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland außerhalb der großen Städte lebt, also weit entfernt vom nächsten Kino, vom nächsten Theater, von der nächsten Buchhandlung, wird digitale Zugänge zu Kulturangeboten als Bereicherung empfinden. Sie macht Appetit auf den Live-Besuch, auf die analoge Begegnung.

Wir erleben eine Generationenhürde: Kultureinrichtungen müssen eine Antwort darauf geben, dass sich Seh- und Hörgewohnheiten gerade jüngerer Menschen komplett verändert haben. Viele scheinen vor allem auf der Suche nach frei verfügbarer und überall abrufbarer Unterhaltung zu sein, aber das kann natürlich gerade auch der Einstieg in eine vertiefte Schicht kultureller Erfahrung sein. Auch langjährige Museumsbesucher treibt zunehmend der Wunsch nach mehr Erklärung und Einordnung um, zuweilen auch das Bedürfnis nach Partizipation und Eigeninitiative.

Warum also nicht mit einer Art Dating-App Kontakt zu einem Ausstellungsobjekt aufnehmen und sich so über Herkunft und Geschichte austauschen? So geschieht es im von uns geförderten Projekt museum4punkt0. Sieben Kultureinrichtungen unterschiedlicher Größe und Ausrichtung erproben darin digitale Technologien und Strategien für das Museum der Zukunft.

Neue Technologien können Türöffner sein

Die zeitgemäße Vermittlung kultureller Inhalte in Museen ist auch ein Schwerpunkt weiterer neuer Innovationsprojekte, mit dem die BKM den Kulturwandel im wahrsten Sinne vorantreiben möchte. So wird beispielsweise das Günter Grass-Haus in Lübeck mit „Die Blechtrommel 4.0“ durch Virtual Reality- und Augmented Reality-Anwendungen einen ungewöhnlichen Zugang zum berühmten Roman des Nobelpreisträgers eröffnen. Ausgangspunkt für dieses digitale Erlebnis ist ein nachgebauter Kolonialwarenladen.

Ein weiteres Beispiel für den erfolgreichen Einsatz digitaler Vermittlungsprojekte ist das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund. Es wird künftig sein Aquarium mit interaktiven Medien ausstatten, die Geschichten erzählen und Zusammenhänge deutlich machen. Das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold wird mit Virtual Reality-Technik auf spielerische Weise die Erfahrungen von Einwanderern spiegeln.

Damit geben wir Anstöße, digitale Instrumente zu entwickeln und ihre Resonanz zu testen. Im besten Fall sind neue Technologien Türöffner. Sie eröffnen neue Sichtweisen für die bereits Interessierten, können aber auch einen Nerv bei neuen Nutzergruppen treffen. Das wird nicht immer auf Anhieb gelingen und setzt ein ständiges Probieren und Experimentieren voraus, um am Ball zu bleiben. Die digitale Vermittlung ist große Verheißung und gigantische Herausforderung zugleich, muss sie doch der Versuchung widerstehen, die Hochkultur zur Häppchenkultur zu degradieren.

James Simon öffnete zwar die Türen für ganz neue Besucherschichten, machte aber keine Abstriche bei der Qualität. Auf dem Programm seiner Veranstaltungen standen Vorträge weltbekannter Gelehrter, anspruchsvolle Theaterstücke oder Konzerte der Berliner Philharmoniker. Was James Simon über niedrige Eintrittspreise schaffte, kann bei der Digitalisierung über einen niedrigschwelligen Einstieg, etwa über das eigene Smartphone, gelingen.

Zweiter Punkt: Vernetzung

Eine der größten Möglichkeiten der Digitalisierung ist die Vernetzung - über Kultursparten, Einrichtungen und Landesgrenzen hinweg.

Die Digitalisierung legt offen, was verborgen war. Kulturakteure müssen sich messen lassen und werden vergleichbar, wo sie sich bisher hinter der Behauptung ihrer Einzigartigkeit verstecken konnten. Der Austausch über Konzepte bringt Akteure zusammen, die sich bisher vielleicht nicht einmal kannten. Auch das erleben wir beispielhaft in unserem Programm museum4punkt0. An den regelmäßigen Netzwerktreffen des Verbundes nehmen immer mehr Museen und Einrichtungen teil, die von dem Projekt und voneinander lernen wollen.

