Deutsches Symphonie-Orchester: Und sie schneiden sich doch
Das DSO geht ins Kraftwerk, mit Berio, Bach, Ligeti, Debussy. Und drei Uraufführungen von jungen, zeitgenössischen Komponisten. Da kann nichts schiefgehen, oder?
Ach, sieh mal an: Ein Ex-Industriegebäude, schummriges Licht, Rauchschwaden, reichlich Raum zum Rumlaufen mit einem Bierchen in der Hand – das reicht offenbar schon aus, damit sie strömen: die 20- und 30-Jährigen, die Slacker, Hipster und sonstigen Bartträger, die sich sonst nie in Konzerthaus oder Philharmonie blicken lassen. Kein Wunder, dieser Auftritt des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin im Kraftwerk, Teil des Amtseinführungsreigens für den neuen Chefdirigenten Robin Ticciati, ist eine Kooperation mit dem Festival Berlin Atonal. Experiment geglückt, scheint’s, zumindest in Bezug aufs Publikum: Der Altersdurchschnitt ist radikal gesenkt, für einige Stunden erblüht die Utopie völliger Vermischung der Generationen. Dafür steht auch das Motto „Parallax“. Denn Parallelen schneiden sich nur in der reinen Welt der Mathematik niemals, in menschlicher Perspektive aber durchaus.
Vom Kleinen ins Große
Ticciati hat eine Programmdramaturgie erdacht, die vom Kleinen ins Große voranschreitet. Elsie Bedleem geht mit Luciano Berios Sequenza II für Harfe noch etwas unter in der riesigen Halle, die den unendlich langen Liegetönen von Charles Ives’ „The Unanswered Question“ schon besser entgegenkommt. Valerio Tricoli antwortet ihnen mit „The Answer Unquestioned“ für Elektronik: Ein Stück, mehr als drei Mal so lang wie das von Ives, auf das es sich bezieht, wahrlich Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat. Da helfen auch keine tanzenden Scheinwerfersäulen im Albert-Speer-Stil.
Auch die beiden anderen Uraufführungen, „Cyclomorphia“ für sechs Streicher und Elektronik von Paul Jebanasam und „La Reminiscenza“ von Moritz von Oswald, zeigen vor allem, wie vergleichsweise wenig junge zeitgenössischen Komponisten mit klassischen Instrumenten anzufangen wissen. Vor allem im direkten Kontrast zu Bachs Violinkonzert E-Dur, das Alina Ibragimova mit rotzfrechem Strich aufmischt. Ligetis großartiges „Atmosphères“ gerät eher spannungsarm, wirkt als Aufwärmer für Debussys „La mer“ – in dem Ticciati dann eine geradezu Wagnersche Klangmacht entfaltet. Was bleibt, ist das Gefühl eines Abends, an dem musikalisch mehr hätte drin sein können. Ob mit oder ohne Bier.