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Kunst im Konflikt. Ein verärgerter orthodoxer Jude macht die von Addam Yekutieli auf die Hauptstraße des Viertels Mea Shearim gesprayte Schrift unleserlich.
© Bernhard Schulz

Das Mekudeshet-Festival in Jerusalem: Unsichtbare Grenzen

Vor der Knesset-Wahl: Das Jerusalemer Festival Mekudeshet versucht, Getrenntes zusammenzuführen.

Zuletzt ließ Israels Premierminister Benjamin Netanjahu Wahlplakate in russischer Sprache kleben. Die aus Russland eingewanderten Juden gelten als verlässliche Stütze seines früheren Koalitionspartners und jetzigen Konkurrenten Avigdor Lieberman, der mit seinem Vorstoß gegen die Sonderstellung der ultra-orthodoxen Juden einen unerwarteten Popularitätsschub erfahren hat. Auf diese, in Sicherheitsfragen kompromisslosen Wähler zielt Netanjahu, um bei der Knesset-Wahl am heutigen Dienstag doch noch den unsicher gewordenen Sieg davonzutragen.

Die Israelis sind Wahlkampf gewöhnt. Sie werden bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr zu den Urnen gerufen. Als Besucher des Landes hat man nicht den Eindruck, dass der Alltag vom politischen Hickhack dominiert wird. In Jerusalem, der politischen und vor allem religiösen Hauptstadt des Landes, leben die verschiedenen Bevölkerungsgruppen nach ihrer Weise mehr neben- als miteinander.

Es geht durch das ultraorthodoxe Viertel Mea Sharim

Schon gar in Ost-Jerusalem mit seinen gut 350 000 Einwohnern. Sie besitzen weder die israelische Staatsbürgerschaft, noch sind sie den Palästinensern der Autonomiegebiete gleichgestellt, reklamiert Israel doch das ganze Jerusalem als Bestandteil seines Staatsgebiets. Die Unternehmensberaterin Riman Barakat, in Ost-Jerusalem geboren, erklärt die staatsrechtlichen Verrenkungen der gegenwärtigen, sicher auf unabsehbare Zeit andauernden Situation mit freundlicher Ironie. Sie ist eine der Stimmen, die über Kopfhörer bei der verschlungenen Pfaden folgenden Wanderschaft zu hören ist, die unter Leitung von Moran Aviv Dvir für das Festival „Mekudeshet“ produziert wurde. In drei Stunden bekommt die Wandergruppe Einblicke in das Leben in verschiedenen communities, die gerade kein Ganzes ergeben.

Mekudeshet, das von mehreren privaten Stiftungen finanzierte alljährliche Kulturfest im Spätsommer, unternimmt in seinem Programmteil „Grenzen auflösen“ solche bewusstseinsschärfenden Ausflüge. Diesmal führt der Weg auch durch das ultra-orthodoxe Viertel Mea Shearim. Dessen Grenze wird von einer mehrsprachigen Wandtafel markiert, die von Passanten „anständige Kleidung“ verlangt und überhaupt vom Durchqueren des Viertels abrät. So dramatisch ist es dann doch nicht; die Kulturausflügler werden schlicht mit jener Nichtbeachtung bedacht, die Gläubige für Andersdenkende übrig haben.

Dramatisch ist eher die Aktion „Stellung beziehen“ des Künstlers Addam Yekutieli, der an verschiedenen Stellen der Stadt unsichtbare Grenzen sichtbar machen will, einfach indem er eine weiße Linie aufs Pflaster sprüht und ein paar, eher rätselhafte Worte hinzufügt. Dort, wo Yekutieli den Beginn des Viertels Mea Shearim als Grenze markiert, zeigen sich die zahlreich vorbeieilenden ultra-orthodoxen Männer irritiert. Einige bleiben stehen und besprechen das Gesehene, während die Frauen, Kinderwagen oder Einkaufswagen oder beides schiebend, gleichmütig vorbeiziehen. Plötzlich springt ein Orthodoxer herbei, zückt eine Farbdose und übersprüht seinerseits die gesprühte Schrift.

Ein Höhepunkt sind die "Broken-Music"-Konzerte

Bewusstmachung oder Provokation? Und für wen? Wieder ein paar Straßen weiter öffnet sich eine schmale Gasse zu einer Art öffentlichem Wohnhof, auf dem Mütter ihre spielenden Kinder weniger beaufsichtigen als begleiten. Ein Idyll. Wohnen ist teuer, wird immer teurer; eine der machtsichernden Maßnahmen der Netanjahu-Regierung ist es, die orthodoxen Glaubensgruppen mit Sozialwohnungen zu versorgen.

