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Härte. Brad (Ben Schnetzer) mit Bruder Brett (Nick Jonas) in „Goat“.
© Berlinale

Sensible Männer bei der Berlinale: Urschrei im Niemandsland

Männliche Helden im Kino sind nichts Neues - die Problematik der männlichen Geschlechtersozialisierung schon! Panorama und Forum erzählen von sensiblen Männer und Jungen.

Musizierende Männer sind im Kino eher selten. Der Orchesterhornist Stefan ist eine schöne Ausnahme. Ein Kerl im besten Alter, der mit seinem Geliebten in einem großen Haus irgendwo im grünen Umland von Wien lebt. An der Wand hängt großformatige moderne Kunst, das Ambiente ist so gepflegt wie der Sex, der Freundeskreis groß. Dazu kommt ein zärtlich umsorgter prächtiger Kater, der im verwilderten Garten Dschungel spielt. Doch dann zerreißt ein erst geringfügig scheinender Akt spontaner Gewalt durch einen der Männer die vorstädtische Idylle.

Gewöhnlicher Stoff für einen recht gewöhnlichen Psychothriller, könnte man meinen. Das täuscht: Denn der österreichische Regisseur Händl Klaus erzählt seine Geschichte gegen den Strich und inszeniert mit hoch professionell agierenden Schauspielern (im Zentrum Philipp Hochmair und Lukas Turtur) statt des erwartbaren Genrestücks eine feinziselierte Gefühlsstudie um die Themen Vertrauen und Verlust, Gewalt und Entfremdung. Dabei bildet das schwule Paar aus „Kater“ den intimen Fixpunkt eines ganzen Bündels von Panorama-Filmen, die Sektionsleiter Wieland Speck unter dem Schlagwort „sensible Männer“ als einen diesjährigen Schwerpunkt vorstellt.

Nun sind männliche Helden nichts Neues. Und auch – gern ausufernde – männliche Selbstbespiegelung ist ein seit Langem prägender Aspekt des globalen Kinos und war Anknüpfungspunkt vieler feministischer Diskurse. Die gesellschaftlich längst stattfindende Problematisierung männlicher Geschlechtersozialisierung ist im Kino aber bisher erst vereinzelt angekommen. Von akutem Interesse ist sie aber gerade jetzt, wo überall auf der Welt fanatisierte Männer durch Gewalt und Dominanzgehabe auffallen.

Zwischen Untergang und Urschrei

Hier knüpft „The Wounded Angel“ an, ein Episodenfilm des kasachischen Regisseurs Emir Baigazin (2013 mit „Harmony Lessons“ im Wettbewerb), der an das im russischen Kino präsente Sujet der fehlender Vaterfigur anknüpft und gleich vier junge Heranwachsende aus zerrütteten Verhältnissen ins rohe Leben der neunziger Jahre schickt: Aufgerieben zwischen Korruption, Kriminalität, Einsamkeit und dem Gruppendruck durch Gleichaltrige treiben sie als verlorene Kinder durch eine Szenerie, die sie wieder in Krankheit, Gewalt und Wahnsinn stürzt. Dabei hat der Film in seinen oft fast apokalyptischen Breitwandpanoramen einen manchmal überambitionierten hohen Ton.

Auch „Antes o tempo não acabava“ von Sérgio Andrade und Fábio Baldo folgt einem jungen Mann – diesmal indianischer Herkunft – durch ein oft mythisch scheinendes Niemandsland, das aber ganz realistisch im Grenzbereich des tropischen Großstadtmolochs Manaus zum umgebenden Amazonas-Urwald angesiedelt ist. Auch die Erzählung kreist um die Schwelle, wo der junge Anderson zwischen der Arbeit in einer Fabrik für Eletronikteile und seiner indigenen Herkunftsfamilie einen eigenen Weg zu finden versucht. Bemerkenswert dabei auch die im aktuellen Kino eher selten zu beobachtende nicht idealisierende Position gegenüber der traditionellen Gemeinschaft, die Andersons behinderte Nichte dem kollektiven Wohlergehen opfern will. Am Ende steht hier nicht der Untergang, sondern ein viele Deutungen zulassender Urschrei.

