Ausstellung "Inspiration Japan" im Museum Folkwang: Überraschung aus Fernost
Monet, Gauguin, van Gogh: Das Museum Folkwang Essen zeigt in einer großartigen Ausstellung, wie die Kunst der Moderne um 1900 von Japan lernte.
Was für eine Ausstellung! Seit 1993 – damals im Berliner Martin-Gropius-Bau – hat man die Verflechtungen zwischen der japanischen und der europäischen Kunst seit der Öffnung Japans Mitte des 19. Jahrhunderts, mehr noch zwischen der japanischen und europäischen Art, auf die Welt zu blicken, nicht mehr so umfangreich und durchdacht dargeboten bekommen wie jetzt im Essener Museum Folkwang. Der Titel der Ausstellung „Monet, Gauguin, van Gogh ... Inspiration Japan“ greift eher zu kurz, zielt er doch allein auf die weithin bekannte Anregung der französischen Impressionisten durch japanische Vorbilder. Tatsächlich reicht die Ausstellung weiter, über die bekannten Namen hinaus, indem sie nicht bloß Nachahmungen benennt, sondern eine höchst komplexe Wechselwirkung zeigt.
Japan war bis 1854 über mehr als zwei Jahrhunderte lang in freiwilliger Isolation von der Welt abgeschlossen, bis amerikanische Kanonenboote die Öffnung der Häfen erzwangen. Nicht Agonie und koloniale Überwältigung waren die Folge, sondern die erstaunliche Modernisierung des Landes. So weit, so bekannt. Bekannt ist auch, dass ein enormer Kulturexport einsetzte, dass Kunstwerke und Luxusgüter in einem Maße nach Europa gelangten, dass ein wahrer Japan-Taumel einsetzte, der das auf seine Vergangenheit fixierte Europa regelrecht aufmischte.
van Gog fand in der Provence das Japan Hokusais
Die Mode, gewiss, mochte das Bild an der Oberfläche bestimmen. Darunter jedoch vollzog sich eine kulturelle Auseinandersetzung, die durchaus auch produktive Irrtümer einschloss. So etwa den, dass der Maler Vincent van Gogh Ende der 1880er Jahre in der südfranzösischen Provence das Japan des Holzschneiders Hokusai gefunden zu haben glaubte.
Es wäre ein Leichtes gewesen, die japanischen Anregungen in Gestalt der in hohen Auflagen verbreiteten Farbholzschnitte und die französischen Folgewirkungen in Gestalt entsprechender Gemälde nebeneinanderzustellen. In Essen hat Kuratorin Sandra Gianfreda – sie kam mit dem neuen Folkwang-Direktor Tobia Bezzola aus Zürich – das intellektuell weit anspruchsvollere Ziel verfolgt, die Wechselwirkungen zwischen Japan und der Pariser Kunstszene zwischen 1860 und 1910 aufzuschlüsseln. Dabei unterscheidet sie, und das weitet den bisherigen Betrachtungshorizont, zwischen drei Formen oder Stadien des Kulturtransfers.
Zunächst einmal gibt es die Neugier Europas auf Japan nach der Öffnung des Landes und die Widerspiegelung in hiesigen Arbeiten, sprich: die Darstellung Japans in europäischer Kunst. Zum Zweiten gibt es – und das stand in bisherigen Darstellungen des „Japonismus“, so der von dem Kritiker Philippe Burty 1872 geprägte Terminus, im Vordergrund – die motivischen und kompositorischen Anregungen, etwa den quer über die Bildfläche gelegten Kreis oder den verkürzenden Blick aus überraschender Höhe. Dahin gehört van Goghs „Sämann bei Sonnenuntergang“ mit dem Ast quer übers Bild. Drittens aber entwickelt sich, was in der Ausstellung sehr schön als Kapitelüberschrift „Verinnerlichtes Japan“ erscheint und gerade nicht in der Gegenüberstellung von je einem Werk aus Japan und aus Paris zugleich demonstriert und ertränkt wird.
Degas subtile Aneignung japanischer Raumauffassung
Das erweist sich im Zentralraum der Ausstellung, als den man wohl mit Recht die Zusammenstellung von Werken van Goghs, Gauguins, aber auch von Edgar Degas und Whistler auffassen kann. Was bei van Gogh der elementare Zugriff ist, die Übertragung des bei den japanischen Holzschnitten Gesehenen auf seine eigene Vorstellungswelt, zeigt sich in glattem Gegensatz dazu bei Degas als subtile Aneignung fernöstlicher Raumauffassung und mit ihr der radikal subjektiven Positionierung des Betrachters, als dessen Medium der Maler fungiert. Beispielsweise das Gemälde „Orchestermusiker“ von 1872/76: groß im Vordergrund die Köpfe und Instrumentenhälse der Streicher, klein und doch als Hauptperson des Bildes die von unten beleuchtete Tänzerin auf der Bühne. Grandios!
