"4 Blocks": Die Serie, die Neukölln zum Mafiakiez macht
Neukölln knallhart: Die Gangster-Serie „4 Blocks“ erzählt vom Leben arabischer Clans in Berlin. So eine deutsche Serie hat man noch nie gesehen.
Ach, der Teppichladen in der Donaustraße muss Schutzgeld zahlen? Und die Kneipe „Das Gift“, wo es diesen leckeren schottischen Haggis gibt, hat zwangsweise Daddelautomaten bei sich aufgestellt? Quatsch, das ist ja nur Fernsehen und nicht die Realität. Und wenn an diesem Mafia-Szenario doch was dran ist? Wenn es nicht nur in der übel beleumundeten High-Deck-Siedlung, sondern sogar im Nordneuköllner Hipster-Kiez die viel diskutierten Parallelgesellschaften gibt?
Schon erstaunlich, dass „4 Blocks“ sogar auf gestählte Anrainer-Augen so eine irritierende Wirkung hat. Das Typecasting, die Straßenszenen und der mit „Habibi“ und „Wallah“ gespickte deutsch-arabische Slang fallen so authentisch aus, dass man die Viertel links und rechts der Sonnenallee gleich ganz anders betrachtet. Zumal an einer Hauswand am Hermannplatz seit einer Woche auch noch ein meterhohes, nachts cool beleuchtetes Plakat für die Miniserie wirbt. „4 Blocks“, das hat sich schon bei der umjubelten Premiere im Februar auf der Berlinale gezeigt, will echt sein, will reinhauen und das funktioniert.
Der vom Bezahlsender TNT Serie produzierte Sechsteiler ergänzt Berlins mythenreichsten Bezirk um eine weitere Erzählung – das Leben im kriminellen arabischen Familienclan. Wenn das Thema nicht so ernst wäre – immerhin sind rund 200 Mitglieder der zehn in Berlin einschlägig bekannten Großfamilien Mehrfachtäter – gäbe es für „4 Blocks“ nur einen möglichen Untertitel: die dicken Eier von Neukölln.
Der österreichische Regisseur Marvin Kren inszeniert eine von Testosteron strotzende Welt sagenhaft finster dreinblickender Kerle – auf Gangster- wie auf Polizistenseite - und kann dabei mit Vorbildern wie „Im Angesicht des Verbrechens“ und „Gomorrha“ mithalten. Die Referenz an die US-Mafia-Serie „Sopranos“ trägt Clanchef Ali „Toni“ Hamady sogar im Namen. Der wird vom arabischstämmigen Kreuzberger Kida Khodr Ramadan gespielt, dessen Eltern einst als libanesische Bürgerkriegsflüchtlinge nach Berlin kamen.
Sogar mit zwei echten Gangster-Rappern
Wenn so einer als Toni Hamady in der ersten Episode beim Anblick eines auf der Straße klampfenden Folkmusikers schimpft „Drecks-Multikulti“ und nach einem Besuch der Ausländerbehörde, wo er nach 26 Berliner Jahren nur mit befristeter Aufenthaltserlaubnis geführt wird, klagt „Wir dürfen offiziell kein Geld verdienen“ und „jeder Asylbewerber hat mehr Rechte als wir“, dann hat das einen ganz besonderen Klang.
Selbst wenn man ersteres für eine zweifelhafte Rechtfertigung der kriminellen Existenz hält. Der Rest der stimmig besetzten Darstellerriege hat mit Veysel Gelin als gegen Toni aufbegehrender Proll-Bruder Abbas und Hip-Hopper Massiv in der Rolle des in den Knast wandernden Drogenhändler-Schwagers Latif Hamady sogar zwei echte Gangster-Rapper aufzuweisen.
Auf der spärlich besetzten „deutschen“ Seite überzeugt Frederick Lau als Vince, ein undurchsichtiger alter Kumpel von Toni, der bei den Schutzgeldgeschäften und Drogendeals der Familie mitmischen muss. Und Ronald Zehrfeld, der in Dominik Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“ einen Ermittler spielt, ist nun auf die Seite des Bösen gewechselt. Er spielt den gruseligen Chef der Cthulhus, einer mit den „Scheiß-Arabern“ um das Revier Hasenheide und Görlitzer Park konkurrierenden deutschen Rockergang.