Schwenk aus den scheinbar randständigen Regionen ins Herz der westlichen Welt. In den US-amerikanischen Mittelwesten, wo in Andrew Neels „Goat“ der junge Brad erst Opfer eines brutalen Raubüberfalls wird und später im College seine Heilung ausgerechnet an einem Ort durchorganisierter struktureller Männergewalt sucht: Eine der altehrwürdigen Studentenverbindungen, die mit ihren Initiationsritualen mit Angst und quasi-militärischem Drill gezielt Konformismus und Panzerungen produzieren. Daran geht Brad fast zugrunde. Die Rolle seines Bruders Brett übernimmt übrigens der Teenieschwarm Nick Jonas, Ko-Produzent James Franco ist selbst in einer Nebenrolle als trink- und fluchfester Alumni zu sehen.

Streifzug durch zeitgenössische Männlichkeiten

„Goat“ lässt sich auch als zum individuellen Mikrokosmos kondensierte und verschärfte Allegorie auf autoritäre Gewaltverhältnisse generell lesen, als Vorlage hat der Film das gleichnamige autobiografische Buch von Brad Land. „Indignation“ adaptiert einen Roman von Philip Roth. Auch dieses Drama erzählt eine Geschichte scheiternder College-Sozialisation in den fünfziger Jahren. Der hochintelligente Marcus wird zwischen einer christlichen Erziehungsanstalt und seiner kleinbürgerlichen jüdischen Familie aufgerieben. Die Eltern sehen in der universitären Ausbildung vor allem die Chance, den Sohn vor dem Kriegseinsatz in Korea zu bewahren.

Brillant: Zwei abstruse pädagogische Erbauungsgespräche im Office des bigotten Dean (Tracy Letts), doch insgesamt fehlen der ersten Regiearbeit von Produzent James Schamus Timing und Balance. Dazu führt auch – wir sind bei Philip Roth! – eine hypersexualisiert agierende Blondine, die die gesunde jungmännliche Entwicklung auf karikaturhafte Weise aus der Bahn bringt.

„Little Men“, der neue Film von Ira Sachs, führt ins New York der Gegenwart, wo die sozialen Umbrüche ganz eigene Gewaltstrukturen hervorbringen. Es sind die der Ökonomie, die in einer gerade akuter Gentrifizierung anheimgefallenen Gegend Brooklyns zwei Familien gegeneinander treibt. Im Fokus stehen deren zwei charmante Söhne in gerade noch vorpubertärem Alter, die vorsichtig zu Freunden und durch den Konflikt – zumindest zeitweilig – zu Verbündeten werden. Sachs bastelt daraus eine kluge genaue Romeo-und-Julia-Variante über die Zurichtung durch familiäre und materielle Interessen.

Gut ergänzt wird der Streifzug durch zeitgenössische Männlichkeiten durch zwei Forums-Filme um überforderte Familienväter: Bei „Yarden“ (Regie: Måns Månsson) steht im Zentrum ein gescheiterter Literat und alleinerziehender Vater eines – diesmal schwer pubertierenden – Sohnes, der aus Geldnot unter den migrantischen Arbeitern einer riesigen Auto-Import-Station am Hafen von Malmö anheuern muss. Dort wird er zum Verräter: Ein leicht selbstmitleidig anmutendes Szenario, das aber durch die streng unterkühlte Darstellung der Orwell’schen Arbeitswelt Kraft bekommt. Fast skurril überzeichnet dagegen die fragmentarische Persönlichkeitsstudie eines übergewichtigen vor dem Computer regredierenden Familienvaters in „How Heavy This Hammer“. Dass der Film des Kanadiers Kazik Radwanski dabei in einigen markanten Szenen an John Cassavetes’ „Husbands“ erinnert, ist nicht die schlechteste Referenz.

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