Bilanz des "Foreign Affairs"-Festivals: Überleben durch Anpassung
Herausragender Tanz, einige Performance-Highlights und jede Menge Theoriegedöns: Heute endet die zweite Ausgabe des Berliner „Foreign Affairs“-Festivals unter der Leitung von Matthias von Hartz. Die Bilanz ist durchwachsen.
Von der Bühne grüßt eine glückliche Spezies. Sie hat den Menschen abgelöst, dieses Mängelwesen. Die Vertreter der neuen Art besitzen einen identischen genetischen Code, benötigen zur Fortpflanzung keine Sexualität mehr und sind durchweg vernunftbegabt. Außerdem tragen sie schicke Unterwäsche. In ihrem Rücken leuchtet in Riesenlettern: „10. Juli 2076, Berliner Festspiele, Foreign Affairs.“ Es ist das Schlussbild der Inszenierung „Les Particules Élémentaires“ des jungen französischen Regisseurs Julien Gosselin, basierend auf dem Roman „Elementarteilchen“ seines Landsmanns Michel Houellebecq. Was für eine interessante Zukunftsvision. Nein, nicht die Klon-Phantasien über die Selbstabschaffung des Homo sapiens. Sondern die Vorstellung, dass auch in 62 Jahren das Festival „Foreign Affairs“ noch existieren könnte. Womöglich noch immer unter dem künstlerischen Leiter Matthias von Hartz. Der wäre dann mit 106 Jahren der Jopi Heesters der Kuratoren.
Das Problem ist nur: „Les Particules Élémentaires“ zählt zu der Sorte strapaziöser Kunst, die nicht unbedingt Lust auf ein langes Festivalleben macht. Im vergangenen Jahr ist der Nachwuchsregisseur Gosselin (Jahrgang 1987) damit angeblich zum Shootingstar in Avignon avanciert. In Berlin, wo die vierstündige Performance als ein „Foreign Affairs“-Höhepunkt kurz vor Schluss auf der großen Bühne programmiert war, wirkt sie wie ein seltsames Missverständnis. Die kristallene Schärfe, mit der Houellebecq den erschöpfenden Tanz des westlichen Menschen um die große ontologische Leere beschreibt, geht in einem oberflächlichen Spektakel aus Elektro-Post-Rock und Breitwand-Projektionen unter.
Als von Hartz im vergangenen Jahr die „Foreign Affairs“ nach einem Interimsgastspiel von Frie Leysen übernommen hat, schlug ihm viel kritischer Wind entgegen. Wieso wird im Sommer gespielt? Weshalb soviel Tanz? Warum so viele Performances, die auch im HAU laufen könnten? Kurzum, wofür steht der „Spielzeit Europa“-Nachfolger eigentlich?
In diesem Jahr lautete die Frage: Wie kann das Festival gegen die Fußball-WM konkurrieren? Was der künstlerische Leiter durch spielfreundliche Platzierung seiner Veranstaltungen und ein Public-Viewing-Areal im Garten der Berliner Festspiele auszukontern versucht hat. Der Garten wurde, wie das gesamte Haus, vom Architekturstudio realities:united in ein Feierzentrum für den urbanen Kulturkonsumenten verwandelt. Was gut aufgegangen ist. Im Garten gibt es holzgezimmerte Bars und Streetfood der aparten Sorte. Festspiele-Intendant Thomas Oberender und von Hartz haben sich wirklich Mühe gegeben, die Kartoffelsalat-und-Buletten-Atmosphäre der Sartorius-Ära auszutreiben.
Auch programmatisch steht einiges auf der Habenseite. Zumindest die Tanzfreunde hat der „Foreign Affairs“-Leiter glücklich gemacht. Vom Choreografen Boris Charmatz und seinem „Musée de la danse“ – einer von drei „Focus“ genannten Schwerpunkten in diesem Jahr – schwärmen die Aficionados. Besonders von der Inszenierung „20 Dancers for the XX Century“ am Sowjetischen Ehrenmal. Auch die Produktion „Sun“ des israelischen Choreografen Hofesh Shechter stieß auf ziemlich begeisterte Resonanz.
