Stieg-Larsson-Remake: "Verblendung": Das Geschwätz der Serie
Recyclinghof Hollywood: David Fincher inszeniert das Remake des Stieg-Larsson-Thrillers „Verblendung“. Und er ist nicht der einzige, der auf erfolgreiche Formeln zurückgreift.
In der Krise sucht der Mensch Sicherheit. Oder er setzt, wenn ihm Sicherheit versagt bleibt, alles auf eine Karte. Unternehmen und großen Organisationen, gar Staaten oder Staatenbünden, geht das nicht anders. Europa muss in der Schuldenkrise alles auf eine Karte setzen, und noch ist sehr unklar, ob es dabei aus der Not auch eine Tugend macht. Amerika dagegen igelt sich ein, spielt – zumindest eine Zeitlang – lieber nicht Weltpolizist und nimmt, mit einem höchst ernüchterten Präsidenten an der Spitze, Abschied von dem gesellschaftlichen Aufbruch, der sich mit seinem Namen verband.
Auch Hollywood, das Kreativverwaltungsbüro der amerikanischen Träume, wirkt derzeit nicht gerade so, als wolle es sich auf dem Weltmarkt für Fantasiefuttermittel besonders innovativ aufstellen. Im Gegenteil, in den Studios geht es zu wie auf dem Recyclinghof. Alte Filme werden für 3D aufbereitet und finanziell neu abgeschöpft. Erfolgreiche cash cows werden in zahllosen Fortsetzungen auf ihre Ewigkeitstauglichkeit als Wiederkäuer getestet. Der Rest, so scheint’s, sind Remakes. Hollywood-Originalstoffe jedenfalls, noch dazu originelle, werden derzeit fast mit ungläubigem Vergnügen zur Kenntnis genommen.
Nun, ohne Remakes – ein deutsches Lexikon zählt stattliche 1.300 Titel – ist die Filmgeschichte nicht denkbar, und auch Hollywood plündert gerne, oft erst nach Jahrzehnten, seine eigenen Schatzkammern. Bei der Neuverfilmung ausländischer Stoffe waren bislang drei Jahre Distanz zwischen Original und US-Version die ungeschriebene Regel, zuletzt etwa bei Matt Reeves’ „Let Me In“, dem Remake des schwedischen Vampirfilms „So finster die Nacht“. Ein solcher Mindestabstand ist auch sinnvoll: Es braucht seine Zeit, bis die Neugier auf eine Wiederaufnahme des strukturell Ähnlichen reift – und selbst dann, so jedenfalls die Erfahrung an deutschen Kinokassen, halten die amerikanischen Remakes meist eher schüchternen Abstand zum Original.
Beim absoluten Weltbestseller der jüngsten Jahre aber, Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie, gelten offenbar andere Gesetze. Hatte die schwedische Verfilmung des global über 60 Millionen Mal verkauften Buchs noch den üblichen Dreijahresabstand eingehalten, kommt nun David Finchers Version keine anderthalb Jahre nach dem letzten der drei Schweden-Filme ins Kino. Auch in Amerika liefen Niels Arden Oplevs „Verblendung“ sowie Daniel Alfredsons „Verdammnis“ und „Vergebung“, allesamt mit Michael Nyqvist und Noomi Rapace, mit einigem Erfolg – obwohl das US-Publikum Untertitel bekanntlich ebenso wenig schätzt wie Synchronfassungen. Die gleiche Story aber, mit Daniel Craig und Rooney Mara in den Hauptrollen, brachte seit Weihnachten mit 60 Millionen Dollar bereits zwei Drittel des Budgets ein. Ob nun der Rest der Welt, der die schwedischen Filme noch frisch erinnert, unbedingt in Finchers „Verblendung“ eilen muss?
Die größte Überraschung ist klein genug: David Fincher transponiert den sattsam bekannten Stoff nicht in die USA, sondern lässt die Geschichte um den Reporter Mikael Blomkvist, der mit Hilfe der Hackerin Lisbeth Salander eine Reihe von teils Jahrzehnte zurückliegenden Mädchenmorden aufklärt, erneut im düsteren Schweden spielen – einem Land übrigens, in dem die Schweden miteinander ganz vorzüglich Englisch sprechen. Daniel Craig gibt den dienstlich etwas angefetteten, aber immer noch bondmäßig durchtrainiert wirkenden Schreibtischmann in den mittleren Jahren, Christopher Plummer seinen Recherche-Auftraggeber – und Stellan Skarsgard, der derzeit wohl angelsächsischste Schwede der Welt, spielt einmal mehr den geschmeidigen Schurken vom Dienst.