Oder bei James McNeill Whistler die Unerkennbarkeit der physischen Welt im Nebeldunst eines lähmend grauen Farbtones – Whistler lebte damals in London –, die den Betrachter einlullt wie der japanische Regen in Hiroshiges „Platzregen über der großen Brücke von Atake“ aus dem Jahr 1857. Dieses Blatt hat der Besucher bereits zuvor sehen können, in der großartigen Abteilung „Bilder vom flüchtigen Leben“, aber er muss es im Kopf behalten und in sich wirken lassen, gerade so, wie es die Künstler des ausgehenden 19. Jahrhunderts taten.
Japanische Ästhetik: Alles im Fluss.
Nur höchst unvollkommen lässt sich das schiere Glück des Schauens beschreiben, das diese Ausstellung gewährt; bis hin zu der überraschenden und beim Nachdenken dann geradezu selbstverständlichen Beobachtung, wie gut die fließenden, durch frei platzierte Stellwände eher nur angedeuteten Räume innerhalb des schönen Neubaus von David Chipperfield der Ausstellung dienen. Wie sehr gewinnen die hier versammelten rund 400 Kunstwerke, zu denen neben den zahlreichen Holzschnitten auch exquisiteste Objets d’art, kunsthandwerkliche Gegenstände aus beiden Kontinenten zählen, dadurch, dass immer wieder Durch- und Querblicke möglich sind, sich unaufdringlich eröffnen, dass hier tatsächlich alles in jenem Fluss ist, als den die japanische Ästhetik die physische Realität begreift.
Es ist eher ein Zugeständnis an den breiten Publikumsgeschmack, dass Monet mit dem Programm-Japonismus seines Seerosenteichs im Garten von Giverny ebenso viel Platz eingeräumt wird wie den eben nicht nur motivischen Übernahmen der anderen französischen Meister. Monets Spätwerk leitet denn über – und da wird die Ausstellung durchaus kritisch – zur Dekoration, zu der die Japan-Mode um 1900 verflacht. Mit feinem Humor zeigt sich solche Oberflächlichkeit allein bei den bemalten Fächern des gebürtigen Schweizers Felix Valloton. Man könnte sagen, dass die japanische Ästhetik da bereits so sehr von europäischen Augen aufgesogen war, dass ihre Eigenart in Vergessenheit geriet.
"Japonismus" wurde zum Allerweltswort
Ja, der Begriff „Japonismus“: 1872 geprägt, wurde er zum Allerweltswort, nachdem die Pariser Weltausstellung von 1878 erstmals ein breites Publikum mit den Produkten aus Nippon bekannt machte. Das ist der Aspekt, der in der Ausstellung allenfalls in den Schlusskapiteln über die dekorativen Künste angedeutet wird: der der Popularisierung und Kommerzialisierung der japanischen Kultur. Der aus Hamburg gebürtige Siegfried (Samuel) Bing war es, der in Paris ein regelrechtes Handelsimperium aufzog, mit gleich drei Galerien und Importen durch eigene Niederlassung in Yokohama sowie einer eigene Zeitschrift.
Im Museum Folkwang, dessen Begründer Karl Ernst Osthaus ab 1900 selbst ein großer Sammler außereuropäischer Kunst war, geht es indessen nicht um die Darstellung des Kommerzes, sondern um die des Kulturaustauschs. Denn im Gegenzug hatten sich die japanischen Meister wie Hokusai und Hiroshige mit der europäischen Zentralperspektive beschäftigt, die sich in subtiler Abstufung in ihren Serien wiederfindet, etwa in Hiroshiges „100 berühmten Ansichten von Edo“ von 1857, einer Serie, die von den französischen Künstlern gesucht und gesammelt wurde. Es heißt, erst die Begeisterung der Europäer habe die Japaner veranlasst, die als billige Gebrauchsgrafik vernachlässigten Blätter für viel Geld zurückzukaufen.
Die immer wieder verbreitete Erzählung allerdings, die ersten japanischen Holzschnitte seien, als Packpapier für Schiffsladungen missbraucht, rein zufällig nach Europa gelangt, gehört ins Reich der Legenden. Hübsch ist die Geschichte dennoch, und sie enthält, wenn schon nicht die Wahrheit, so doch eine tiefere Erkenntnis über die verschlungenen Wege, die künstlerische Errungenschaften mitunter nehmen.
Museum Folkwang Essen, bis 18. Januar 2015. Katalog bei Steidl, 376 S., geb. 39 €. Mehr unter www.inspiration-japan.de
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