Doku „Born in Evin“ auf der Berlinale: Unsere Tränen sind politisch
Perspektive Deutsches Kino: Die Schauspielerin Maryam Zaree ist im Gefängnis geboren. Mit ihrem Dokumentarfilm „Born in Evin“ geht sie auf Spurensuche.
Plötzlich sind da diese Töne. Maryam Zaree ist 22, als sie sie zufällig hört. Auf einer Busfahrt in den Norden von Marokko. Sie fängt an zu schwitzen, fühlt sich beklommen, denkt, dass ihr Kopf zerspringt, wenn sie weiter zuhören muss, und bindet sich ein Tuch über die Ohren. Monate später erzählt sie ihrem Vater von der seltsamen Panikattacke und erfährt, dass das endlose Abspielen von Koransuren eine der Foltermethoden im Teheraner Evin-Gefängnis war. Es bleibt die einzige verschüttete Erinnerung, die sie an den Ort hat, an dem sie 1983 als Tochter zweier vom Mullah-Regime inhaftierter politischer Oppositioneller geboren wird.
Jetzt, mit 35, zeigt Maryam Zaree die vierjährige Spurensuche nach den Umständen ihre Herkunft in ihrem Dokumentarfilmdebüt „Born in Evin“. Im Alter von zwei Jahren ist sie an der Hand ihrer aus der Haft entlassenen Mutter nach Frankfurt am Main geflohen. Die Mutter, heute eine promovierte Psychologin und Grünen-Kommunalpolitikerin, bringt die Tochter jahrelang allein durch. Und auch die muss, trotz einer Integrationskarriere wie aus dem Bilderbuch, als iranischstämmige Deutsche immer wieder darum kämpfen, tatsächlich als Deutsche wahrgenommen zu werden, sagt Maryam Zaree beim Treffen in einem Neuköllner Café. Lacht und fügt hinzu: „Dass mein Film über ein Stück iranischer Geschichte nun ausgerechnet in der Perspektive Deutsches Kino läuft, ist so ironisch wie versöhnlich.“ Das belegt auch eine Szene zu Beginn von „Born in Evin“. Da watscht die Ich-Erzählerin anlässlich einer Kostümprobe, bei der sie mit Kopftuch und Abaya verhüllt wird, mal kurz die Klischeerollen ab, mit denen sie sonst so konfrontiert wird.
Zu privat für das Kino?
Bislang kennt man Maryam Zaree, die seit dem Studium an der Filmuniversität Babelsberg in Berlin lebt, ja vor allem als Schauspielerin. Aus dem „Tatort“ und „Polizeiruf 110“, aus Kinofilmen wie „Shahada“ und „Marry Me“. Oder aus der Serie „4 Blocks“, wo sie für die Rolle als Ehefrau des Neuköllner Clanchefs letztes Jahr den Grimme-Preis erhielt. Auch auf der Berlinale ist sie als Schauspielerin vertreten – im Wettbewerbsbeitrag „Systemsprenger“ (siehe Seite 21) und im Forum in der Satire „Weitermachen Sanssouci“. „Das waren Rollen, die gerade so zwischen die Dreh- und Schnittblöcke meines eigenen Film gepasst haben“, erzählt sie fröhlich. Vier Jahre hat sie mit der Arbeit an „Born in Evin“ zugebracht. Dass das Ergebnis nun auf einem A-Festival läuft, ist nicht nur für sie wichtig. Zur Premiere kämen Überlebende und Gefängniskinder aus der ganzen Welt. „Für sie ist es eine Plattform, die Öffentlichkeit für diese bis heute kaum aufgearbeiteten Menschenrechtsverletzungen schafft. Und vor allem ist es eine Anerkennung ihrer Zeugenschaft.“
Parallel zu den Arbeiten am Dokumentarfilm hat Maryam Zaree die Erfahrungen einer Recherche, die nicht nur Fakten, sondern vor allem verdrängte Verletzungen zutage fördert, schon zusammen mit Yael Ronen am Maxim Gorki verarbeitet – im Theaterprojekt „Denial“. Und in ihrem ersten selbst verfassten Theaterstück „Kluge Gefühle“. Im Film sieht man sie nach einem symbolischen Fallschirmsprung ins Unbekannte nun zu ihrer Tante nach Paris reisen, die ihr als Kind versehentlich die Umstände ihrer Geburt offenbart hat. Die Eltern schwiegen darüber. Sie spricht mit Schicksalsgenossinnen und Überlebenden, die als Exilierte in alle Welt verstreut sind. Zeigt Videofilme, die sie und ihre Mutter dem erst Jahre später ebenfalls nach Deutschland entkommenen Vater in den Iran schickten. Und versucht das Schweigen der Elterngeneration zu brechen, was bei ihr und ihrer Mutter zu Tränen führt.
Sind die nicht viel zu privat für das Kino? Maryam Zaree schüttelt den Kopf. Die Zielsetzung des Gefängnissystems im Iran sei es ja gerade gewesen, Personen in den intimsten Aspekten des Menschseins zu brechen. „Ich halte meine persönliche Geschichte und Spurensuche als Antwort dagegen, um so Menschlichkeit zurückzugewinnen.“ Gerade die Tränen machten das Trauma der Gewalterfahrung offensichtlich. „Da bin ich moralisch verpflichtet, eben nicht wegzuschneiden, damit die Szene leichter konsumierbar wird.“
Keine filmische Eigentherapie
Der Wunsch, durch die individuelle die universelle Geschichte der Exil-Iraner und ihrer Kinder zu erzählen, ist es, der Zaree erst zu ihrer eigenen Heldin gemacht hat. Nichts lag ihr zunächst ferner als das, betont sie. Als Psychologentochter wollte sie politische und künstlerische Auseinandersetzung betreiben und keine filmische Eigentherapie. „Aber dann habe ich begriffen, dass ich selber dahin gehen muss, wo die Angst wohnt, weil nur so Veränderung und Heilung gelingen kann.“ Gut möglich, dass „Born in Evin“ nun anderen Kindern das Gespräch mit den Eltern eröffnet.
Maryam Zaree hat die Reise in die Vergangenheit eine Last von den Schultern genommen. Wie es aussieht, wird sie auch weiterhin nicht nur als Schauspielerin, sondern auch als Autorin reüssieren. Gerade hat sie eine Einladung aus London bekommen. In die Dramatikerschmiede des Royal Court Theatre. „Da haben Leute wie Harold Pinter und Sarah Kane schreiben gelernt“, kommentiert sie freudig. Ein Happy End, das im Juli 1983 kaum abzusehen war. Damals hießen 60 drangsalierte Frauen das neugeborene Mädchen in ihrer Gefängniszelle willkommen. Eine von ihnen ist noch immer mit Maryam Zarees Mutter befreundet. An etwas erinnert sie sich genau. „Kaum ein Säugling hat so viel Liebe wie du bekommen.“
9.2., 19 Uhr (Cinemaxx 3), 10.2., 12 Uhr (Colosseum 1), 20 Uhr (Cinemaxx 1)