Und Lisbeth Salander? Stieg Larssons aufregendste Erfindung wird von der bislang nahezu unbekannten Rooney Mara verkörpert, und sie tut dies wie eine energische Comicfigur, wie eine ins goth girl verwandelte und ins reale Leben hineinkatapultierte Lara Croft. Statt auf den Ohrmuscheln – wie Noomi Rapace – trägt sie die Piercings im Gesicht, statt tiefbraun zu glühen, blitzen ihre blassblauen Augen kalt wie Eis, und so jagt Rooney Mara durch den Film wie ein stets perfekt ferngesteuertes Projektil. Bei ihr wird der amerikanische Blick auf den Larsson-Stoff am deutlichsten spürbar: Statt in das abgründig wuchernde psychologische, auch politisch-historische Material des Buchs und der ersten Verfilmung investiert David Fincher ins Plakative, ins Genre, schleift den Stoff ab zum durchaus eleganten Serienkiller-Thriller.
Überhaupt scannen Fincher, der nach seinen legendären Anfängen mit „Se7en“ und „Fight Club“ zuletzt als Hollywood-Routinier („The Social Network“, „Benjamin Button“) arbeitete, und sein Drehbuchautor Steve Zaillian die Buchvorlage nahezu ausschließlich auf Schau- und Schockwerte ab. Die tote Katze bei Larsson? Bei Fincher liegt sie dekorativ zerstückelt auf der Fußmatte. Die Sexszenen Lisbeths, die bei Larsson überwiegend als Vergewaltigungsmartyrien geschildert sind? Wo die schwedische Verfilmung die auch physische Jämmerlichkeit des Vergewaltigers massiv ins Bild rückt, hält es Finchers Kameramann Jeff Cronenweth mehr mit dem Blick auf hübsche weibliche Nacktheit.
Auch bleibt die subtil sich anbahnende Beziehung zwischen dem Reporter und der cleveren Hackerin bei Fincher bloße Behauptung; dass Lisbeth Salander schließlich gar zur Empfindung ausgewachsener Eifersuchtsschmerzen fähig sein soll, überrascht beinahe. Niels Orden Oplev dagegen, der die vorsichtige zwischenmenschliche Wärme zwischen den beiden lädierten Helden in wenigen Szenen fein skizziert hatte, konnte sich zum Ausgleich einen supercoolen Schluss leisten. Und einen klasse Cliffhanger noch dazu.
So funktionieren die beiden Verfilmungen unter der Hand als Belege für gewisse Stereotypen des europäischen und des amerikanischen Mainstream-Kinos. Am substanziellsten zeigt sich das an den Darstellern. In Finchers Version hat der Star Daniel Craig, dessen Verpflichtung die kommerziellen Erwartungen absichert, alle Mühe, sein James-Bond-Image vergessen zu machen, während Michael Nyqvist den Blomkvist einfach spielen kann. Und während Noomi Rapace sich schon in „Verblendung“ als die bemerkenswerte Schauspielerin entpuppt, die sich längst in anderen Rollen weiterentwickelt, wird Rooney Mara vor allem sorgfältigst ausstaffiert. Sie muss den exakt entworfenen Begriff einer Figur verkörpern, viel hineingeben in die Rolle darf sie nicht.
Noch ist nicht sicher, ob die zwei mit Fincher offenbar bereits vereinbarten Folgefilme auch tatsächlich gedreht werden. Zwingend erscheint es nicht gerade – aber was zählt das schon, wenn das Recycling womöglich weiter Geld bringt? Letzte Meldung: Die Weinstein Company hat sich die Remake-Rechte am allerneuesten Hit des derzeit durchaus risikofreudigen europäischen Kinos gesichert, an dem soeben auch in Deutschland sensationell gestarteten französischen Millionenseller „Ziemlich beste Freunde“. Wenn wir eine Bitte äußern dürften: anderthalb Jahre warten. Mindestens.
Jan Schulz-Ojala
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