Nigel Barley über Indonesien: Traumhafte Tropen
Der Schriftsteller Nigel Barley nähert sich gleich zweimal Indonesien: Mit dem Reiseband "Auf den Spuren von Mr. Spock" und der Roman "Bali. Das letzte Paradies."
Toraja? Der Rikschafahrer ist angeekelt. „Ich würde da nicht hinfahren. Die essen Menschenfleisch.“ Sein Fahrgast heißt Nigel Barley, ein britischer Ethnologe, der in Indonesien unterwegs ist, um Feldforschung zu betreiben. Bei der Reisewarnung scheint es sich um einen klassischen ethnologischen Topos zu handeln. Nachbarvölker hassen einander, und das Grauen beginnt gleich hinter der nächsten Wegbiegung.
Aber Barley lässt sich nicht abschrecken. Tapfer setzt er mit dem Schiff über auf die Insel Sulawesi. Der Erstkontakt mit der dortigen Bevölkerung erfolgt in Form eines Kindes, das in der Nase bohrt. „Touriis!“, schreit es, dann folgt eine Forderung: „Ich bitte um Süßigkeiten. Bitte geben Sie mir Geld.“ Die Toraja essen Schokoriegel, keine Menschen.
„Auf den Spuren von Mr. Spock“ hat Barley seinen überaus amüsanten Reisebericht genannt, nach den angeblich spitzen Ohren der Einwohner von Sulawesi. Es ist die Geschichte einer fortwährenden Desillusionierung, denn in der verlockenden Exotik Indonesiens ist beinahe nichts so wie erwartet. Dafür alles umso fremder. Die Ohren entpuppen sich als eher nicht spitz, die in einem Reiseführer als „tirolerisch“ beschriebenen Berge von Mamasa sind bloß „finstere waldbedeckte Hänge“, und das Museum in Pare-Pare, gestiftet von der königlichen Familie, präsentiert schreckliche Handelsartikel aus Holland und China. Doch der Direktor, ein begnadeter Entertainer, erzählt Geschichten über Kanonen, die von selbst schießen, und Dolche, die erst wieder in die Scheide zurückkehren, wenn sie Blut gekostet haben.
Heiß, schmutzig, voller Kakerlaken
Als Nigel Barley nach Indonesien aufbricht, hat er als Ethnologe in Kamerun und als Kustos am British Museum gearbeitet. Sein Buch attackiert lustvoll die Gepflogenheiten des akademischen Establishments, ähnlich wie schon die westafrikanischen Notizen „Traumatische Tropen“, deren Titel Claude Levi-Strauss’ Klassiker „Traurige Tropen“ persifliert. Feldexkursionen, sagt Barley, seien „häufig eher ein Versuch des Forschers, eigene, sehr persönliche Probleme zu lösen, als dass sie dem Bemühen entsprängen, andere Kulturen zu verstehen“. Welches seine eigenen Probleme waren, verrät er nicht. Vielleicht steckte er einfach „geistig in den Wechseljahren“, wie ein Londoner Indonesien-Spezialist behauptete, den er vor der Reise aufsuchte.
Barley verliebt sich sofort in das Land, „das extrem warm und menschlich wirkt“. Mittelschichtshäuser stehen neben den Hütten der Armen, in den Städten herrscht abseits der Hauptstraßen ein nachbarschaftliches Dorfleben. Weiße Ausländer, „Puttyman“ genannt, werden oft mit fröhlichem Winken begrüßt. Auf seiner Reise, die ihn von Jakarta über Surabaya und Ujung Pandang ins Hochland von Sulawesi führt, kommt der Autor „durch Landschaften, die zu den schönsten der Welt zählen“. In Westafrika war Kommunikation mit den Einheimischen „stets ein Kampf“. In Indonesien erscheint sie ihm so einfach, dass es schon wieder unheimlich wirkt.