Ein gutes Beispiel für thematische und technologische Vernetzung bildet auch die von uns unterstützte „Von Mossul bis Palmyra“-Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle. Sie lässt die zerstörten Kulturstätten in Syrien wieder sichtbar werden – mit virtueller Rekonstruktion, Einsatz von Drohnen und Games-Technologie. So wird nicht nur der unermessliche Verlust deutlich, sondern auch eine Basis für den Wiederaufbau dieser bedeutenden Stätten geschaffen.

Unterstützung für digitales Wissen

Eines der wichtigsten Projekte zur digitalen Vernetzung deutscher Kultur- und Wissenseinrichtungen ist und bleibt die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB). Sie ist die zentrale Plattform, auf der Bestände und Sammlungen vieler Einrichtungen zugänglich gemacht werden. In die DDB sind inzwischen 29 Millionen Objekte eingestellt, 9,5 Millionen davon sind mit dem entsprechenden Digitalisat zu sehen. Damit wird unser reiches kulturelles Erbe über die Grenzen Deutschlands hinaus sichtbar.

Die Plattform DDB ist offen und unentgeltlich. Sie wird von Bund, Ländern und Kommunen finanziert und stellt deshalb sowohl gesamtstaatliche Verbindungen als auch Beziehungen zwischen den Einrichtungen her. Diese Vernetzung wollen wir nutzen, um gemeinsame Standards zu setzen. Deshalb werden wir die DDB bei einem neuen Projekt unterstützen. Sein Ziel sind verbesserte Metadaten, strukturierte Daten also, die Informationen über die Art der vorhandenen Quellen enthalten. Sie sind das A und O, um die digitalen Angebote im Netz zu finden.

Kultur und Technik arbeiten zusammen

Auch der Fonds Digital, ein hochinnovatives Projekt der Kulturstiftung des Bundes, hat den Zweck der Vernetzung jetzt schon erfüllt. Für die Bewerbung mussten sich mindestens zwei öffentlich geförderte Kultureinrichtungen zusammentun und einen Technikpartner mit an Bord nehmen. So sollen Verbünde entstehen, die bei digitalem Kuratieren, digitaler künstlerischer Produktion oder digitaler Vermittlung und Kommunikation zusammenarbeiten. Wie viele Akteure in der Kulturszene blicke ich neugierig darauf, welche Projekte am Ende ausgewählt und wie die Initiativen dann fortgeführt werden.

Eine echte Vernetzung mit möglichst niedrigen Hürden kann die Digitalisierung im Kulturbetrieb mit denjenigen in anderen Gesellschaftsbereichen sinnvoll ergänzen und sie so auch von denen unterscheiden, die vor allem um Marktanteile und das eigene Geschäft im Blick haben. Das setzt einen möglichst offenen Zugang zu Daten, Forschungsergebnissen und Prototypen voraus. Wir lassen uns bei den bundesgeförderten Projekten von dem Anspruch leiten, dass die Ergebnisse nicht nur für die geförderte Einrichtung, sondern auch für andere Akteure interessant und nachnutzbar sind.

Wie die DDB setzt auch der Fonds Digital auf offene Kulturdaten. Beide streben Creative Commons-Lizenzen an, eine Art Gemeinschaftseigentum für Kultureinrichtungen. Dann können private Nutzer diese Inhalte kostenlos verwenden und sie zur Schaffung neuer künstlerischer Werke, für die Kreativwirtschaft oder für Bildung und Wissenschaft nutzen.

Dritter Punkt: Verständigung

Auf unreflektierte Technikbegeisterung, ein bloßes Nachbeten wirtschaftlicher Notwendigkeiten, wird und darf sich die Kultur nicht beschränken. Deshalb fördern wir Projekte, die gesellschaftliche Debatten anregen.

