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Aufstieg und Fall. Charly Hübner und Lilith Stangenberg als Paar.
© dpa/Markus Scholz

Frank Castorf inszeniert in Hamburg: Und der Rum fließt in Strömen

„Der haarige Affe“: Frank Castorf kombiniert am Hamburger Schauspielhaus drei Dramen von Eugene O’Neill.

Wenn bei Frank Castorf „Der haarige Affe“ draufsteht, weiß man: Da ist mehr drin. Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg erweitert er den „Affen“ zum fünfeinhalb Stunden langen Eugene- O’Neill-Abend mit zwei weniger bekannten Stücken, „Der große Gott Brown“ und „Kaiser Jones“. Letzteren spielt Marc Hosemann fahrig-delirierend, während er durch den Dschungel taumelt und seine gescheiterte Karriere als selbsternannter Kaiser einer Karibikinsel reflektiert. Ein zäher Einstieg, der erst mit dem „Haarigen Affen“ Fahrt aufnimmt.

Aleksandar Denic hat Castorf wieder ein hochtürmendes Drehbühnenbild gebaut. Wichtigstes Element: der New Yorker Subway-Eingang, Referenz an die Pariser Metro aus Castorfs Berliner „Faust“ und Tor zur Hölle, also zum Kesselraum, wo die Heizer Kohle in die Öfen des Dampfschiffs schaufeln und Charly Hübner als Yank sich seinen schwitzenden Illusionen hingibt: „Wir sind’s doch, die den Kahn am Laufen halten, wir sind der Staaaahl.“ Bei Josef Ostendorf ist der alte Paddy, der noch weiß, wie schön’s früher mit den Segelschiffen war, bestens aufgehoben. Genial driftet er ab in Träume und Gesang, kohlenstaubüberzogen der massige Körper, mit breiten Bächen aus Rum. Das meiste läuft in dieser ersten Hälfte über Livefilm, der eine mikroskopische Nähe erlaubt.

Nimmt Castorf die Vorwürfe wortwörtlich auf die Schippe?

Stampfende Kolben auf der Leinwand, ein Chaplin-Zitat, „Moderne Zeiten“. Lilith Stangenberg hüpft als Industriellentochter Mildred zum Song „Rich Bitch“ der Band Die Antwoord auf dem Bett und sieht aus wie eine orientalische Prinzessin. Mit ihrer Tante (Anne Müller) steigt sie in den Kesselraum, wo der Blick zwischen Yank und Mildred, Angelpunkt im „Affen“, zum Schrei gerät. Dann muss Stangenberg 15 Minuten lang splitternackt Kohle schaufeln. Ein schwieriger Moment. Altherrenfantasie, gemischt mit Selbstironie? Nimmt Castorf das problematische Frauenbild, das ihm vorgeworfen wird, sprichwörtlich auf die Schippe? Er lässt Stangenberg aus Ingrid Steegers Brief zitieren, mit dem sie Dieter Wedel verteidigt – wohl, um Steegers Worte bloßzustellen, nicht um sie zu bekräftigen.

In der zweiten Hälfte steigert sich der Abend ins Glückhafte, auch weil es mehr direktes Spiel gibt, vor allem zwischen Paul Behren vom Hamburger Ensemble und Daniel Zillmann. Sie spielen Dion und Billy aus „Der große Gott Brown“, ein Experimentierstück O’Neills, in dem Margret (Anne Müller) Dion liebt – oder vielmehr dessen Maske. Die Qualität des Castorfs-Ensembles zeigt sich an Kathrin Angerer, die für Thelma Buabeng einspringt und sich passgenau einfügt.

„Der Haarige Affe“ ist reine Kapitalismuskritik. Davon ist außer den falschen Versprechungen einer Zigarettenreklame als Bühnenbild wenig zu sehen. Castorf unterläuft die Erwartungen, Protest wird als Ton-Steine-Scherben-Zitat („Wer das Geld hat, hat die Macht“) outgesourct. Charly Hübner schraubt sich, als ihm der Gorilla die Rippen bricht, in einen grandiosen Schlussmonolog, in dem deutlich wird, dass dieser Typ nichts begriffen hat, ein Proletarier, dem seine Lage nicht zu Bewusstsein kommt. Zwischen den drei unterschiedlichen Stücken liegen die Zusammenhänge nicht wirklich offen auf dem Tisch. Einen tollen Abend und die Wiederbegegnung mit einem entstaubten Dramatiker bieten sie trotzdem.

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