Im Bereich Performance und Schauspiel hat diese „Foreign Affairs“-Ausgabe leider weniger überzeugt. Symptomatisch ist eine Produktion wie „Zoo“ von Manuela Infante. Nicht gut, nicht schlecht, nur egal. Erst unlängst lief sie bei Matthias Lilienthals „Theater der Welt“ in Mannheim. Was natürlich nichts heißt. Das Herumreichen von Inszenierungen zwischen Wiener Festwochen, Festival Theaterformen und Berlin ist gang und gäbe und nicht zuletzt den herrschenden Koproduktionsbedingungen geschuldet. Und die Stadt ist ja nicht nur von hauptberuflichen Festivaltouristen bevölkert. Aber die Kunst sollte irgendwas zu sagen haben.
Die chilenische Regisseurin Infante stellt zwei Wissenschaftler auf die Bühne, die Exemplare eines vermeintlich ausgestorbenen indigen Stammes aus Feuerland nach Menschenzoo-Art präsentieren. Bloß erweisen sich diese mit Leckerlis gefütterten „Tzoolkmen“ am Ende als die eigentlichen Forscher. Infante geht es nicht bloß darum, den neokolonialen Blick auf das Fremde zu brechen. Sondern um hochphilosophische Konzepte von Mimesis, um das Überleben durch Imitation. Was in pathetischen Beschwörungen gipfelt, die Welt nicht weiter mit Erkenntniswillen zu vergewaltigen, sondern vom Dasein der Pflanzen zu lernen. Als gäbe es nicht schon genug Zeitgenossen, die vor sich hin vegetieren. Das Theoriegedöns verhindert nicht die Langeweile in der bloß 75-minütigen Performance.
Das Festival „Foreign Affairs“ stellt hohe Ansprüche an sich selbst. Es will neue Theaterformen an der Schnittstelle zur Bildenden Kunst präsentieren. Pop und Performance fusionieren. Und natürlich politisch sein. Wie das aussehen kann, war im Außenspielort Berghain zu erleben, wo das Popduo Neon Neon zusammen mit dem National Theatre Wales „Praxis Makes Perfect“ aufführte. Ein Singspiel, das in schlechter Westend-Manier die schillernde Biografie des italienischen Verleger-Kommunisten Giangiacomo Feltrinelli auf die Parole „Reading is Resistance“ verdummte. Am Ende zogen Menschen mit selbstgemalten „Fuck Fifa“-Plakaten durch die Menge. Das Ganze lief unter dem „Focus Empowerment“, der nach gesellschaftlicher Teilhabe zu fragen verspricht. Um Gottes Willen.
Über dreißig verschiedene Veranstaltungen in zwei Wochen – das signalisiert Überwältigung durch Masse. Klar gab es Performance-Highlights. Wie die großartige Soloshow „Tell Me Love Is Real“ des New Yorkers Zachary Oberzan, der seinen eigenen Suizidversuch mit dem Schicksal Whitney Houstons und anderen popkulturellen Referenzen verlinkt.
Dennoch, das Profil der „Foreign Affairs“ bleibt diffus. Dabei stellt sich die leidige Frage nach der innerstädtischen Konkurrenz gar nicht in erster Linie inhaltlich. Wohl aber finanziell. Das Festival bewirbt sich schließlich um die gleichen Fördertöpfe wie die freie Szene. Gerade erst haben die „Foreign Affairs“ satte 100 000 Euro aus dem Hauptstadtkulturfonds zugesprochen bekommen, damit der Radikalinski-Senior Jan Fabre sein 24-Stunden-Projekt „Mount Olympus“ in Berlin aufführen kann. Ob das notwendig war, erfahren wir 2015. Und nicht erst in 62 Jahren.
Foreign Affairs: bis 13. Juli. Noch heute: Musée de la danse, „expo zéro“, Kunstsaele Berlin, 12 bis 17 Uhr.
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