Viele, auch mich persönlich, bedrückt die zunehmende Härte der Auseinandersetzung in den Sozialen Medien, die zu Enthemmung und gesellschaftlicher Polarisierung führt. In „Anstand digital“, einem Projekt mit den kirchlichen Akademien, werden wir Raum schaffen für eine Diskussion über Anstand und respektvollen Umgang im digitalen Zeitalter. Dabei wollen wir Akteure und Experten aus allen gesellschaftlichen Bereichen zusammenbringen.

Wir legen zudem einen Schwerpunkt auf die Verbesserung der Medienkompetenz. Sachverhalte einordnen, zwischen vertrauenswürdigen und manipulierten Nachrichten unterscheiden können - das ist eine der Kernkompetenzen des digitalen Zeitalters, die wir allen Nutzern, vor allem Kindern und Jugendlichen noch stärker mitgeben müssen. Um zu ermitteln, wo genau wir ansetzen müssen, werden wir auch eine Studie über den Stand der Nachrichten- und Medienkompetenz in Deutschland fördern.

Mensch und Maschine auf der Theaterbühne

Nachdenken, Diskurs und Verständigung über den digitalen Wandel entsteht auch durch Aufsehen erregende künstlerische Produktionen. Mit einem Programm „Künstliche Intelligenz und Digitalisierung“ im Freien Theater, das beim Fonds Darstellende Künste angesiedelt ist, werden wir wegweisende Produktionen fördern.

Gerade auf Theaterbühnen wird das Verhältnis von Mensch und Maschine auf anregende, ja teilweise verstörende, Weise zum Thema gemacht. In Kay Voges‘ Parallelwelten spielen zwei Ensembles zur gleichen Zeit auf den Bühnen des Berliner Ensembles und des Schauspielhauses Dortmund und sind im jeweils anderen Theater per Live-Stream zu sehen. So begegnen sich zwei Hochzeitsgesellschaften und streiten darüber, wer das Original und wer die Kopie ist.

In „Uncanny Valley“, einer Produktion von Rimini-Protokoll, steht überhaupt keine Person mehr auf der Bühne. Der Autor Thomas Melle tritt den Zuschauern als nachgebauter Roboter gegenüber, der mit seinem Abbild auf dem Videobildschirm interagiert.

Das Freie Theater-Sonderprogramm bildet den Brückenschlag zwischen künstlerischer und künstlicher Intelligenz (KI), daher wird dieses Programm mit Mitteln aus der KI-Strategie der Bundesregierung gefördert. Damit wird ein Beitrag zur politischen Debatte anerkannt und aufgewertet, den nur die Kultur leistet. Sie fungiert als Ideenlabor und ist im besten Falle der Zeit voraus. Sie denkt vom Menschen her, hält der Gesellschaft den Spiegel vor und schafft zugleich Raum für Dialog und kreative Lösungen.

Neues Interesse am Authentischen

Die Digitalisierung ist kein Prozess, durch den alles von selbst gut werden wird. Sorgen und Bedenken nehme ich ernst. Ich halte es aber eher mit John Cage: „Ich verstehe nicht, warum die Leute Angst vor neuen Ideen haben. Ich habe Angst vor den alten Ideen.“ Deshalb teile ich beispielsweise die Befürchtung nicht, die realen Objekte könnten durch die digitale Darstellung entwertet werden.

Vielleicht sogar im Gegenteil: Gut gemacht und umgesetzt, wecken gerade digitale Projekte wieder das Interesse am authentischen Ort und am Original, am Besuch eines Museums, einer Oper oder einer Gedenkstätte. Wer würde sich, um James Simons bekannteste Gabe an die Berliner Museen zu nennen, durch eine noch so gelungene Virtual Reality-Anwendung von einem Besuch der echten Nofretete abhalten lassen?

Vermittlung, Vernetzung und Verständigung sind der Dreiklang, der uns helfen kann, die Chancen der Digitalisierung für die Kultur zu nutzen. Mit guten Ideen und überzeugenden Werten haben Kreative und Kultureinrichtungen großes Potential, die gesellschaftliche Debatte über die neuen Technologien mitzuprägen.

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