Unmittelbar politisch sind die meisten Events von Mekudeshet nicht. Wohl aber haben sie eine lokalpolitische Dimension. Auf freundliche Art aufmerksam macht das Projekt „Fenstergeschichten“, eine Hommage an den unlängst verstorbenen, hoch geschätzten Künstler Yoram Amir. Über Jahrzehnte hinweg sammelte er Fenster aus den zahllosen Abrissen vormoderner Häuser, die im Zuge der unentwegten Bauwut auf der Strecke blieben. Daraus haben Kobi Vrig und Michal Vaknin den „Sommerpalast“ errichtet, einen sechseckigen Holzturm auf einem verkehrsumspülten pocket park mitten in West-Jerusalem. Und in dem bei Dunkelheit in allen Farben seiner Buntglasfenster magisch leuchtenden Turm wird nun musiziert, rezitiert und gelesen, als unreglementiertes Angebot an jedermann.

Das Kleine, Zufällige steht beim Festival gleichberechtigt neben den großen events. Einen Höhepunkt bildeten die Konzerte der „Broken Music“: Zeitgenössische Komponisten schrieben Musik für ein aus Berufs- wie Freizeitmusikern und vor allem aus West- und Ost-Jerusalemern zusammengesetztes, gut 100-köpfiges Orchester, das auf beschädigten Instrumenten spielt; daher der Titel. Aufgestöbert wurden die Instrumente irgendwo in der Stadt, wo sie liegen geblieben und in Vergessenheit geraten waren. Das dreiteilige Konzert klingt zu Anfang irritierend harmonisch und klangschön. Erst der zweite und dritte Satz lassen die erwartet schrägen und schrillen Töne hören, ehe Dirigent Tom Cohen die allen Musiktraditionen dieser heterogenen Weltregion zugehörigen Instrumente zu einem finale furioso vereint.

Die Ruhe ist trügerisch

Reicher Beifall im Open-air-Auditorium unterhalb der mächtigen osmanischen Mauern der Jerusalemer Altstadt. Auch „zerbrochene“ Instrumente vermögen einen auf seine Art harmonischen Klang zu erzeugen – dies die ebenso simple wie jederzeit auf die innere Situation Israels beziehbare Botschaft.

Von solcher, bedeutungsschwerer Harmonie kann im temporären Club „Feel“ keine Rede sein. Er hat im äußersten Ende eines weitläufigen, eher schlecht als recht gehenden Unterhaltungszentrums Platz gefunden, das seinerseits an der Grenze West-Jerusalems liegt. Davor erstreckt sich eine Terrasse hoch über steil abfallendem Gelände. Vor Sonnenuntergang lassen sich in der Ferne noch palästinensische Gemeinden ausmachen, abgetrennt von jüdischen Siedlungen durch die enorme Mauer, die sich wie ein unheilbarer Riss durchs Land zieht.

Drinnen spielt eine mega–laute Popband in jenem Fusion-Klanggemisch, das sich um Schubladen wie „jüdisch“ oder „arabisch“ nicht kümmert. E-Gitarren, Keyboard und eine Bauchtänzerin in glitzerndem Outfit: auch das ist Jerusalem, am unterhaltungsseligen Donnerstagabend vor dem streng beachteten Schabbat-Wochenende. Dann erliegt ab Freitagnachmittag jeder öffentliche Nahverkehr. Genauso in Ost-Jerusalem, dessen mehrheitlich muslimische Bewohner niemand gefragt hat. Sie haben keine Stimme; verweigern sich allerdings aus Prinzip der Teilnahme an kommunalen Wahlen, zu der sie berechtigt sind. Sie wissen, dass über Jerusalemer Angelegenheiten im Zweifelsfall höheren Orts entschieden wird.

Aber nicht unbemerkt: Denn im „Educational Bookshop“ von Mahmud Muna, in Sichtweite des Damaskus-Tores der Altstadt gelegen, wird unter dem Deckmantel von Buchvorstellungen sehr wohl diskutiert, was palästinensische Jerusalemer betrifft, oft genug vom allgewaltigen israelischen Militär unterbunden.

Muna ist ein ständiger Partner des Mekudeshet-Festivals – und mehr. Denn er steht für die ungelösten Probleme des Landes, die nach dem bis Ende September dauernden Festival fortbestehen, und ebenso nach der heute stattfindenden Knesset-Wahl. Die Ruhe ist trügerisch.

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