Das englische Wort für Reisen, „travel“, ist mit dem französischen Wort „travail“ für Arbeit verwandt. Zu Recht, wie Barley findet. In Surabaya, einer der hässlichsten Städte der Welt, muss er einen Wachtmeister schmieren, um eine Fahrkarte für die Fähre zu bekommen, und landet in einem Hotel, das die „Hölle“ ist, „heiß, schmutzig, voller Kakerlaken“. Figuren wie aus einem Joseph-Conrad-Roman kreuzen seinen Weg. Der einzige andere Engländer von Surabaya entpuppt sich als geckenhafter Lustgreis, der den Besucher seiner verfallenen Wohnung aus holländischer Kolonialzeit im Sarong empfängt. „Von seiner Brust zogen sich Fettringe hinab wie Reisfeldterrassen an einem Berghang.“ Er unterrichtet Englisch, hat einen jungen Lover und schimpft auf die laxe Politik von Maggie Thatcher. Einziges Symbol vergangener Größe ist sein uralter, tadellos erhaltener alter Mini-Morris, der „einen Duft von gewachstem Kunstleder“ verströmt. Er springt sogar an.
Genauer Beobachter und gewitzter Diagnostiker
Das englische Original von „Auf den Spuren von Mr. Spock“ ist 1988 erschienen. Die Verbrechen der holländischen Kolonialherrschaft werden gestreift, auch die Folgen der japanischen Invasion im Zweiten Weltkrieg. Doch über die Gräuel des Militärregimes nach 1965 fällt kein Wort. Vielleicht deshalb, weil sie so lange – das zeigen auch die Dokumentarfilme von Joshua Oppenheimer – ein Tabu waren.
Nigel Barley geht es wenig um historische oder politische Hintergründe, ihn interessieren die Sensationen des Gewöhnlichen. Diese Sensationen findet er auf Märkten, beim Ritt in eine Wildnis, wo bereits ein Golfplatz wartet, beim Hahnenkampf oder – klassische ethnologische Feldforschung – bei einer Beerdigung. Da stampfen Frauen auf einem ausgehöhlten Baumstamm, der ansonsten als Reismörser dient, einen strengen Rhythmus. Ein Büffel wird geschlachtet. Der Reis, angeblich mit Blut gekocht, strahlt rot. Das Fleisch schmeckt sehr zäh. Der Tod als blutiges Fest.
Barley ist ein genauer Beobachter und gewitzter Diagnostiker. Erzählen kann er auch. Nur zum Romanautor fehlt ihm das Talent. Seinem Romandebüt „Bali. Das letzte Paradies“ mangelt es an allem, was die Stärke von „Mr. Spock“ ausmacht. Esprit, Farbigkeit, der Spannungsbogen. Dabei ist der Stoff stark. Das Buch handelt vom Maler Walter Spies, der in Berlin der Geliebte des Filmregisseurs Friedrich Murnau gewesen war, und 1927 nach Bali zog. Er schuf hinreißende, zwischen Art Déco und Neuer Sachlichkeit schwebende Bilder von Tieren, Menschen, Wäldern und wurde zum Mittelpunkt einer Exil-Bohème, zu der Besucher wie Vicki Baum und Charlie Chaplin stießen.
Erzählt wird „Bali“ aus der Perspektive des holländischen Malers Rudolf Bonnet – ebenfalls eine verbürgte Figur –, der in Spies seine Liebe und seinen Meister findet. Die Sprache ist hölzern, die aufregende Lebensgeschichte von Spies wird in langatmigen Dialogen referiert. In Moskau aufgewachsen! Muttersprache Russisch! Musikunterricht bei Rachmaninow! Nigel Barley weiß viel über seinen Helden. Aber zur Liebe fallen ihm bloß Gemeinplätze ein. Sie sei ein „so oft besungenes und beschriebenes und vermutlich auch gemaltes Gefühl“, eine „Mischung aus unendlicher Freude und abgrundtiefer Traurigkeit“. Er hätte besser einen biografischen Essay geschrieben.
Nigel Barley: Auf den Spuren von Mr. Spock. Eine Reise nach Indonesien. Aus d. Engl. v. Ulrich Enderwitz, 285 S. und Bali. Das letzte Paradies. Aus. d. Engl. v. Caroline Burger, 271 S., Beide Klett-Cotta, Stuttgart 2015, jeweils 17,95 €.