Es ist kein Spaß, weibliches Clanmitglied zu sein
Schön zu sehen, dass diese als heidnischer Stamm gezeichneten, Crack rauchenden Brutalinskis, die ebenso viele Genreklischees bedienen wie die Hamadys, so literaturfeste Gesellen sind. Ihr Name weist sie als Fans des Horror-Mythomanen H.P. Lovecraft aus, der den gleichnamigen Kult erfunden hat. Frauen kommen in ihrer ledrigen Welt allerdings nur als Prostituierte vor. Da sind die bärtigen Araber schon weiter.
Bei denen dürfen sie im Drehbuch von Hanno Hackfort, Bob Konrad und Richard Kropf weinende Ehefrauen, besorgte Mütter, dauerkontrollierte Schwestern und – immerhin – Baklava-Verkäuferin sein. Aber nur in Teilzeit. Nein, es ist trotz großzügiger materieller Verhältnisse kein Spaß, weibliches Clan-Mitglied zu sein.
Und männliches auch nicht, so erheblich ist der kriminelle Erfolgsdruck, so allgegenwärtig der Terror des heiligen Fetischs „Familie“. Deren menschenverachtend patriarchale Strukturen funktionieren unter Arabern genauso wie unter Russen, Italienern und Rockern, das zeigt „4 Blocks“ ohne Genreromantik. Und interessanterweise auch ohne religiöse Bezüge. Kein Hamady geht in die Moschee.
Heldenfiguren laden nicht zur Identifikation ein
Toni Hamady, der ein ebenso zärtlicher Vater wie skrupelloser Kniescheiben-Zertrümmerer ist, möchte doch eigentlich nur ein grundsolider, legaler Mietshausbesitzer werden. Das ist im von heftigen Mietpreissteigerungen gebeutelten Neukölln eine mäßig sympathische Idee. Überhaupt geht „4 Blocks“ das Wagnis ein, ohne zur Identifikation einladende Heldenfiguren auszukommen.
Die durchweg gut entwickelten Episoden fesseln trotzdem. Und wenn die Dramaturgie gelegentlich hängt, bringen Kamerafahrten über die Sonnenallee, ein raffiniert forciertes Sounddesign und die mit Hiphop-Beats unterlegten Drohnenaufnahmen der Häuserschluchten die Szenerie zuverlässig wieder auf die gewünschte coole Neukölln-Temperatur.
Unnötig zu sagen, dass „4 Blocks“ nicht aussieht wie eine traditionelle deutsche Serie. Die dynamische Kamera von Moritz Schultheiß, die schnellen Schnitte, die vielfach engen, die Ganovengesichter akzentuierenden Bildausschnitte schaffen einen auf Bewegung getrimmten, angesagten Look.
Ein neues Berlin-Bild für die Welt
Man braucht keine hellseherische Fähigkeiten, um vorherzusehen, dass „4 Blocks“ bald ein so noch nicht erzähltes Berlin-Bild in alle Welt tragen wird. Erstes Zeichen dafür ist Kida Ramadans Auszeichnung als bester Hauptdarsteller beim Festival „Séries Mania“ in Paris. Die Free-TV-Ausstrahlung ist noch ungewiss.
Dass eine zweite Staffel gedreht wird, steht dagegen schon vor der Premiere fest. Im Herbst ist auf den Straßen von Neukölln Drehbeginn. Und 2018 kann man dann den fiesen Hamadys wieder dabei zusehen, wie sie verschreckte Hipster zusammenfalten. Kein Deutsch verstehen, das geht nach ihrer Ansicht gar nicht. „You live in Germany, Alta!“
Ab 8. Mai, immer montags um 21 Uhr, auf TNT Serie (via Sky)
Gunda Bartels